„Das Leben endlich mal wieder von einer schöneren Seite sehen.“ - Integration und Heimat?

Rückkehrgedanken, so erinnert sich Elisabeth Schütte, hätten bei ihr und ihrem Bruder eigentlich zu keiner Zeit eine große Rolle gespielt. Ganz anders habe das bei ihren Eltern ausgesehen: „Die haben an diesem Gedanken noch sehr lange gehangen.“ Insbesondere ihr Vater habe „sehr gelitten“, was seinen psychosomatischen Ausdruck wohl in der Migräne gefunden habe, unter der er seit der Vertreibung leidet. Er habe häufig im Sessel gesessen „und litt, litt, litt und schwieg immer“.

 

Außerdem macht Elisabeth Schütte hinsichtlich der Anpassungsbereitschaft am Niederrhein einen deutlichen Unterschied zwischen sich selbst und ihrem zweieinhalb Jahre jüngeren Bruder Alfred aus. „Der hat die ganze Vertreibung auch emotional nicht so tief empfunden wie ich. Der hat ganz andere Erinnerungen.“ Das zeige sich auch in den Berichten, die beide vor einigen Jahren zum Thema „Flucht und Vertreibung“ verfasst hätten. Ihr Bruder habe sich dabei weitgehend auf Daten und Fakten beschränkt und - im Gegensatz zu ihr - alles Emotionale weitgehend ausgespart.

Schon früh zieht Elisabeth eine deutliche Konsequenz aus ihrer emotionalen Bindung an die schlesische Heimat. „Ich habe von vorneherein dieses rheinische Platt nicht lernen und sprechen wollen“, umreißt sie ihre damalige Entscheidung. Sie verstehe es zwar, aber sie könne es bis heute nicht sprechen – ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder: „Der hat sich sofort assimiliert. Der sprach Platt wie die Einheimischen. Der hat sich total eingegliedert und angepasst.“

 

Es habe mindestens sechs Jahre gedauert, so erzählt sie weiter, bis sie persönlich das „Trauma“ der Vertreibung überwunden und die „Last auf der Seele“ abgeschüttelt habe. Bis dahin habe sie sich „irgendwie bedrückt und belastet“ gefühlt. Erst ab etwa 1952 sei es ihr in dieser Hinsicht „etwas besser“ gegangen. Nun ist sie in der Lage, sich auch einmal freuen, „das Leben endlich mal wieder von einer schöneren Seite sehen“ und sich aus ihrer emotionalen Isolation zu lösen. Das habe einen deutlichen und tiefen „Einschnitt“ in ihrem Leben dargestellt. Aber natürlich bleibe die Vergangenheit immer tief und fest im Unterbewussten verankert. „Die können Sie gar nicht mehr rauskriegen.“ Ihre fünf Kinder hätten ihr aufgrund eigener Erfahrungen versichert, dass sich solche Erfahrungen und Traumatisierungen auch noch auf die folgenden Generationen auswirken würden.

 

Erinnerungen an die Zeit zwischen 1944 und 1946 würden sich bis heute in ihre Träume drängen, erzählt Elisabeth Schütte abschließend. Dabei handelt es sich aber nicht nur um Negatives und Beängstigendes, sondern manchmal auch um schöne Dinge - wie etwa die tiefverschneiten Winter in Schlesien. Leider aber dominieren die unangenehmen Erinnerungen an die Vertreibung. „Da sitzt noch einiges im Unterbewusstsein.“