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Propaganda

Unter diesem Punkt findet sich in gebotener Kürze und mit Fokussierung auf die Jahre von 1933 bis 1945 ein Definitionsversuch von „Propaganda“. Außerdem wird hier der Frage nachgegangen, ob und wie diese Beeinflussungsbemühungen des NS-Regimes von der Bevölkerung aufgenommen wurden.

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NS-Propaganda und die Kontrolle der Öffentlichkeit

Solche und weitere Erwägungen lassen Peter Longerich von einem „geschlossenen System“ sprechen, das er noch über dem „System der Propaganda“ angesiedelt sieht und entsprechend als ein übergeordnetes „System der Kontrolle der Öffentlichkeit“ bezeichnet. Dieses das gesamte Leben während der NS-Zeit massiv beeinflussende „geschlossene System“ sieht Longerich besonders durch drei Elemente gekennzeichnet:[1]

1. Anderslautende Stimmen wurden grundsätzlich nicht geduldet, wobei Propagandaminister Joseph Goebbels oftmals persönlich dafür sorgte, dass selbst systemloyale Kritik nicht mehr geäußert werden wurde. Außerdem setzte er alles daran, das geschlossene System tatsächlich undurchlässig zu machen, weshalb etwa auch ausländische Filme zensiert und der Vertrieb ausländischer Zeitungen im Reichsgebiet reglementiert wurden. Das erste Element der Schaffung eines „geschlossenen Systems“ war also der Versuch, alle alternativen Stimmen auszuschließen.

2. Zum Zweiten ging es den NS-Propagandisten darum, das öffentliche Erscheinungsbild Deutschlands möglichst weitgehend an nationalsozialistische Normen anzupassen. Dafür wurden den Menschen klare Vorgaben an die Hand gegeben, wie sie durch ihr öffentliches (und möglichst auch privates) Verhalten ihre Zustimmung zum Regime zu bekunden hatten. Möglich wurde das dadurch, dass es bereits in den ersten Monaten des NS-Regimes gelungen war, den öffentliche Raum zu beherrschen und ihn in im NS-Sinn umzugestalten, um in ihm dann die angebliche Übereinstimmung von Volk und Führung mit einer breiten Skala möglicher Verhaltensweisen zu demonstrieren. Hierzu zählten schnell selbstverständlich werdende Dinge wie der „Deutsche Gruß“ oder das Tragen von Parteiabzeichen, aber auch das öffentliche Verhalten gegenüber ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen. Ein Blick auf die Jahre zwischen 1933 und 1943 führt in dieser Hinsicht nach Longerich zur Erkenntnis, „dass diese Vorstellung des Regimes, die Bevölkerung dazu zu bringen, sich in ihrem öffentlichen Verhalten an die Verhaltensnormen des Regimes anzupassen, insgesamt funktioniert“ habe. „Die Menschen haben sich insgesamt so verhalten, wie es sich das Regime erwünschte, und nun war es die Aufgabe der Propaganda, dieses Verhalten als Zustimmung zu dokumentieren.“

3. Das dritte Element des von ihm skizzierten „geschlossenen Systems“ ist für Peter Longerich zugleich das bedeutsamste: „nämlich, dass das geschlossene System den Beweis für sein erfolgreiches Funktionieren zugleich mitlieferte“ und die er so zusammenfasst: „In Form von Bild- und Tonaufnahmen, aber auch in der internen Stimmungsberichterstattung, die immer darauf angelegt war, die positive Resonanz der Propaganda wiederzugeben und die negativen Abweichungen von der Norm als Ausnahmeerscheinungen zu präsentieren.“ Das birgt zugleich aber für den forschenden von heute erhebliche Gefahren, denn man hat sich – auch das noch Folge des „geschlossenen Systems“ der NS-Zeit - daran gewöhnt, „die Bilder, die Töne, die Filme aus dieser Zeit als Beweis für den Erfolg dieser Propaganda zu sehen, und vergessen dabei, dass das genau die Intention der Urheber war.“ Es sind eben in aller Regel Texte, Töne und Bilder, die innerhalb des Propagandaapparates erzeugt worden sind, die unseren Blick oft noch heute verstellen und ihn übersehen lassen, dass es sich nicht um dokumentarischen Bilder oder Dokumente handelt, sondern um den Versuch, genau die regimeseitig intendierte Zustimmung abzubilden. Das gilt auch für die – hier an anderer Stelle differenziert und kritisch untersuchte - Stimmungsberichterstattung der NS-Zeit, die gerade Historiker immer wieder für ihre Analysen heranziehen und dabei nicht selten übersehen, dass sie selbst Teil eines fast perfekten Systems war und daher nicht zuletzt zeigt, wie gut die Propaganda funktionierte. Traten in diesen Stimmungsberichten dennoch negative Erscheinungen zu Tage, wurden sie entweder nachkorrigiert oder eingestellt und die Kritiker und die Unzufriedenen, die darin auftauchten, umgehend zum Schweigen gebracht.

