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Jugendgruppen

Die 1920er Jahre waren ein Jahrzehnt aufstrebender Jugendgruppen und von deren Organisationen. Ob konfessionell, politisch oder bündisch orientierte Gruppen: sie nahmen erheblich an Größe zu, gewannen deutlich an Selbstvertrauen und traten mit Beginn der 1930er Jahre zunehmend formiert und uniformiert auf. Nach 1933 beanspruchte dann die Hitlerjugend den Alleinvertretungsanspruch für den Jugendbereich, während alle anderen Gruppierungen nach und nach verboten wurden. Das rief schließlich – und besonders im Krieg - die Gruppen unangepasster Jugendlicher auf den Plan.

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Bündische Jugend und Hitlerjugend – Eintracht oder Konkurrenz?

Die erste Amtshandlung Baldur von Schirachs nach seiner Ernennung zum Jugendführer des Deutschen Reiches am 17. Juni 1933 bestand darin, den Reichsausschuss der deutschen Jugendverbände und den Großdeutschen Bund aufzulösen sowie dessen gesamtes Eigentum zu beschlagnahmen. Damit gab es kaum mehr bündisches Leben, denn nun waren - bis auf die Reichsschaft Deutscher Pfadfinder - all jene Bünde und Verbände verboten worden, die sich bis dahin den Eingliederungsaufforderungen der HJ widersetzt hatten. Eine Ausnahme stellten lediglich die durch das Reichskonkordat geschützten katholischen und bis zu ihrer Eingliederung in die HJ im Dezember 1933 die evangelischen Jugendverbände dar. Die meisten der nun verbotenen Gruppen schlossen sich der HJ an, nicht immer aus politischer Überzeugung, sondern oft auch, um weiterhin Jugendarbeit betreiben und Freundschaften aufrecht erhalten zu können.

In vielen Punkten gab es allerdings weltanschauliche Übereinstimmungen zwischen bündischer Jugend und HJ, angefangen vom Patriotismus über die Betonung von wehrsportlichen Aufgaben und „Grenzlandarbeit" bis hin zum soldatisch geprägten Selbstbild und der Überzeugung, als Jugend eine gesellschaftliche Vorreiterrolle zu haben - „Mit uns zieht die neue Zeit" lautete daher auch eines ihrer Lieblingslieder. Insofern schlossen sich schon vor 1933 viele, insbesondere ältere Bündische der NS-Bewegung an. Das fiel vielen von ihnen zunächst wohl nicht zuletzt deshalb recht leicht, weil das Führer-Gefolgschafts-Verhältnis der Bünde eine gefährliche Nähe zum faschistischen Führerprinzip aufwies.[1] Es dauerte dann häufig längere Zeit, bis sich bei ehemals bündischen HJ-Führern und -Mitgliedern die Erkenntnis durchsetzte, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen der freiwilligen Unterordnung unter einen bündischen Führer und jener unter einen von oben eingesetzten HJ-Führer gab. Viele zogen dann die Konsequenz, und verließen die Hitlerjugend wieder; viele andere jedoch nutzen die dort gebotenen Chancen zu weiterer Karriere und blieben.

Andererseits gab es bei Vielen aber von Beginn an auch große Vorbehalte gegen die HJ. So kritisierte „Die Waffenschmiede", die Führerzeitschrift des Deutschen Pfadfinderbundes, 1932 deren als „proletarisch" geltenden Massencharakter, indem sie betonte, dass die Hitlerjugend nicht wie die Bünde eine bewusste Auswahl treffe, sondern auf „Masse" setze. Zudem wurde der Freiraum, der den Jugendlichen in den Bünden gegeben wurde, gegenüber der politischen Vereinheitlichung innerhalb der HJ bevorzugt: „ Wir können und wollen nicht wie die HJ um Massen werben." Die HJ wolle „alle erfassen, und um das zu können, wird sie die Jungens sich nicht frei aus sich heraus erleben lassen können, sondern wird sie zu ihrem Programm hinleiten". Eine solche parteiorientierte Beeinflussung und „Erziehung" wurde vehement abgelehnt. „Wir wollen, dass die Jungen frei von allem Zwang aus sich heraus das Gute finden sollen."[2]

