Die 1920er Jahre waren ein Jahrzehnt aufstrebender Jugendgruppen und von deren Organisationen. Ob konfessionell, politisch oder bündisch orientierte Gruppen: sie nahmen erheblich an Größe zu, gewannen deutlich an Selbstvertrauen und traten mit Beginn der 1930er Jahre zunehmend formiert und uniformiert auf. Nach 1933 beanspruchte dann die Hitlerjugend den Alleinvertretungsanspruch für den Jugendbereich, während alle anderen Gruppierungen nach und nach verboten wurden. Das rief schließlich – und besonders im Krieg - die Gruppen unangepasster Jugendlicher auf den Plan.
Sport spielte im Dienst der HJ eine große Rolle. Zwei Stunden Sport pro Woche waren sowohl für die Jungen als auch für die Mädchen Pflicht. Von 1934 bis 1936 gab es dafür sogar samstags schulfrei: Der „Staatsjugendtag" sollte ausschließlich der „körperlichen Ertüchtigung" dienen. Einem Selbstzweck diente dies allerdings nicht. Ziel war es vielmehr, die Begeisterung vieler Jugendlicher für den Sport für die Bildung einer geschlechtsspezifischen Typenbildung zu nutzen: Bei den männlichen Jugendlichen sollte die Voraussetzung für die „Wehrfähigkeit" geschaffen werden, bei den weiblichen Jugendlichen für die Gesunderhaltung des Körpers im Sinne des nationalsozialistischen Rasse- und Volksgemeinschaftsgedankens gesorgt werden.
Sport hatte sich seit den 1920er Jahren sowohl für die männlichen als auch für die weiblichen Jugendlichen zu einer attraktiven Freizeitbeschäftigung mit einer enormen Breitenwirkung entwickelt. Dabei gerieten die „Leibesübungen" für die Mädchen zum Ausdruck eines neuen natürlichen Körperbewusstseins: Weg von Korsetts und hohen Absätzen hin zu gesunder Kleidung und einem „durchgebildeten" Körper. Anfang der 1930er Jahre gehörten über eine Million Jugendliche einem Sportverein an. Damit waren die Vereine die mitgliederstärksten Jugendorganisationen überhaupt.[1]
Insofern knüpfte die HJ bei der Gestaltung ihres Dienstes an eine attraktive Freizeitbeschäftigung an. Sie nutzte die Beliebtheit des Sports aber nicht nur als Werbung für die HJ, sondern zugleich als Druckmittel: Ab 1934 war die Mitgliedschaft der 10- bis 16-Jährigen in einem Sportverein an die Mitgliedschaft in der HJ gebunden. Damit konnte die HJ einen erneuten Mitgliederzuwachs verzeichnen und zudem viele Jugendliche an sich binden, die ihrem Ideal des gesunden und körperlich leistungsfähigen Jugendlichen entsprachen. 1936 übernahm die HJ dann vom Deutschen Reichsbund für Leibesübungen die gesamte Zuständigkeit für die 10- bis 14-jährigen, sie löste also die entsprechenden Jugendabteilungen der Sportvereine auf.[2] Mit dem Gesetz über die Hitler-Jugend wurde auch die Zuständigkeit für den jugendlichen Leistungssport der HJ übertragen.[3] Der Leistungssport fand zwar nach wie vor in den Vereinen des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen statt, wurde nun jedoch von ausgebildeten HJ-Führern geleitet bzw. von Trainern, die nun HJ-Führer werden mussten.
