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Jugend! Deutschland 1918-1945
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Jugendliche wuchsen nicht in „luftleeren“ Räumen auf, sondern in ihren jeweiligen Lebenswelten. Gerade zwischen 1918 und 1945 machte es oftmals einen erheblichen Unterschied, ob man auf dem Land oder in der Stadt aufwuchs, im katholischen oder im Arbeitermilieu, ob in einer bürgerlichen Klein- oder in einer bäuerlichen Großfamilie. Wie veränderten sich damals die Familienstrukturen, wie die schulische Erziehung? Außerdem bestimmten neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung zunehmend das jugendliche Leben und Streben.

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Katholisches Milieu und Nationalsozialismus

Wie oben bereits ausführlich dargelegt, galt das katholische Milieu trotz aller regionalen Abstufungen und verschiedenen Ausprägungen als der wohl stabilste derartige Lebenszusammenhang. Dennoch ist Beantwortung der Frage nach der Stabilität des katholischen Milieus in der NS-Zeit schwierig, weil stets auch die „terroristische Atmosphäre“ jener Jahre zu berücksichtigen bleibt. Zur Frage, wo „der Katechismus“ im Alltagshandeln wirksam geblieben sei, lassen sich nach Joachim Kuropka daher lediglich Indizien anführen. So sei die NSDAP bis zur Reichstagswahl vom 5. März 1933 in katholischen Kreisen nur auf wenig Zustimmung gestoßen. Natürlich habe die „Gleichschaltung“ dann auch in katholisch geprägten Gebieten stattgefunden, das NS-Regime das öffentliche Leben beherrschte und die Bevölkerung sich „in die formalen Anforderungen“ gefügt. „Allerdings gelang kein Einbruch in das Milieu.“[1]Im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Großgruppen könne nämlich für die katholischen Milieus festhalten werden, dass diese trotz der Auflösung der Zentrumspartei und dem allmählichen Zurückweichen der Vereine und Verbände eben stets über „hauptamtliches Personal“ - also den Klerus – verfügt hätten und mittels Kirchen, Pfarrheimen, Exerzitienhäusern, Presseerzeugnissen und vor allem durch den Gottesdienstbesuch den Gläubigen weiterhin milieuinterne Kommunikationsmöglichkeiten geboten hätten. Daher, so Kuropka, habe aus den deutlich wahrnehmbaren Verlusten eher eine Intensivierung des Milieuzusammenhangs resultiert.[2]

Ein so bewahrter Milieuzusammenhang musste aber nicht zugleich auch eine ausgeprägte Resistenz gegen das NS-Regime zur Folge haben. So kommen etwa Gerhard Paul und Klaus-Michael Mallmann mit Blick auf die Situation im Saarland zu dem Befund, dass sich der Unmut der katholischen Bevölkerung insbesondere gegen die NSDAP, hingegen weitaus weniger gegen den von ihr domminierten Staat gerichtet habe. Zugleich heben sie hervor, dass sich solche Unmutsäußerungen dann auch keineswegs in einer prinzipiell staatskritischen Einstellung verdichtet, sondern sich in aller Regel allein auf die Maßnahmen gegen Kirche und Religion konzentriert hätten.[3]

Bei jeder Annäherung an das katholische Milieu sind somit stets mehrere Fragen zu stellen. Bis zu welchem Grade entzogen sich Katholiken in ihren jeweiligen Milieus tatsächlich den zahlreichen „Versuchungen“ des NS-Staates oder stellten sich ihnen gar aktiv entgegen? Wo gab es Übereinstimmungen, wo Verständnis, wo Kooperationsbereitschaft? Und immer wieder: Wo, wann, warum und durch wen? Die Beantwortung solcher und zahlreicher weiterer Fragen hängt naturgemäß auch stets mit dem konkreten Zeitraum zusammen, auf den sie sich beziehen, denn –darauf macht etwa Michael E. O’Sullivan mit Recht aufmerksam - die Entwicklung der Beziehungen zwischen Katholiken und NS-Regime durchlief in aller Regel zumindest zwei Phasen. „In den ersten Jahren des Regimes protestierte die katholische Bevölkerung in den Dörfern und Städten, die über ein dichtes Netzwerk konfessioneller Vereine verfügten, gegen Verletzungen des Konkordats, auch wenn sie gleichzeitig anderen Aspekten der Politik des Regimes zustimmte. Nach 1936 ließ die Kirchenführung die Auflösung vieler einflussreicher katholischer Vereine durch die Nationalsozialisten zu und führte eine Umorganisation der religiösen Praxis auf der Grundlage der Gemeinde, des Klerus und der Katholischen Aktion durch.“ Trotz einiger weniger „Akte der Resistenz“ sei die katholische Kirche durch die Maßnahmen des NS-Regimes ernsthaft beeinträchtigt worden, was beispielsweise darin zum Ausdruck gekommen sei, was sich mit Blick auf junge Katholiken darin gezeigt habe, dass im Gegensatz zu jungen Kirchgängern auf dem Land (groß-) städtische junge Menschen weit stärker aus dem Gemeindeleben zurückgezogen hätten. Ohne die Organisation und die Faszination einer Massenbewegung katholischer Jugend, so die Schlussfolgerung, habe die Religionsausübung Einbußen hinnehmen müssen, zumal die Hitlerjugend das religiöse Leben durch Gruppenzwang, Drohungen und Einschüchterung permanent behindert habe. [4]

