„Da bestand schon Angst. Auch meine Eltern hatten dann Angst“, umschreibt sie die Lage in Steinsdorf in den ersten Monaten des Jahres 1945. Viele Menschen haben sich frühzeitig zur Flucht entschlossen, ohne dass das zu diesem Zeitpunkt eine Option für Familie Müller ist. Insbesondere Stadtbewohner seien geflohen, „weil die keine Tiere hatten“. „Meine Eltern hätten ja die Tiere zurücklassen müssen, und das ging ja schlecht. Man kann die Tiere ja nicht einfach so verlassen, das geht nicht!“
Dass die Eltern zugleich aber zunehmend ängstlicher werden, spürt auch die zehnjährige Elisabeth. Dabei geht es keineswegs mehr um Fragen eines eventuellen „Endsiegs“ – „dass der Krieg verloren war, das sahen sie Eltern“ -, sondern um die seitens der NS-Propaganda geschürten Angst vor „dem Bolschewismus“.
Vor der Roten Armee kommen zunächst jedoch deutsche Soldaten und Flüchtlinge. Die Wehrmacht richtet Mitte Februar 1945 im Wohnzimmer der Müllers eine Schreibstube ein, was allen Beteiligten in schlechter Erinnerung bleibt. Als es nämlich Schwierigkeiten beim Anfachen des Kachelofens gibt, schüttet ein Soldat unbedacht Benzin in den Ofen, der daraufhin explodiert und auseinanderfliegt. Einige Soldaten werden verletzt und der ehemals so schöne Kachelofen durch einen kleinen gusseisernen „Kanonenofen“ notdürftig ersetzt.
Als sich die Wehrmacht vor der schnell nahenden Front zurückzieht, strömen immer mehr Flüchtlinge auf den Müllerschen Hof. Nun beginnt auch Paul Müller, ernsthaft über die eigene Flucht nachzudenken. „Es wurde brenzlig. Man wusste, die Russen sind nicht mehr weit, und da wollte er dann doch noch weg“. Dazu ist es aber mittlerweile zu spät. Ihr Vater habe zwar noch einen Leiterwagen zum Planwagen umfunktioniert und ein Pferd angespannt. „Da stellte sich heraus, dass man gar nicht mehr nach Westen konnte, weil da schon der Kessel zu war.“ Steinsdorf ist fast vollständig eingekesselt; es gibt nur noch ein kleines Schlupfloch nach Osten. „Das ging nicht weit. Wir sind nur bis Steinau gekommen. Auf dem Marktplatz dort hat mein Vater umgedreht, weil er sagte: ‚Das hat keinen Zweck, hier auf der Straße zu liegen, wenn die Russen kommen. Wir fahren wieder nach Hause.‘ Denn die Straßen waren verstopft von Flüchtlingen.“
Zurück auf dem Hof dauert das Warten nicht mehr lang. „Das war bei uns genau der 17. März, als die Russen einzogen. Das weiß ich noch sehr gut“, erinnert sich Elisabeth Schütte sehr genau an diesen schicksalhaften Tag. Als die Rote Armee herannaht, drängen die auf der Straße feststeckenden Flüchtlinge in die Häuser – „die konnten ja nicht auf der Straße bleiben“. Die Folge ist naheliegend: „Wir hatten das Haus voll mit Flüchtlingen. Die Menschen waren in einer solchen Not, dass sie in der Angst zusammenkrochen; möglichst viele, so dass man eine Art Schutz um sich hatte.“