1944 ist das Jahr des „totalen Krieges“, in dem sich weltweit weit mehr als 40 Staaten mit dem Deutschen Reich im Kriegszustand befanden. Das zentrale Ereignis und der wohl entscheidende militärische Schlag stellte die Invasion der Westalliierten in der Normandie am 6. Juni dar. Auch wenn das NS-Regime nicht müde wurde, weiterhin Optimismus zu verbreiten, mehrten sich –auch in Wehrmachtskreisen - die Stimmen, die eine Niederlage des Deutschen Reiches für unabwendbar hielten. Ende Juli brach die Front im Westen zusammen, so dass alliierte Truppen ins französische Hinterland vorstießen. Der zweiten alliierten Landung in Südfrankreich setzten die deutschen Verbände Mitte August kaum noch Widerstand entgegen, so dass die Gegner schon am 25. August in Paris einziehen konnten. Anfang September folgten Brüssel, Antwerpen und Lüttich, während sich die deutschen Truppen an den „Westwall“ zurückzogen. Am 21. Oktober musste dann offiziell eingeräumt werden, dass mit Aachen die erste deutsche Großstadt in die Hände des Gegners gefallen war.
Etwa zur gleichen Zeit wurde die Reichsgrenze auch im Osten überschritten. Nach drei Großoffensiven im Januar, März und Juni 1944 marschierte die Rote Armee am 16. Oktober in Ostpreußen ein. Ein großer Teil der Bevölkerung begann, seine Habseligkeiten zusammenpacken und sich in den Flüchtlingstreck gen Westen einzureihen.
Auch im Luftkrieg verschoben sich die Kräfteverhältnisse immer weiter und deren Ungleichgewicht steigerte sich nahezu ins Unermessliche: Der von den Alliierten im Jahr 1944 geworfenen Bombenlast von 1.188.577 Tonnen standen auf deutscher Seite – einschließlich der „V-Waffen“ - ganze 9.151 Tonnen gegenüber. Allein im ersten Halbjahr 1944 wurden in 55 Nächten und an 36 Tagen 102 größere Angriffe auf 36 deutsche Städte geflogen.
Während die Alliierten bereits die zukünftige Aufteilung Deutschlands und der Welt diskutierten, wurde im Reichsgebiet immer noch der „Endsieg“ beschworen. Obwohl die Fronten im Osten, im Westen und in Italien zusammenbrachen, schwadronierte Joseph Goebbels unverdrossen von der „Herrenrasse“, die Europa vor Bolschewisten und der „internationalen Judenclique“ retten müsse. Zermürbt von Bombenangriffen und zusehends knapper Versorgung artikulierten sich auch in der Bevölkerung nach und nach erste Zweifel, wobei auch die lange erhofften „Wunderwaffen“ kaum noch über das nahende Ende hinwegtäuschen konnten. Dennoch gelang es der NS-Führungsspitze unter Anwendung von Zwang, Terror und Propaganda immer wieder, die Menschen zum Arbeitseinsatz, zum Frontdienst und zum „Volkssturm“ zu treiben. Das alles geschah bei gleichzeitigen drastischen Einschränkungen im Zivilbereich. Das Kulturleben wurde praktisch eingestellt; allerdings sollten Rundfunk und Kino weiterhin die Unterhaltung – sprich: Ablenkung - der Deutschen sichern.
Während große Teile der Bevölkerung die Niederlage noch nicht erkennen konnten oder wollten, setzte sich diese Erkenntnis zumindest in Teilen der Wehrmacht durch. Erst jetzt entschloss sich eine Gruppe von Offizieren zu einem Attentat auf Hitler, um die Staatsgewalt zu übernehmen und den Krieg zu beenden. Als das Attentat am 20. Juli 1944 scheiterte, nahm Hitler es zum Anlass, eine umfangreiche Säuberungsaktion durchzuführen. Hierbei zeigte sich das NS-Regime noch einmal von seiner brutalsten Seite.
Im Rahmen des „Totalen Krieges“ orientierte sich insbesondere die deutsche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik einzig auf die Mobilisierung aller noch vorhandenen Arbeitskraftreserven. Mit jedem erdenklichen Mittel wurde versucht, dem wegen immer neuer Einberufungen zur Wehrmacht extremen Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. So sollten bisher noch nicht Berufstätige in den Arbeitsprozess einbezogen, die bereits Tätigen zu erneuter Leistungssteigerung motiviert werden. In diesem Zusammenhang wurde die wöchentliche Arbeitszeit am 31. August 1944 von 48 auf 60 Stunden erhöht. Auch der im September durch die Androhung empfindlicher Strafen nochmals verschärfte Kampf gegen das „Bummelantentum“ diente der Arbeitssteigerung.
Den steigenden Belastungen stand keine entsprechende Versorgung mehr gegenüber. Obwohl die deutsche Bevölkerung auch 1944 keinen wirklichen Hunger leiden musste, verschlechterte sich die Ernährungslage zunehmend, weil immer mehr der zuvor besetzten Gebiete als Nahrungsmittelreservoir entfielen. Neben transportbedingten Verteilungsproblemen - das deutsche Verkehrssystem stand vor dem Kollaps - fiel besonders ins Gewicht, dass die Qualität der Ernährung immer mehr abnahm und in aller Regel lediglich Kartoffel- oder Mehlgerichte auf den Tisch kamen, während etwa die Vitaminspender Obst und Gemüse nur in geringen Mengen verfügbar waren.
Außerdem wurden Urlaub und Freizeit dem „totalen Kriegseinsatz“ angepasst, also weitgehend gestrichen. Reisen, Ausflüge, Kultur- und Sportveranstaltungen wurden verboten oder stark eingeschränkt, damit die gesamte Zeit und Arbeitskraft der deutschen Bevölkerung der Rüstungsindustrie zur Verfügung stehen konnte.
Auch Bildung und Erziehung wurden 1944 durch die Bedingungen des „Totalen Krieges“ bestimmt, was bedeutete, dass der Schulbetrieb fast vollständig zusammenbrach, weil Lehrer und Schüler „kriegswichtige“ Aufgaben übernehmen mussten, während die ständigen Bombenangriffe ein normales Unterrichten in weiten Teilen des Reiches ohnehin unmöglich machten. In dessen besonders luftkriegsgefährdeten Gebieten wurden viele Schulen schließlich geschlossen und im Rahmen der Kinderlandverschickung in ländliche Gebiete verlagert. Viele Kinder und Jugendliche erfuhren 1944 überhaupt keine reguläre schulische Ausbildung mehr, da sie zu Kriegs- oder Arbeitsdiensten herangezogen wurden.
zuletzt bearbeitet am: 17.12.2016