Aber auch ohne solche eher direkte Eingriffe darf nicht verkannt werden, dass der in ihren Kreisen bereits vor 1933 diskutierte „Gemeinschaftsgedanke“ es gerade jungen Katholiken erleichterte, sich nach der NS-Machtübernahme vom politischen Katholizismus zu verabschieden. Das Bild vom Untergang der Zentrumspartei und deren vorpolitischen Organisationen, so die Forschungsergebnisse von Christoph Kösters, seien „im Gegenlicht der Hoffnung, ein neues, von Katholiken mitgestaltetes christlich-nationales Deutschland werde nun Wirklichkeit“, verblasst. Zusätzlich hierzu hätten Signale „von oben“, insbesondere der Abschluss des Reichskonkordats, eine weitgehende Koexistenzbereitschaft in Gang gesetzt. [5]

Aber auch hier gilt es den Zeitfaktor gebührend zu berücksichtigen. Der Wille zur Zusammenarbeit erlitt seitens der katholischen Jugend nämlich spätestens seit 1934 erhebliche Rückschläge, als von NS-Seite dazu übergegangen wurde, das weltanschaulich konkurrierende katholische Vereinswesen in den kirchlichen Binnenraum zurückzudrängen. Zeitgleich führten die heftig ausgetragenen weltanschaulichen Auseinandersetzungen um das „Neuheidentum“ besonders auch den aktiven Laien vor Augen, dass die religiösen Deutungsmuster des katholischen Milieus durch den NS-Staat in einer sehr viel radikaleren Weise bedroht waren, als dies jemals zuvor der Fall gewesen war. 1935 wurde den katholischen Jugendverbände dann jede nicht kirchlich-religiöse Betätigung, 1937 schließlich die katholischen Jungmännervereine verboten. Folge dieser Entwicklungen war ein „Aufbruch nach innen“, wobei sich insbesondere auf dem Lande eine „moderne“ Form der Pfarrjugendarbeit durch, in deren Zentrum die bewusste und entschiedene Bindung an den christlichen Glauben und die katholische Kirche stand. Hier, so Christoph Kösters, habe - über den Rückhalt in einem sich gegen den Modernisierungsprozess abgrenzenden katholischen Milieu hinaus- eine weitere Wurzel für die Resistenz der vor allem jugendlichen Katholiken gegenüber dem NS-Regime gelegen. Deren Zahl nahm aber zugleich deutlich ab und spätestens Ende der dreißiger Jahre zeichnete sich immer deutlicher die Kehrseite dieses „innerkirchlichen Aufbruchs“ ab: „Junge Kirche“ fand – insbesondere in Städten - zunehmend nur noch „im Abseits von Sakristei und Pfarrhaus“ statt, während das Gros auch der katholischen Jugend durch die entsprechenden NS-Organisationen erfasst wurden. Dadurch sei, so resümiert Kösters, in der NS-Jugendgeneration und hier besonders bei der „Kriegsjugend“, eine empfindliche Lücke entstanden, „die auf lange Sicht das Milieu in seinen Grundfesten“ erschüttert habe.