Trotz aller Vorbehalte gab es nach den Verboten aber keinen nennenswerten Protest seitens der Jugendlichen, was nicht zuletzt daran lag, dass die HJ nun staatlich gefördert wurde, massive Werbung betrieb und einen Großteil der Elternschaft für sich einnahm. „Jeder anständige Junge gehört in die HJ!" war nun allerorten zu lesen und zu hören. Zudem sah es anfangs so aus, als könnten die Bündischen innerhalb der HJ ihren „Betrieb" weiterpflegen und den jugendbewegten Stil in die Praxis der HJ integrieren - eine Entwicklung, die allerdings bald von der Reichsjugendführung unterbunden wurde.[3]

Mit dem „Gesetz über die Hitlerjugend" vom 1. Dezember 1936 war dann der Totalitätsanspruch der HJ auch gesetzlich festgeschrieben. „Bündische Umtriebe" in und außerhalb der Hitlerjugend wurden nun immer stärker - vor allem durch die Gestapo - verfolgt. Alle Maßnahmen des Staates reichten aber bei Weitem nicht aus, um im weiteren Sinne „bündische" Phänomene völlig aus der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen. Das verdeutlichte nicht zuletzt ein Bericht der Reichsjugendführung von Januar 1941: „Das Problem der bündischen Jugend ist scheinbar nur noch von historischer Bedeutung. Die Praxis der Überwachungsarbeit hat jedoch gezeigt, dass diese Frage auch heute noch von höchster Bedeutung und Aktualität ist. Aufgrund dieser Erkenntnis hat seit Jahren ein scharfer Kampf der Hitlerjugend gegen die Bündische Jugend eingesetzt, mit dem Ziel, sie nicht nur als Herd der politischen Zersetzung, sondern sie auch als Hauptgefahr für die homosexuelle Verseuchung der Jugend zu vernichten. Jetzt wieder hervortretende Cliquenbildung (lässt) erkennen, dass es noch Jahre dauern wird, ehe der unheilvolle Einfluss der Bündischen Jugend vollkommen ausgemerzt ist." [4]

In diesem Punkt gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass nicht alles bündischen Ursprungs war, was die Gestapo als solches bezeichnete. Die Grenzen zwischen bewusst in bündischer Tradition stehenden Verhaltens und einem insbesondere gegenüber der Hitlerjugend unangepassten Auftretens wurden - zumal in der Kriegszeit und mit wachsendem zeitlichem Abstand zur realen bündischen Welt der Jahre vor 1933 - zunehmend fließend und diffus. Auf dieses Phänomen gilt es beim Thema des unangepassten Jugendverhaltens ausführlicher einzugehen. Hier nur soviel: Obwohl die Reichsjugendführung massiv gegen die HJ-kritischen Jugendlichen vorging und versuchte, diese möglichst komplett zum Eintritt in die „Staatsjugend" zu bewegen, gab es während der gesamten NS-Zeit und dann verstärkt in den Kriegsjahren eine Jugendkultur neben der HJ. Diese Jugendlichen versuchten, sich den nationalsozialistischen Gruppierungen zu entziehen und sich Nischen für ein eigenes und unabhängiges Jugendleben zu schaffen. In manchen Fällen reichten ihre Aktivitäten bis hin zum Widerstand gegen das nationalsozialistische System. In diesem Zusammenhang sind vor allem Gruppen, die sich in der Nachfolge von „dj.1.11" und „Nerother Wandervogel" sahen, zu nennen. Zu betonen ist jedoch, dass diese unangepassten Jugendlichen insgesamt eine deutliche Minderheit innerhalb der im weitesten Sinne bündischen Szene darstellten. Die Mehrheit fand eine neue Heimat in der HJ, zumal sich diese durch das Hereinströmen der Bündischen gegenüber ihrem Erscheinen in der „Kampfzeit" deutlich veränderte.

