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Jugend! Deutschland 1918-1945
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Lebenswelten

Jugendliche wuchsen nicht in „luftleeren“ Räumen auf, sondern in ihren jeweiligen Lebenswelten. Gerade zwischen 1918 und 1945 machte es oftmals einen erheblichen Unterschied, ob man auf dem Land oder in der Stadt aufwuchs, im katholischen oder im Arbeitermilieu, ob in einer bürgerlichen Klein- oder in einer bäuerlichen Großfamilie. Wie veränderten sich damals die Familienstrukturen, wie die schulische Erziehung? Außerdem bestimmten neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung zunehmend das jugendliche Leben und Streben.

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Krise und soziale Lage

Jede Generation, so stellte der Historiker Detlev Peukert 1987 fest, wird in Bedingungen hineingeboren, für die sie nicht verantwortlich zeichnet, die aber ihre Lebenslage und Lebenschancen weitgehend bestimmt. [1] Das kann sehr positive Ergebnisse zeitigen, etwa in Phasen lang anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwungs, da dann unter den günstigen Bedingungen die künftige Lebenschancen positiv beurteilt werden, was wiederum eine optimistische und fortschrittsfreudige Grundstimmung in der jungen Generation erzeugt. Man denke etwa an die „Wirtschaftswunderzeiten“ nach 1945.

Anders gestalten sich diese Perspektiven jedoch in sozioökonomischen Krisen- und Stagnationsphasen: „dann kann eine ganze Generation das Muttermal tiefster existentieller Unsicherheit und Zukunftsangst mit auf den Weg bekommen“. Eine solche Phase stellte zweifellos die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts dar, in der mit einer für die beteiligten Zeitgenossen kaum zu bewältigenden Wucht verschiedene Problemlagen und Entwicklungen aufeinandertrafen: Modernisierungsprozesse in vielen Lebens- und Wirtschaftsbereichen (z.B. durch eine extreme Rationalisierungswelle), damit zusammenhängende langfristige weltwirtschaftliche Strukturveränderungen mit den daraus resultierenden Krisen sowie durch Kriege und Radikalität geprägte politische und soziale Belastungen ließen kaum Möglichkeiten, positiv in die Zukunft zu sehen. Gerade die Jugend stand in dieser Zeit „auf der Schattenseite des Modernisierungsprozesses“.[2]

In dieser schwierigen und wenig verheißungsvollen Welt mussten jene aufwachsen, die seit 1900 geboren wurden und daher ihre Jugend entweder zwischen Krieg und Krise, also in der Zeit der Weimarer Republik von 1918 bis 1933, oder zwischen Krise und Krieg, nämlich in der Zeit des Nationalsozialismus bis 1945 erlebten. Manche Generationen, so wiederum Detlev Peukert, hätten eben von Anfang an weniger Chancen als ihre Vorgänger und Nachfolger. Die Jugendgenerationen der Weimarer Republik, aber auch jene der NS-Zeit, waren schon durch ihre Geburtsumstände stigmatisiert. In Krisen mit ihren Verteilungskämpfen sahen sich nämlich gerade die Jugendlichen mit einer Situation konfrontiert, die in vielem dem Kinderspiel „Reise nach Jerusalem“ glich: Immer gab es für die Teilnehmer einen Stuhl zu wenig, und die Stühle wurden immer weniger! Und das in einer Lebensphase, in der die Jugendlichen ihren Platz in der Gesellschaft suchten.

Zukunftsperspektive hatte und hat immer mit der wirtschaftlichen und sozialen Situation zu tun, so dass das Verhalten von Jugendlichen nach 1918 nur angemessen beurteilt werden kann, wenn man diese Aspekte umfassend in eine Untersuchung von deren Handlungsspielräumen und Verhalten einbezieht. Der Fokus der folgenden Betrachtungen liegt dabei auf den Jahren der Weltwirtschaftskrise zwischen 1928/29 und 1933.

Fußnoten

[1] Detlev Peukert: Jugend zwischen Krieg und Krise. Lebenswelten von Arbeiterjungen in der Weimarer Republik, Köln 1987, S. 30. Vgl. dort und ebenda, S. 306 auch zum Folgenden.

[2] So – in Anlehnung an Mommsen - Barbara Stambolis: Mythos Jugend. Leitbild und Krisensymptom. Ein Aspekt der politischen Kultur im 20. Jahrhundert, Schwalbach 2003, S. 213. Auch Reulecke, Jugend, S. 89, resümiert: „Betrachtet man zunächst die materiellen Lebensperspektiven der Jugendlichen in den 20er und 30er Jahren, so ergibt sich ein weitgehend negatives Bild. In dem vielschichtigen Geflecht von konjunkturellen Wechsellagen, Entwicklungstendenzen in der Beschäftigungsstruktur, Strategien der Arbeitsmarktparteien und demographischen Wandlungsprozessen zogen die Jugendlichen letztlich immer wieder den Kürzeren.“

zuletzt bearbeitet am: 18.04.2016