Als wahre und dauerhaft stabile Pfeiler des katholischen Milieus erwiesen sich hingegen die Frauen. Nachdem auch sie in ihrerüberwiegenden Mehrheit das NS-Regime zunächst unterstützt oder toleriert hatten, formierten sie sich laut Michael E. O’Sullivan im Laufe der 1930er Jahre und während des Krieges dann zu einem wahren „katholischen Bollwerk“. „Als der Nationalsozialismus die Männer aus den öffentlichen religiösen Rollen verdrängte, bewahrten Frauen im privaten Bereich die katholischen Traditionen und stellten die Politik des Dritten Reiches in Bezug auf Jugend, Erziehung und Religion in einigen Bereichen in Frage.“[6] Frauen wurden für das Überleben der katholischen Traditionen gerade in urbanen Gebieten immer wichtiger. Angesichts der in dieser Hinsicht zusehends abgewerteten Rolle der Schulen, dem Fehlen eigener Jugendgruppen und dem Rückgang der männlich geprägten Vereinsstrukturen war der Klerus auf eine loyale und aktive Generation katholischer Mütter angewiesen, um die Spiritualität der katholischen Bevölkerung und eine religiösen Erziehung aufrechtzuerhalten. Die Arbeit, die zuvor vorrangig in den Schulen geleistet worden war, wurde nun an der „heimischen Front“ geleistet.[7]

Angesichts der je nach Untersuchungsgebiet unterschiedlichen Ausprägungen und Wirksamkeiten des katholischen Milieus kommt Cornelia Rauh-Kühne dann auch zu einer vorsichtig abwägenden und in vielen Teilen eher skeptischen Einschätzung von deren potenzieller Resistenz gegenüber dem NS-Regime. Wenn man bereit sei, allein schon die Wahrung kultureller Identität als eine Form von „Resistenz“ anzuerkennen, so sei der Katholizismus sicherlich als „diejenige soziale Macht anzuerkennen“, die die wirksamste „Herrschaftsbegrenzung“ gegenüber dem Nationalsozialismus dargestellt habe, wobei solche Ergebnisse aber nur schwerlich auf konfessionell weniger homogene und sozio-ökonomisch modernere Regionen übertragen werden könnten. Je größer nämlich die berufliche und geographische Mobilität gewesen sei, desto deutlicher habe die jeweilige Gesellschaft eine Tendenz zum Traditionsbruch aufgewiesen. Dadurch wiederum sei dann naturgemäß die Stabilität hier angesiedelter katholischer Milieus und deren Bekennermut beeinträchtigt worden; etwa in der von Rauh-Kühne untersuchten badischen Kleinstadt Ettlingen oder im von Gerhard Paul untersuchten Saarland, wo die entsprechende Bilanz der zwölfjähriger NS-Herrschaft daher „deutlich verhaltener ausfallen“ würde. „Aber ungeachtet solcher notwendigen Modifizierungen, bleibt zu konstatieren: Keine andere gesellschaftliche Großgruppe hatte sich in ähnlicher Weise gegen Überfremdungs- oder Zerstörungsversuche des NS-Staates wehren können, weder die kirchentreuen Protestanten, die nach 1933 längst kein Milieu im eigentlichen und überlokal geltenden Sinne mehr bildeten, noch die freilich unvergleichlich schärfer als die Anhänger christlicher Kirchen bekämpften Sozialdemokraten oder Kommunisten, deren Milieuorganisationen 1933 reichsweit restlos zerschlagen worden waren und deren informeller Zusammenhalt sich - vom Exil abgesehen - binnen kurzem nur noch auf kleine Oppositionellenzirkel beschränkte.“[8]

Weil Lokal- und Regionalstudien zeigen würden, dass auch katholische Sozialmilieus von den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen des Nationalsozialismus nicht unberührt geblieben seien, fällt Cornelia Rauh-Kühnes Gesamturteil bezüglich deren Stabilität und Resistenz während der NS-Zeit eher skeptisch aus. Die „Verstaatlichung des Alltags“ habe eben auch vor dem katholischen Milieu nicht halt gemacht, weshalb sich dessen Angehörige - oft von ihnen selbst unbemerkt – den NS-Verhaltensstandards angepasst hätten, was zu deren „ideologischer Vereinnahmung und propagandistischer Desorientierung“ geführt habe. Gerade in der „Nahoptik“ von Mikrostudien[9] falle nicht nur „die bemerkenswerte Anpassungsbereitschaft vieler Katholiken in der Frühphase der NS-Herrschaft“ ins Auge, sondern es werde zudem schmerzhaft deutlich, „dass die voranschreitende Vereinnahmung der deutschen Öffentlichkeit als Reaktion auf die wirtschaftlichen, sozialen und außenpolitischen ‚Erfolge‘ nationalsozialistischer Politik auch vor den kirchentreuen Katholiken“ nicht haltgemacht habe.[10]

