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Quellenkunde

Was sind Quellen? Wie geht man professionell-kritisch mit ihnen um? Diese Fragen werden in der „Kleinen Quellenkunde“ ebenso beantwortet wie umfassend über einzelne Quellengattungen, ihre jeweiligen Stärken und Schwächen sowie ihre Bedeutung für die historische Forschung informiert wird. Ob Zeitungen, Tagebücher, Briefe, Film oder Oral History – all diese und noch weitaus mehr Arten historischer Quellen werden hier vorgestellt und diskutiert.

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Lage- und Stimmungsberichte der NS-Zeit

Das NS-Regime war bestrebt, die „Öffentlichkeit“ in Auftreten und Bewusstsein zu bestimmen oder zumindest zu kontrollieren.[1] Dabei war es trotz aller diesbezüglichen Anstrengungen naturgemäß nicht möglich, abweichende Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen in Gänze zu unterdrücken. Diese hielten sich insbesondere in der „Halböffentlichkeit“ überdauernder Milieus, die sich standhaft der totalen Vereinnahmung durch das NS-Regime verweigerten.

Andererseits war es aufgrund der allgegenwärtigen Kontrolle der Öffentlichkeit während der NS-Zeit ungemein schwer, sich eine eigene unabhängige Meinung zu bilden, da neben dem Zugang zu einem breiten Informationsangebot auch das Element eines relativ unbeschränkten Meinungsaustausches fehlte. „Die Lektüre von Tagebüchern und Briefen jener Zeit offenbart beispielsweise die Schwierigkeiten der weitgehend voneinander isolierten Individuen, der Flut der Informationen und autoritativen Deutungen der offiziellen Propaganda eine Gegenposition entgegenzustellen, von der man sicher sein konnte, das diese von vielen geteilt wurde.“

Insofern stellt sich die prinzipielle Frage, ob die „tatsächliche“ Stimmung und Einstellung der Bevölkerung hinter der durch massive Propaganda aufgebauten Fassade überhaupt fassbar werden kann. Gab es überhaupt ein eigenes Meinungsbild jenseits der Berichterstattung der NS-Propaganda? Mit diesem Problem sahen sich bereits die Spitzel von Gestapo und SS-Sicherheitsdienst, aber auch die Vertrauensleute der Exil-SPD konfrontiert. So hieß es bereits 1934 in den Deutschland-Berichten der Sopade: „Es gibt in Deutschland nicht nur keine öffentliche Meinung, es gibt auch keine Gruppenmeinung mehr. Das Individuum ist vereinzelt, denkt und urteilt für sich. Das gilt selbst für die Mitglieder der NSDAP. Die Zwangszusammenfassung in einer Organisation bedeutet in Wahrheit eine Atomisierung der politischen Beurteilung und Gesinnung.“[2]

Dennoch – oder vielleicht auch gerade deshalb – wurden während der zwölf Jahre der NS-Herrschaft von zahlreichen Behörden, Parteigliederungen und Institutionen ungezählte, oft sehr umfangreiche Stimmungs- und Lageberichte verfasst, die – aus oft unterschiedlichen Motiven – Einblicke in das Denken und Verhalten der deutschen Bevölkerung ermöglichen sollten.

Im Folgenden werden die wichtigsten dieser Berichtarten vorgestellt, um anschließend der Frage nachzugehen, welcher Wert diesen Quellen für die historische Forschung zukommt.

Fußnoten

[1]    Vgl. hierzu die instruktiven Bemerkungen von Peter Longerich: „Davon haben wir nichts gewusst!“ – Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933-1945, München 2006, S. 23ff. Danach auch das Folgende. Bis März 1939 erschienen die Berichte in Prag, ab Mai 1939 dann in Paris.

[2]    Sopade, Mai/Juni 1934, S. 120

zuletzt bearbeitet am: 17.04.2016