Die Website „Jugend in Deutschland 1918-1945" verfolgt mehrere Ziele: Im Kern versucht sie zu zeigen, wie Jugendliche gelebt und was sie erlebt haben in einer Zeit, die von zwei Weltkriegen, Wirtschaftskrisen und Neuaufbrüchen erschüttert und geprägt wurde. Es war auch die Zeit, in der „Jugend" überhaupt erst als eigenständiger Lebensabschnitt mit eigenen Lebensformen entdeckt wurde. Viele sahen in der jungen Generation einen Hoffnungsträger für eine bessere Zukunft, andere erblickten in ihr aber eher eine manipulierbare Masse zur Durchsetzung eigener Ziele.
Was aber war überhaupt „Jugend“? Wer versuchte auf welche Art und Weise auf sie einzuwirken? Um das in Ansätzen zu verstehen, gilt es sich dem Phänomen „Jugend“ und den einzelnen Gruppierungen und Erscheinungen zunächst mit weiteren Fragen zu nähern. Wie lebten Jugendliche zwischen 1918 und 1945 überhaupt? Wie entwickelten und veränderten sich ihre Lebenswelten? Wie lebte es sich auf dem Land? Wie in der Stadt? Was zeichnete die verschiedenen konfessionellen und politischen „Milieus“ aus, in die Kinder und Jugendliche wie selbstverständlich hineinwuchsen? Welche Rolle spielten im damaligen Jugendleben die zentralen Instanzen Familie, Kirche und Schule? Wie bedeutsam waren dabei die jeweiligen Meinungsführer wie etwa Pfarrer oder Lehrer? Wie veränderte sich Arbeitswelt und damit zugleich auch das Freizeitverhalten? Welche Bedeutung kam hierbei den schnell aus dem Boden schießenden Vereinen zu?
Solchen Fragen kommt ebensolche Relevanz zu wie der sich gerade in den Jahren zwischen 1918 und 1945 rasant entwickelnden Medien, deren Geschichte es für ein Verständnis jugendlichen Lebens im besagten Zeitraum ebenso auf den Grund zu gehen gilt wie der Aussagekraft der zur Beantwortung solcher Fragestellungen herangezogenen Quellen. Literatur, Zeitungen und Zeitschriften mit ihren ungezählten Fotos, Rundfunksendungen und Kinofilme: all diese Medien gewannen einen schnell wachsenden Einfluss insbesondere auf die heranwachsende Generation und wurden von den jeweiligen Machthabern und Interessenvertretern alsbald in ihrer Wirksamkeit erkannt und entsprechend massiv eingesetzt.
Außerdem gilt es zu berücksichtigen, dass Jugendleben nie in einer Art von „ereignisleerem“ Raum stattfand, sondern sich stets auch an den allgemeinen Ereignissen der Zeit orientierte und oftmals direkt auf sie reagierte. Daher gilt es die historischen Ereignisse in einer Chronik kontinuierlich zu verfolgen und in ihrer Wirkung auf Jugendliche und deren Denken und Handeln zu hinterfragen. Erst eine solche Einbettung ins „Große und Ganze“ ermöglicht eine genauere und differenzierte Beurteilung der jeweiligen Entwicklungen im Jugendsektor. Eine Hilfestellung soll hierbei das Lexikon sein, das Ereignisse, Personen, Institutionen und weitere Sachverhalte erklärt, ohne dass hierfür Hilfe von außen in Anspruch genommen werden müsste.
Der selbst wiederum differenzierte sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts immer stärker aus und ein großer Teil des Jugendlebens verlagerte sich in Verbände und Bünde. Es entstanden von politischer wie von kirchlich-religiöser Seite immer neue Jugendverbände, denen die zahlenmäßig zwar kleine, in ihrer damaligen Prägekraft aber kaum zu unterschätzenden Bündischen Jugend häufig als Vorbild diente. 1933 erfuhr diese Entwicklung eine abrupte Unterbrechung, die bis dahin bestehenden politischen Jugendorganisationen wurden verboten, während die kirchlichen-religiösen Verbände in ihren Möglichkeiten stark eingeschränkt und überwacht wurden, um dann nach einigen Jahren zumeist auch von der Bildfläche zu verschwinden. Die beherrschte nunmehr einzig und allein die Hitlerjugend.