Das Gesamturteil zum Beharrungsvermögen des katholischen Milieus zwischen 1933 und 1945 fällt entsprechend nüchtern aus: Wenn katholisches Kirchenvolk und seine Kirche in den Berichten der Gestapo der Regionen mit nennenswertem katholischen Bevölkerungsanteil übereinstimmend und bis zum Kriegsende nahezu unverändert als „der gefährlichste Gegner“ firmiert hätten, „den die nationalsozialistische Herrschaft noch nicht bezwungen“ habe, so lag dem nach Ansicht Cornelia Rauh-Kühnes eine für den totalitären Charakter der NS-Herrschaft typische Fehlannahme zugrunde: „Aus der Perspektive der Machthaber stellten die über Generationen gewachsene Innenbindung des katholischen Milieus sowie die im Katholizismus traditionell praktizierte symbolische Demonstration des Gruppenzusammenhalts eine vermeintlich politische Absage an die nationalsozialistische ‚Volksgemeinschaft‘, ja an den nationalsozialistischen Staat dar, als die sie gar nicht gemeint waren. Auch das Desinteresse, das man dem politischen Aktivismus der Partei und ihrer Nebenorganisationen vielerorts entgegenbrachte, drückte oft weniger weltanschaulichen Dissens aus als eine traditionell unpolitische Haltung der Landbevölkerung bzw. im katholischen Milieu der Städte einen verbreiteten Unwillen, von überkommenen bürgerlichen Verhaltensstilen Abschied zu nehmen.“ Und noch seltener, so rundet die Historikerin ihr Urteil ab, hätten Resistenz oder Dissens den Rückhalt für oppositionelles Verhalten geboten, das daher fast ausschließlich Sache der geistlichen Führer des Katholizismus geblieben sei, wobei sich insbesondere der niedere Klerus hervorgetan habe, dessen Wirken unter dem NS-Regime bislang aber noch kaum erforscht sei.[11]

Fußnoten

[1] Kuropka, Erosion, S. 399 und 402. Becker, Milieu, S. 44, hebt in diesem Kontext die besondere, „bis heute nicht annähernd gewürdigte Bedeutung“ hervor, die der schrittweisen Vernichtung der katholischen Presse als einer der entscheidenden Stützen des Milieus zukomme. „Unter dem Druck der NS-Diktatur verschwanden die vielen meist kleinen Zeitungen der breit gestreuten, oft privat finanzierten regionalen Zentrums-Presse.“

[2] Kuropka, Regionalmilieus, S. 10f. Vgl. hierzu etwa mit gleichem Befund Zumholz, Milieu, S. 442: „Auf die Versuche der Nationalsozialisten, im Emsland das katholische Milieu zu zerstören und an seiner Stelle ein NS-Milieu zu etablieren, reagierten die Emsländer mit einer Intensivierung der Milieukultur in Verbindung mit einer Verkirchlichung der Milieustrukturen sowie zeitweiligen leichten Erosionserscheinungen an den Milieurändern. Unter nationalsozialistischem Außendruck fand somit keine Auflösung, sondern ein Gestaltwandel des katholischen Milieus statt.“ Fünf Jahre nationalsozialistischer „Aufbauarbeit“, Indoktrination und zum Teil auch massiven Terrors hätten, so heißt es ebenda, S. 432, „abgesehen von Einzelfallen kaum Wirkung auf die religiöse und regionale Mentalität der emsländischen Katholiken“ gezeigt. Insofern hätten sich die emsländischen Pfarreien als „Milieukerne“ zugleich als geradezu „uneinnehmbare Festungen“ erwiesen. (Ebenda, S. 427f.) Etwas neutraler und zurückhaltender urteilen Walter/Matthiesen, Milieus, S. 63: „Tatsächlich lässt sich auch der weitere Weg des katholischen Milieus nach 1933 nicht modernisierungstheoretisch verkürzen und apodiktisch als ein Prozess stetiger Auszehrung beschreiben. Im Gegenteil. Bis auf die Caritas hatte zwar kein Verband die nationalsozialistische Zeit als Organisation überstanden, doch war das katholische Milieu dadurch nicht zerstört worden. Es war, wie immer, wenn es in die Defensive gedrängt wurde, eher noch enger zusammengerückt, hatte sich lediglich aus der Verbandsöffentlichkeit in die Pfarrheime und Sakristeien zurückgezogen. Das katholische Milieu war in den zwölf Jahren Nationalsozialismus nicht verschwunden, es war nur amtskirchlicher geworden.“ S. 55f. urteilen sie: „Kein Zweifel: Hätte es solche Milieus flächendeckend und für alle Parteien in Deutschland gegeben, der Nationalsozialismus hätte niemals die Dynamik entwickeln und die Resonanz bei den Wählern erzielen können, die ihn schließlich im Verbund mit der Unterstützung der alten Eliten an die Macht brachten.“

[3] So zusammenfassend Zumholz, Milieu, S. 432

[4] O´Sullivan, Resistenz, S. 226ff.

