Die 1920er Jahre waren ein Jahrzehnt aufstrebender Jugendgruppen und von deren Organisationen. Ob konfessionell, politisch oder bündisch orientierte Gruppen: sie nahmen erheblich an Größe zu, gewannen deutlich an Selbstvertrauen und traten mit Beginn der 1930er Jahre zunehmend formiert und uniformiert auf. Nach 1933 beanspruchte dann die Hitlerjugend den Alleinvertretungsanspruch für den Jugendbereich, während alle anderen Gruppierungen nach und nach verboten wurden. Das rief schließlich – und besonders im Krieg - die Gruppen unangepasster Jugendlicher auf den Plan.
Namensgebend für die „Deutschen Jungenschaft" war ihr Gründungsdatum am 1. November 1929, was zur weitbekannten Abkürzung als dj.1.11. führte. Initiator war der 1907 geborene Eberhard Koebel („tusk"), der über den deutschnational orientierten Deutsch-Wandervogel den Weg zur Deutschen Freischar gefunden hatte. Er verließ den Bund im Herbst 1929 und rief als Akt des „Aufstands der Jungen" die dj.1.11. ins Leben. Damit revolutionierte er die bündische Jugend in mehrfacher Hinsicht, denn es handelte sich nicht nur um den ersten Bund, der sich gegenüber technischen Neuerungen offen zeigte, sondern der sich auch völlig neuen kulturellen Richtungen öffnete. Nicht mehr nur das Interesse an der Natur bestimmte das Gruppenleben der dj.1.11., sondern auch Architektur, Philosophie, Moderne Kunst, Chorgesang und eignes Liedgut, skandinavische und russische Literatur, Folklore, Mythologie und das Heldenideal des japanischen Samurai hielten Einzug ins Bundesleben. [1]
Die dj.1.11 erfuhr unmittelbar nach ihrer Gründung aufgrund der neuen Ausrichtung einen hohen Zulauf und etablierte sich entsprechend schnell in der bündischen Szene. Koebel, der in dem Bund die Vorstufe einer allgemeinen deutschen Jungenschaft sah und sich selbst als „Jugendgeneral" verstand, eröffnete den Jugendlichen neue Horizonte und Perspektiven. Er, der von 1926 bis 1929 Graphik und Buchkunst an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule studiert hatte, gab nicht nur der dj.1.11., sondern der gesamten bündischen und jugendbewegten Jugend vollkommen neue Stilformen, die sich an der Moderne - vor allem dem Bauhaus - orientierte und neben klaren Linien in der Buch- und Zeitschriftengestaltung insbesondere die Kleinschreibung in deutsche Jugendzimmer brachte. Da sich die Jungen als „Selbsterringende" verstehen sollten, denen es um Neugestaltung ging, sollten sie sich zu „heldenhaften Jungen und Führern" entwickeln. Als wesentliches Mittel zu solcher Persönlichkeitsentwicklung sah Koebel extreme Fahrten und Lager, wodurch eine Nordland- und Russlandromantik einen ungeheuren Aufschwung erlebte. Dabei erfuhr auch der Fahrten- und Lebensstil eine tiefgreifende Weiterentwicklung, indem die bisherigen bündischen „Fahrten" um regelrechte Expeditionen und arbeitsorientierte Lager erweitert wurden. Sport spielte wie in fast allen Jugendgruppen der Zeit eine zentrale Rolle, allerdings lehnte man in der dj.1.11 Leistungs- und Wehrsport bewusst ab.
Koebel entwarf auch ein weiteres stilbildendes Kennzeichen des Bundes, die aus blauer Jungenschaftsjacke („Juja"), kurzer dunkler Hose, Koppelschloss mit der Aufschrift dj.1.11, einem blauen Schiffchen als Kopfbedeckung, Schulterriemen und einer blauen Kordel an der rechten Brustseite bestehende Kluft der dj.1.11. Ebenso auffällig und wirkungsmächtig war die Einführung der „Kothe" als Fahrtenzelt und der Balalaika und des Banjos als Instrumente.
Trotz hohen Zulaufs gab es in der dj.1.11. ein reglementiertes Aufnahmeverfahren, indem über eine Mitgliedschaft jeweils im Einzelfall und nach einer Probezeit entschieden wurde. Wenn es dann zur Aufnahme kam, gestaltete die sich feierlich „vor der Fahne des Gaues oder des Bundes". Die Mitglieder der dj.1.11 rekrutierten sich vorwiegend - auch wenn das kein ausgesprochenes Ziel des Bundes war - aus Kreisen der höheren Schüler und somit des Bürgertums. Ihre Altersspanne bewegte sich in der Regel zwischen zehn und 18 Jahren, die Führerfunktionen hingegen wurden von volljährigen Mitgliedern übernommen.