Angesichts solcher Bestrebungen des NS-Regimes gilt es also immer wieder, den Gefahren zu entgehen, die deren umfassenden und zusehends perfektionierten propagandistischen Bemühungen bis heute innewohnen. Denn auch wenn die ein sehr geschlossenes, uniformes Bild zu vermitteln trachteten, weiß man heute nach jahrzehntelanger Forschung zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte der NS-Diktatur, dass die damalige Volksstimmung nicht mit totalitärer Uniformität gleichgesetzt werden darf. Tatsächlich gab es in erheblichem Umfang auch allgemeine Unzufriedenheit sowie abweichende und divergierende Verhaltensweisen, allerdings – wie Peter Longerich hervorhebt – mit einer wichtigen Einschränkung: „Doch diese Bekundung von Widerspruch war im Wesentlichen auf den privaten oder auf den halböffentlichen Bereich beschränkt, also auf Stammtische, Nachbarschaften, Freundes- und Kollegenkreise. Sie mochte in Resten von Milieustrukturen aus der Zeit der Demokratie ihren Ausdruck finden, etwa in bestimmten Pfarrgemeinden, in bürgerlichen Verkehrskreisen, in Dorfgemeinschaften, die sich dem Nationalsozialismus gegenüber nicht aufgeschlossen zeigten, oder in den Untergrundgruppen der Arbeiterbewegung, soweit diese noch bestand. Aber dieser Form von Kritik, die in vielfältiger Weise existierte, und die wir heute noch nachweisen können, fehlte ein ganz entscheidendes Kriterium: Sie konnte nicht öffentlich gemacht werden.“

Beim Blick auf die NS-Zeit und die Wirksamkeit der damaligen Propaganda darf nie außer Acht gelassen werden, dass zwischen 1933 und 1945 all jene Kommunikationsformen fehlten, die für die Bildung einer öffentlichen Meinung, wie man sie heute versteht, unabdingbar sind. Es fehlte praktisch über zwölf Jahre die Chance, „sich ungehindert zu vergewissern, dass die eigenen Ansichten von anderen geteilt werden; es fehlte die Möglichkeit, unterschiedliche Meinungsvarianten im Gespräch auf einen Nenner zu bringen; es fehlte die Möglichkeit, solche abweichenden Meinungsvarianten in begrifflichen Abstraktionen, wie in Schlagwörtern und Parolen, zum Ausdruck zu bringen. Das alles, was wir auf einer unteren Ebene als Meinungsbildungsprozess kennen, war in einer kontrollierten Öffentlichkeit weitgehend ausgeschlossen.“

Dadurch wurde das NS-Regime in die Lage versetzt, einen Apparat zu schaffen, der es ihm erlaubte, sich in seiner Selbstdarstellung von der jeweiligen tatsächlichen Zustimmung der Bevölkerung relativ unabhängig zu machen. Zugleich hatten die NS-Propagandisten die Möglichkeit, Zustimmung und Enthusiasmus mehr oder weniger nach Bedarf zu erzeugen. Daher ist natürlich das Bild einer geschlossen hinter dem Regime stehenden „Volksgemeinschaft“ ein Trugbild des Propagandaapparates, der nach Longerichs Analyse stets bestrebt war, „die tiefe Fragmentierung der deutschen Gesellschaft in politischer, sozialer, weltanschaulicher, religiöser oder regionaler Hinsicht“ zu überdecken. „Es wäre geradezu irrwitzig, sich vorzustellen, dass diese für das Kaiserreich und die Weimarer Republik in allen Studien kennzeichnende feststellbare Fragmentierung der deutschen Gesellschaft schon nach wenigen Monaten ‚Drittes Reich‘ hätte plötzlich beseitigt werden können.“

Seine Erkenntnisse veranlassen Peter Longerich zu dem Appell, das „geschlossene System der kontrollierten Öffentlichkeit mit den wesentlichen Elementen, also dem Ausschluss von Widerspruch und alternativer Kommunikation, die Beherrschung des öffentlichen Erscheinungsbildes, das Durchsetzen und Erzwingen von bestimmten Verhaltensweisen sowie die multimediale Reproduktion dieser Verhaltensweisen als Zustimmung der Bevölkerung“ stets im Auge zu behalten, „wenn wir uns mit der heutigen Wirkung von NS-Medien und ihrem Umgang in der heutigen Zeit beschäftigen“. Jeder, der zum ersten Mal eine Zeitung der Jahre 1933 bis 1945 lese, sei erstaunt darüber, wie normal der Alltag jener Tage gewesen sei. „Und diese Entdeckung ist das eigentlich Interessante an dieser Lektüre, und hier kann eine Archäologie des Alltags des ‚Dritten Reiches‘ ansetzen. (…) Das heißt, dieses Propagandamedium, also das, was ursprünglich als Propagandamedium gedacht war, lädt zu Entdeckungsreisen ein, die mit den ursprünglichen Intentionen des Urhebers eigentlich wenig zu tun haben.“

Eine solch kritische Analyse der NS-Propaganda oder - in der Terminologie von Daniel Mühlenfeld – der „Medien- oder Kommunikationspolitik“ des NS-Regimes kann helfen, diese in ihren Methoden und Intentionen offenzulegen und in ihrer Wirkung damit zu konterkarieren.

Fußnoten

[1] Das Folgende nach Longerich, NS-Propaganda, S. 20ff.

zuletzt bearbeitet am: 20.04.2016