[5] Kösters, Verbände, S. 574ff. Dort auch das Folgende. Becker, Milieu, S. 42f. urteilt: „Insgesamt aber dürfte außer Zweifel stehen, dass das NS-Regime mit seiner rigiden, weltanschaulich-propagandistisch unterfütterten Organisations- und Verbotspolitik vorsätzlich und erfolgreich die Zerstörung des katholischen Milieus betrieben hat, weil das katholische Verbands- und Parteiwesen der nationalsozialistischen Ideologie der Volksgemeinschaft diametral widersprach und vor Ort von den Parteistellen als Provokation empfunden wurde. Schließlich blieb den Vereinen nur der Rückzug auf die rein religiös definierten Treffen, der „Aufbruch nach innen“, der zwar eine vor 1933 erkennbare Entwicklungslinie fortsetzte, jedoch einen tiefen Bruch mit dem bisher öffentlichen Auftreten des Verbandskatholizismus bedeutete.“

[6] O´Sullivan, Resistenz, S. 218. Das kam laut Kuropka, Erosion, S. 400, beispielhaft im Rahmen des Ende 1936 vorwiegend von Müttern getragenen „Kreuzkampfes“ – also der Verbannung von Kreuzen etwa aus den Schulen - zum Ausdruck. Hierbei handelte es sich um einen der wenigen Fälle, in denen sich das Volk - wenn auch nur kurzfristig - gegen das NS-Regime behaupten konnte. Es war habe sich dabei zwar um ein eher religiöses Phänomen gehandelt, das aber eine politische Dimension gehabt habe. So bemerkte beispielsweise der Amtshauptmann in Cloppenburg zu den Vorfällen: „Mit einem Schlage ist eine Einheitsfront der gesamten Bevölkerung hergestellt, die sich offenbar allein gegen den Nationalsozialismus richtet.“

[7] O´Sullivan, Resistenz, S. 227ff.

[8] Rauh-Kühne, Anpassung, S. 153. Vgl. dort, S. 153f., auch zum Folgenden.

[9] Die Autorin resümiert und fordert in dieser Hinsicht ebenda, S. 157: „Bisherige Forschungen zeigen, dass die Inszenierung des Konflikts zwischen Katholiken und Nationalsozialismus örtlich sehr unterschiedlichen Motivationslagen und Zeitplänen folgte. Phasen bereitwilliger Anpassung und standhafter Widersetzlichkeit gegen Eingriffe in das kirchliche Leben lösten einander oft ab und konnten in verschiedenen Regionen gleichzeitig auftreten. Die Intensität der Konflikte zwischen Kirchenvolk und NS-Herrschaft hing nicht zuletzt davon ab, wie gefestigt das katholische Milieu und wie stark die lokale nationalsozialistische Bewegung zum Zeitpunkt der Machtübernahme war, ob beide Seiten über Integrationsfiguren aus den Reihen der lokalen Honoratioren verfügten und ob bereits vor 1933 ein konfrontatives Verhältnis zwischen Nationalsozialisten und katholischem Milieu oder katholischen Repräsentanten bestanden hatte. Um daher Einstellungen und Verhaltensweisen von Katholiken gegenüber dem Nationalsozialismus besser aufhellen zu können, bedarf es vor allem weiterer langfristig angelegter Mikrostudien, die sich als qualitative Analyse Politischer Kultur verstehen müssten. Dabei wird es darauf ankommen, die lebensweltlichen Erfahrungen der Zeitgenossen mit ihrer Kirche, ihrem Milieu aber auch der Weimarer Demokratie und der nationalsozialistischen Herrschaft ernst zu nehmen.“

[10] In diesem Kontext weist Rauh-Kühne, Anpassung, S. 155, besonders auf „die frappierende Reibungslosigkeit“ hin, „mit der auch im unmittelbaren Erfahrungshorizont einer kirchentreuen katholischen Bevölkerung die Entrechtung politisch und rassisch Verfolgter“ vonstattengegangen sei, solange sich die von solchem Terror und derartiger Diskriminierung Betroffenen außerhalb ihres Milieus befunden hätten.

[11] Rauh-Kühne, Sozialmilieu, S. 232f.

zuletzt bearbeitet am: 13.09.2016