Nachdem Koebel Mitte der 1920er Jahre Bewunderer der Nationalsozialisten gewesen war und Hitler 1925 in München besucht hatte, verstand sich die dj.1.11. zunächst ausdrücklich als autonome Jungenschaft ohne klare parteipolitische Orientierung. Die Wirren der frühen 1930er Jahre führten zu einer zunehmenden Linksorientierung und dann zu einer - zumindest für Außenstehende - überraschenden politischen Entscheidung: Im Herbst 1931 trat mit Eberhard Koebel die gesamte Leitung des Bundes in die Kommunistische Partei (KPD) bzw. den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) ein, um dort der „Abwehr der nationalsozialistischen Verhetzung" zu dienen. Auch zahlreiche weitere dj.1.11-Mitglieder traten der Kommunistischen Partei bei. Mit diesem Schritt gab „tusk" zugleich die Leitung der dj.1.11. ab, die schnell auf rund 300 Mitglieder schrumpfte.
1933 schloss sich die dj.1.11. nicht dem Großdeutschen Bund an, sondern führte mit der Reichsjugendführung - wohl mit Wissen und Zustimmung Koebels - Gespräche über eine Kooperation mit dem Jungvolk, um innerhalb der HJ mit einem „1.000-Mann-Jungenschafttsbund" das jungenschaftliche Leben fortsetzen zu können. Es kam zu lokalen Übertritten von dj.1.11.-Gruppen ins Jungvolk, was in einigen Fällen sogar dazu führte, dass das Jungvolk von dem Bund dominiert wurde. Letztlich jedoch scheiterten solche Kooperationsversuche am Totalitätsanspruch der Reichsjugendführung, die sicherlich gerne dj.1.11.-Führer in die Reihen der HJ übernahm, nicht jedoch deren bündische und jungenschaftliche Lebensformen. Allerdings traten insgesamt nicht wenige dj.1.11.-ler in Jungvolk und HJ über und übernahmen dort Führerfunktionen.
Andere wählten nach 1933 den Weg in den Untergrund, weil für sie eine Mitgliedschaft in Reihen der Hitlerjugend keine Option darstellte. Auch viele Jungenschaftsgruppen existierten trotz mehrfacher Verbote fort, deren Angehörige nun aber in großen Teilen aus anderen, zwischenzeitlich verbotenen Bünden kamen. Sie gingen trotz aller Repressalien weiter auf Fahrt, trafen sich soweit möglich zu Gruppenstunden und pflegten ihre Kultur. Einige dieser Gruppen gingen auch zum aktiven Widerstand über. In mehreren Städten wurden in der ersten Zeit nach 1933 gemeinsam mit anderen Gruppierungen HJ-Angehörige überfallen, wobei es teilweise zu regelrechten Straßenschlachten kam.
Wegen ihrer Beteiligung am aktiven Widerstand wurden - wenn auch nicht unmittelbar wegen ihrer dj.1.11.-Mitgliedschaft - später auch mehrere ehemalige Bundesangehörige hingerichtet. Zu nennen sind etwa Hans Scholl und Willi Graf von der „Weißen Rose". Andere saßen in Konzentrationslagern und Zuchthäusern ein oder fanden während des Krieges in so genannten Bewährungseinheiten den Tod.
Eberhard Koebel, der die KPD im Frühjahr 1933 wieder verlassen und vergeblich versucht hatte, eine leitende Funktion in der HJ zu bekommen, wurde im Januar 1934 von der Gestapo verhaftet. [2] Nach zwei Selbstmordversuchen wurde er im Februar des Jahres allerdings entlassen und emigrierte im Sommer über Schweden nach Großbritannien, wo er den Krieg er- und überlebte. Bis heute ist seine Person - auch in bündischen Kreisen - umstritten.
Die dj.1.11-Jungenschaft jedenfalls war sicher eine jener bündischen Gruppen, die in der kurzen Zeit ihrer Existenz in höchstem Maße Stil prägend wirkte und deren Mitglieder sich die vergleichsweise resistent gegenüber der nationalsozialistischen Politik erwiesen. So wurde - neben dem Fortbestand illegaler dj.1.11-Gruppen - der Bund häufig zu einem der Vorbilder für unangepasste Jugendliche, die sich während der NS-Zeit nicht von der HJ und ihrem Dienst dominieren lassen wollten.