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Medien und Zeitgeschichte

Soziale und politische Geschichte des 20. Jahrhunderts, so die nach längeren Anlaufschwierigkeiten nunmehr weithin akzeptierte Meinung in der Geschichtswissenschaft, ist immer auch „eine Geschichte der Medialisierung von Gesellschaften“, wobei das 21. Jahrhundert im Zuge zunehmender Digitalisierung in dieser Frage in nochmals andere Dimensionen vorstoßen wird.[1]

Dabei ist der Begriff „Medien“ weit gefasst und entsprechend diffus. In einem von der Bundeszentrale für politische Bildung vertriebenen und entsprechend verbreiteten Politiklexikon findet sich folgende Definition: „M. ist ein Sammelbegriff für alle audiovisuellen Mittel und Verfahren zur Verbreitung von Informationen, Bildern, Nachrichten etc. Zu den Massen-M. zählen insbesondere die Presse (Zeitungen, Zeitschriften), der Rundfunk (Hörfunk, Fernsehen) und in zunehmendem Maße auch das Internet“.[2] Unter den Begriff lassen sich also spezifische Institutionen ebenso wie technische Verfahren oder inhaltsbezogene Formate fassen. Ähnliches gilt für den Begriff der „Unterrichtsmedien“, für den es in der pädagogischen oder allgemeindidaktischen Literatur bislang keine klare Systematik gibt.[3]

„Medium“ und „Quelle“, so viel immerhin ist klar, sind mit Blick auf die Erforschung und Vermittlung von Geschichte keine identischen Begriffe, obwohl sie häufig – und fälschlicherweise - synonym verwendet werden. „Medium“ ist der breitere Begriff, der alles enthält, was primäre oder sekundäre Aussagen über Geschichte beinhaltet. Der Kulturteil der örtlichen Tageszeitung ist ebenso ein Medium des Lernens wie das Schulbuch. Beide Medien sind aber deswegen noch keine Quellen. „Quellen“ sind dagegen solche Medien, die in der Vergangenheit entstanden sind und uns heute vorliegen. Ihr Kennzeichen ist eine signifikante zeitliche Differenz zwischen ihrer Entstehungszeit und der gegenwärtigen Nutzung. Jede Quelle ist ein Medium historischen Lernens, aber nicht jedes Medium ist darum schon eine Quelle.[4]

An der Sinnhaftigkeit einer stärkeren Öffnung der Zeitgeschichte für die den herkömmlichen Quellenbegriff erweiternden und ergänzenden Medien dürfte angesichts von deren Allgegenwärtigkeit und Bedeutung in der „Mediengesellschaft“ des 21. Jahrhunderts kaum noch Zweifel bestehen. Vielmehr stellt sich die Frage, ob man bestimmten zeitgeschichtlichen Phänomenen überhaupt noch auf den Grund gehen kann, wenn man sich ausschließlich auf Aktenmaterial beschränkt und Töne und Bilder schlicht von jeder Analyse ausschließt?[5]

Thomas Lindenberger sprach angesichts der Vernachlässigung von audiovisuellen Medien durch Forschung und Lehre bereits 2004 von einem inakzeptablen „Anachronismus“. Die „Mitlebenden“ der Zeitgeschichte müssten endlich auch als „Mithörende“ und „Mitsehende“ begriffen werden, um deren Erfahrungen und Erzählungen angemessen deuten zu können. „Ihre Lebenswelt war und ist bestimmt von der alltäglichen Gegenwart der Audiovision, ihre Erfahrung von Wirklichkeit auch vermittelt über die Klänge von Schallplatte und Radio, die Fotos in den Illustrierten, die bewegten (Ton-)Bilder in Wochenschauen, Spielfilmen und Fernsehen.“ Seine Kritik fällt deutlich aus: „Wer sich etwas über den Alltag im Bombenkrieg erzählen lassen will und die zeitgleich rezipierten Wochenschauen und Durchhaltefilme oder aber die nach 1945 verbreiteten audiovisuellen Bearbeitungen dieses Geschehens nicht kennt, sollte besser in der Studierstube bleiben.“ Das von Norbert Bolz postulierte „Ende der Gutenberg-Galaxis“ sei erreicht, weshalb die „Hegemonie der Druckschrift in der gesellschaftlichen Konstruktion und Aneignung von Wirklichkeit“ und damit zugleich die „habitualisierte Geringschätzung der nichtschriftlichen Überlieferung“ überwunden werden müsse: „In der Ausbildung zukünftiger (Zeit-) Historiker, unter denen nicht wenige als Journalisten, Ausstellungsmacher etc. arbeiten werden, muss der reflektierte Umgang mit audiovisuellen Quellen denselben Platz einnehmen wie derjenige mit Akten, Büchern und (elektronischen) Zeitschriften.“[6]