Insgesamt lässt sich das Verhalten der bündischen Gruppen gegenüber der HJ in fünf verschiedene Verhaltensrichtungen einteilen:

-- Von totaler Konformität und Identifikation" lässt sich bei jenem Teil der bündischen Jugend sprechen, der sich 1933 mit Begeisterung in die NS-Bewegung integriert.
-- Eine Stufe darunter kann von partieller Integration" gesprochen werden. Die Jugendlichen, die sich dieser Kategorie zuordnen lassen, versuchten in teilweiser Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus bündische Inhalte in die HJ hineinzutragen und dort unter neuen Vorzeichen mehr oder weniger an der alten Praxis festzuhalten. Es wurde quasi versucht, eine Nische innerhalb der HJ für die eigenen Interesse und Zwecke zu finden.
-- Eine weitere Stufe stellt die artikulierte Autonomie" dar. Hier handelt es ich um Gruppen und Kreise aus dem bündischen Milieu, die vor allem versuchten, ein weitgehend selbstbestimmtes Leben beizubehalten. Dahinter stand explizit keine politische Überzeugung, im Gegenteil waren solche Gruppen eher unpolitisch. Sie wollten sich lediglich der Fremdbestimmung durch die Reichsjugendführung entziehen.
-- Weiter gab es illegale bündische Jugendgruppen, die im Konfliktverhältnis zur Hitlerjugend und anderen Staats- und Parteistellen standen. Sie hielten sich nicht an die staatlichen Einschränkungen, waren zum Teil durchaus politisch und versuchten, neue Anhänger zu rekrutieren. Sie leisteten „konsequenten Protest", der aber nicht bis hin zu direkten Widerstandshandlungen reichte, sondern in erster Linie eine Antwort auf die sukzessiven Einschränkungen seitens des Staates war.
-- Schließlich gab es vereinzelt Gruppen im bündischen Milieu, die sich aktiv gegen die Allmachtsansprüche des Staates wandten. Sie waren nicht selten geprägt von der d.j.1.11. oder ähnlichen Gruppen, die dem Milieu der Jungenschaften entstammten. Deren Verhalten lässt sich als „bündische Resistenz" bezeichnen, die sich durch folgende Schlagworte skizzieren lässt: Aktive Geheimhaltung (z.B. Fahrten), aufrechterhaltene Gesinnungsgemeinschaften, ziviler Ungehorsam und innere Immunität gegenüber der NS-Ideologie.[5]

Aufgrund des großen Einflusses der Jugendbewegung auf Einstellungen und Verhaltensweisen der Jugendlichen herrschte in Forscherkreisen früh und sehr nachhaltig die einseitige Ansicht vor, die Jugendbewegung habe als Wegbereiterin des Nationalsozialismus fungiert. Die neuere historische Forschung ist hiervon jedoch abgerückt und verweist darauf, dass beide Bewegungen zwar aus gleichen „Quellen" - wie etwa der „Konservativen Revolution" - geschöpft hätten und die HJ durchaus ein „Verhaltensimitat" der Bünde dargestellt habe. Sie hebt aber zugleich hervor, dass sich beide jedoch insbesondere hinsichtlich ihres Menschenbildes substantiell unterschieden hätten. Die Bündische Jugend wird dabei zunehmend als integraler Teil der deutschen Gesellschaft verstanden und betont, dass sie sich in ihrem Verhalten nicht signifikant von ihr unterschieden habe.[6]

Fußnoten

[1] Vgl. Krabbe, Kritische Anhänger, S. 23
[2] Die Waffenschmiede, 5/1932, S. 65-69
[3] Vgl. auch zum Folgenden Reulecke, Jugend, S. 101ff.
[4] Zitiert nach Hellfeld, Mythos, S. 96
[5] Vgl. zu dieser Kategorisierung Hellfeld, Mythos, S. 100f.
[6] Vgl. Krabbe, Kritische Anhänger, S. 23f.