Das gilt aber – zumindest zunächst - wohl nur für die jeweils „richtige“, sprich die eigene Konfession. Irmgard Coenen erinnert sich noch heute nur ungern daran zurück, dass im Herbst 1945 auch in Jüchen wieder die strenge konfessionelle Trennung in der Volksschule eingeführt worden sei, die sie in der vom NS-Regime durchgesetzten „bekenntnisfreien“ Schule in ihren ersten vier Schuljahren nicht erlebt habe. Vielmehr habe sie damals das Schulleben als „Einheit“ wahrgenommen, der sowohl sie als Protestantin als auch ihr Jahrgangskamerad Hubert Knabben als Katholik angehört hätten. „Man lebte, man war Freund, man kannte keine Unterschiede von der Konfession her.“
Die dann bald nach Kriegsende wieder durchgeführte Trennung der evangelischen von den katholischen Kindern empfindet sie daher als ausgesprochen „bitter“. Das gilt einmal für die aus ihrer Sicht unnötige konfessionelle Barriere, zum andern stört sie aber auch die Tatsache, dass nun alle 60 bis 70 evangelischen Kinder in einem einzigen Raum unterrichtet werden müssen und nur noch „als Gast in der eigenen Volksschule“ geduldet sind. Als dann noch die evangelischen Flüchtlingskinder hinzugekommen seien, wäre die Klasse schnell „aus allen Nähten“ geplatzt.
1946 melden Irmgards Eltern ihre Tochter zum Katechumenenunterricht an, den sie anschließend drei Jahre bis zur Konfirmation besucht. „Und da kam die geballte Ladung der Flüchtlingskinder“, erinnert sich Frau Coenen noch heute in aller Deutlichkeit. Bis dahin habe das Thema „Flucht und Vertreibung“ für sie und die Gleichaltrigen am Jüchener Markt eigentlich keine Rolle gespielt, was sich nun grundlegend geändert habe. „Hochneukirch, Bedburdyck und Herberath gehörten alle zur Kirchengemeinde Jüchen. Und alle diese Kinder, die überall verteilt unerkannt oder unbekannt wohnten, kamen nun im Katechumenenunterricht zusammen.“ Irmgard Coenen erinnert sich noch gut an Kinder aus Bessarabien, deren Deutsch nicht eben gut gewesen sei. Auch mit den anderen Flüchtlingskindern haben die gleichaltrigen Einheimischen Probleme, denn die sprechen Hochdeutsch, während sich die heranwachsenden Jüchener damals selbstverständlich im Dialekt – im „Platt“ – unterhalten und in der Schule entsprechend viele Grammatikfehler „produzieren“.
Bei der Integration, so betont Irmgard Coenen, sei Pfarrer Haarbeck eine bedeutsame Rolle zugekommen. Der habe es mit „großer Liebe“ verstanden, „uns zu einer Gruppe zusammenzufügen“. Einheimische und Flüchtlingskinder hätten sich während der drei Jahre des Katechumenenunterrichts sehr gut verstanden und dank der Bemühungen des Pfarrers am Ende dieser Zeit eine „Einheit“ gebildet. Durch seine Art habe Haarbeck den Neuankömmlingen ein derart starkes Gefühl des Angenommenseins vermittelt, dass sie sich schließlich in ihrer Kirchengemeinde „zu Hause“ gefühlt hätten. Insofern komme der Kirche als Ort der Integration eine „sehr große“ Bedeutung zu.