Knut Hickethier fasste die auch von ihm erkannte Unausweichlichkeit eines solchen Schritts fünf Jahre später im folgenden Appell zusammen: „Dass die nichtschriftlichen, audiovisuellen Quellen in die zeitgeschichtliche Forschung verstärkt einbezogen werden müssen, liegt auf der Hand. Solche Materialien liefern Anschauungen von Ereignissen und sozialen Prozessen, wobei sich die Quellenproblematik jedoch in besonderer Weise stellt: Bilder sind letztlich immer mehrdeutig, sie bedürfen der quellenkritischen Kontextualisierung, sie müssen ‚eindeutig‘ gemacht werden in Bezug auf Entstehung und Herkunft, und es muss erklärt werden, was auf ihnen zu sehen ist. Dies gilt nicht nur für ‚stehende Fotografien‘, sondern auch für Bewegtbilder, die durch einen erklärenden Off-Ton noch lange nicht eindeutig belegen, dass das, was im Kommentar behauptet wird, auch tatsächlich im Film gezeigt wird. Es geht also nicht um ein gänzlich neues Paradigma der Zeitgeschichte, wohl aber um eine noch entschiedenere Öffnung der Zeitgeschichtsschreibung hin zu den Medien. Zum einen durchdringen und beeinflussen Medien die Gesellschaften des 20. und 21. Jahrhunderts weit stärker, als die bisherige Historiographie dies wahrgenommen hat. Zum anderen müssen Medien in den Prozess der Geschichtsschreibung und -darstellung selbst einbezogen werden – als Instrumente des Erkenntnisgewinns über geschichtliche Situationen und Handlungsweisen. Hier gilt es, neue Wege zu beschreiten und neue Ziele zu setzen, die der Ära der Audiovisualität gerecht werden. Eine Zeitgeschichte, die ihre medialen Möglichkeiten nicht mitbedenkt, ist nicht mehr zeitgemäß.“[7]

Solchen Forderungen soll hier – mit Schwerpunktsetzung auf die NS-Zeit – Rechnung getragen werden, indem - schwerpunktmäßig in der „Kleinen Quellenkunde“ - nicht nur der jeweilige „Quellenwert“ von Medienprodukten diskutiert, sondern außerdem die Geschichte und Entwicklung einzelner Medien nachgezeichnet wird. Zuvor werden deren Bedeutung für und Nutzung durch das NS-Regime und dessen Propagandaapparat und – trotz aller damit verknüpften Probleme – auf ihre Rezeption durch die deutsche Bevölkerung auf allgemeinerer Ebene hinterfragt.

Fußnoten

[1] So Leonard, Medien, S. 17

[2] Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 5., aktual. Aufl. Bonn 2011.

[3] Vgl. Sauer, Medien, S. 85

[4] Vgl. Pandel/Schneider, Handbuch, S. 7f. Weiter heißt es dort, S. 11f., dass im Schulunterricht nach wie vor Beschäftigung mit schriftlicher Erinnerung und schriftlichen Medien dominiere. „In der Lehrerausbildung wird zwar der Arbeit mit schriftlichen Quellen viel Zeit gewidmet, aber die Arbeit mit Bildquellen oder mit Filmen, um nur zwei weitere Medien herauszugreifen, ist hingegen nach wie vor defizitär. Im Hinblick auf Auffassungsgabe, Lerngeschwindigkeit, Konzentrationsmöglichkeit sollte das historische Lernen jedoch über möglichst viele Sinne erfolgen.“

[5] So Leonard, Medien, S. 17f.

[6] Lindenberger, Hören, S. 4ff.

[7] Hickethier, Knut: Zeitgeschichte

zuletzt bearbeitet am: 21.10.2016