Die HJ bildete aber auch selbst sogenannte Sportwarte und Sportwartinnen aus, um den Sport in den einzelnen Einheiten auf eine solide und nicht gesundheitsschädliche Grundlage zu stellen. Dafür fanden Sportlager und Kurse statt. Allein 1935 wurden im BDM 136.000 Führerinnen, Sportwartinnen und Mädel ausgebildet, davon 8.200 in Langschulungen über 14 Tage, 85.000 in Kurzschulungen nicht über fünf Tage, 42.000 in Sport- und Freizeitlagern und 850 in Skikursen.[4]
Zudem wurden für alle vier HJ-Gliederungen Dienstbücher herausgegeben, in denen die „Leibesübungen" genau dargestellt wurden: Pimpf im Dienst, HJ im Dienst und Mädel im Dienst. Hier wurde auch die ideologische Zielsetzung des HJ-Sports formuliert, der zufolge die Leibesübungen in der HJ der Heranbildung einer „gesunden, leistungsfähigen und wehrfähigen Jugend" dienen sollten, die „schnell, gewandt, kräftig, ausdauernd, entschlossen und hart" war.[5] „Flink wie ein Windhund, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl" war das Ideal nach einem vielzitierten Satz der Rede Hitlers auf dem Reichsparteitag 1935. Daher sollten bereits die 10- bis 14-jährigen im Jungvolk zu „Mut, Entschlossenheit, Kampfeswillen und Härte gegen sich selbst" erzogen werden, um sie für die „Schulung in der Hitler-Jugend, für die Ausbildung in der Wehrmacht, für den Dienst in der SA, SS und anderen Gliederungen der Partei und für den Leistungssport der Turn- und Sportvereine" vorzubereiten.[6]
Auch der Sport im BDM galt einem höheren Zweck. Hier stand neben dem Anspruch, die Mädchen zu disziplinieren, der Volksgemeinschaftsgedanke im Vordergrund: „Du bist nichts, dein Volk ist alles!"[7] Dementsprechend sollten sie „Körper und Seele kräftigen und stählen, dass sie fähig sind, Deutschland ein gesundes, starkes Geschlecht zu schenken."[8]
Gleichwohl traten solche Ideen in der Praxis gegenüber der Freude an der Bewegung zurück. Für viele Mädchen bot der BDM-Sport zudem überhaupt zum ersten Mal die Möglichkeit, sich sportlich zu betätigen, weshalb dem Sport auch ein emanzipatorischer Aspekt zugeschrieben wurde.
In welchem Maße der Sport jedoch für jeden sichtbar ideologisch durchdrungen war, wird im Vergleich mit denjenigen deutlich, die unsportlich waren und deshalb als Außenseiter behandelt wurden: Wer nicht dem Ideal des sportlichen Jugendlichen entsprach, bekam sehr schnell den Eindruck vermittelt, außerhalb der „Volksgemeinschaft" zu stehen.
Zur Förderung sportlicher Leistungen, aber auch als Kontroll- und Druckmittel, wurden 1934 für HJ und BDM, 1935 auch für Jungvolk und Jungmädelbund Leistungsabzeichen eingeführt. Für deren Verleihung mussten die Jugendlichen vorgegebene Mindestanforderungen u.a. in Leichtathletik und Turnen erfüllen. Bis 1943 wurden insgesamt 103.061 HJ-Leistungsabzeichen in Bronze ausgegeben, 217.093 in Silber, 152.600 DJ-Leistungsabzeichen, 115.521 BDM-Leistungsabzeichen in Bronze, 58.734 JM-Leistungsabzeichen und 11.063 Führersportabzeichen.
Einen zusätzlichen Leistungsansporn boten die zahlreichen Sportwettkämpfe der HJ auf Reichs-, Gebiets- und Bannebene sowie die Meisterschaften und Sportfeste des BDM, die nun pflichtmäßig durchgeführt wurden. Sie dienten gleichzeitig dazu, die Jugendlichen in einem Zustand der permanenten Mobilisierung der Leistungsbereitschaft zu halten und ihren Aktivismus in systemkonforme Bahnen zu lenken.[9]
[1] Vgl. Reese, Strraff, aber nicht stramm - herb, aber nicht derb, S. 63-66
[2] Vgl. Hitler-Jugend 1933-43, in: Das junge Deutschland, Nr. 1., 1943, S. 18
[3] Vgl. ebd., S. 31
[4] Vgl. ebd., S. 24
[5] Vgl. HJ im Dienst, 1940, S. 27
[6] Vgl. Pimpf im Dienst, 1934, S. 10f.
[7] Mädel im Dienst, 1934, S. 7
[8] Ebd., S. 8
[9] Vgl. Pahmeyer/van Spankeren, Die Hitlerjugend in Lippe, 165f.
zuletzt bearbeitet am: 05.07.2016