Der NS-Staat und insbesondere die Reichsjugendführung beanspruchte ein Monopol in allen Fragen der Erziehung, die bei Weitem nicht nur die Schule, sondern immer mehr neue Formen der Lagererziehung im Rahmen des Landjahrs, des Reichsarbeitsdienstes und im Krieg dann der Kinderlandverschickung umfasste. Dabei brachte das Kriegsgeschehen ab Herbst 1939 erhebliche und rasant zunehmende Veränderungen in allen Bereichen auch des jugendlichen Lebens mit sich. Jugendleben im Krieg wich erheblich von jenem in Friedenszeiten ab und zeichnete sich besonders durch stetig intensivierte Wehrerziehung aus. Es dauerte nicht lange, bis 14- bis 17-Jährige dann als Luftwaffenhelfer, am Westwall und schließlich auch als blutjunge Soldaten zu Kriegs- und Kriegshilfsdiensten herangezogen wurden. Zugleich nutzte das NS-Regime den Krieg dazu, seine Rassenideologie auch mit Blick auf Jugendliche in brutaler Form in die Tat umzusetzen.
Das alles wird im Rahmen der Website aufgearbeitet und differenziert beschrieben. Der anschaulichste Zugang zum damaligen kindlichen und jugendlichen Erleben dürften aber die zahlreichen ausführlichen Lebensgeschichten darstellen, die hier in Text, Bild und Film zugänglich gemacht werden. Sämtliche in den „Themengeschichten“ dargestellten Aspekte finden sich in persönlichen Schilderungen konkretisiert wieder, werden in konkrete Lebensläufe eingebettet nachvollziehbarer und damit verständlicher. Zahlreiche Zeitzeugen erzählen, was sie damals erlebt haben, wie sie in ihrer kindlichen und Jugendlichen Welt verhalten haben und wie sie ihr Tun im Rückblick einschätzen.
Eine andere Form der Konkretisierung historischer Ereignisse und Entwicklungen wird mit den Ortsgeschichten angeboten. Die Geschichte und Geschichten von „Jugend“ im Allgemeinen sowie jene von Jugendgruppen, Bünden und nicht zuletzt der Hitlerjugend im Besonderen folgten sicherlich allgemeinen Entwicklungen und „großen“ Linien. Losgelöst von Einzelpersonen werden sie aber zumeist erst am konkreten Beispiel nachvollziehbar. Diese konzentriert sich nämlich auf die jeweilige Entwicklung in einem Dorf, einer Stadt oder einer Region und gewährt so quasi mikroskopische Einblicke in Prozesse, die dem Betrachter beim – für das Verständnis der Strukturen sicherlich unverzichtbaren - Blick auf das reichsweite „große Ganze“ versagt bleiben müssten.
Erst die hier angebotene Gesamtschau ermöglicht es, sich ein genaueres Bild von den sehr unterschiedlichen Lebensbedingungen, prägenden Erlebnissen und den vielfältigen Organisationsformen und Verhaltensweisen junger Menschen in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu machen. Denn auch sie orientierten sich am jeweiligen „Zeitgeist", weshalb gerade mit Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus nach längerfristig wirkenden Entwicklungen und deren Vorgeschichte seit 1918 zu fragen ist.
Hierbei sollen nicht zuletzt die umfangreichen Materialien helfen, die hier im digitalen Archiv der „Editionen zur Geschichte“ vor allem in Form von Selbstzeugnissen (Tage-, Fahrten- und Lagerbücher, Briefe, Fotoalben u.v.m.) damaliger Jugendlicher sowie zahlreicher der sich damals an sie richtenden Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren, Selbstdarstellungen und Schulungsmaterialien erstmalig zugänglich gemacht werden. Und nicht nur das: Die Selbstzeugnisse sind nicht nur allesamt als Faksimiles verfügbar, sondern ebenfalls als wortgetreue Transskripte. Außerdem ist angestrebt, all diese Unterlagen einschließlich des gewaltigen Zeitschriftenbestandes inhaltlich zu erschließen und so für neue, innovative Forschungen zugänglich zu machen.