Ernst Loewy an seine Eltern, 27. Dezember 1935
Schniebinchen, den 27. 12.
Meine Lieben!
Ich habe Euren Brief erhalten und gleichzeitig einen von Lore mit einem ganz reizenden Bild. Nun zu Anfang noch. Ich kann Euch nicht mehr ganz so oft schreiben. Es ist in der letzten Woche viel zu viel geschrieben worden, so daß mit den vorhandenen Marken gespart werden muß. Mir geht es immer noch sehr gut. Ich will nun Eure Fragen der Reihe nach beantworten. Ersteres einmal ist das, wie ich jetzt noch gehört habe, mit dem 2. Februar noch nicht bestimmt. Dann fragt Ihr nach der Auslese. Ilse Finn hat über die Jugendhilfe gesprochen und uns dabei noch mehr Angst gemacht, als damals Hans Sternberg in seinem Rundschreiben. Die Auslese findet so statt, daß das Allgemeinbenehmen gewertet ist. Nicht das Können, sondern nur, wie man sich eben anstellt. Daß nur 28 mitkommen, stimmt nicht. Wenn sich alle ordentlich benehmen, können alle mitkommen. Die englische Regierung gibt so viel Zertifikate, wie angefordert werden. Daß wir schon so früh wegkommen, hat auch nichts mit einer
Etwas habe ich noch vergessen. Vater fragt nach der Landschaft. Der Boden ist hier etwas [..], in der Ferne sieht man höhere Berge, Vorläufer des Erzgebirges.
etwaigen Sperre zu tun. Wir kommen nur deshalb schon so früh weg, weil unsere Wohnungen drüben schon fertig sind. Bei einem der vorigen Lager sind von 40 nur 28 mitgekommen. Das muß nicht immer so sein.
Mit den andern Chawerim stehe ich sehr gut. Sie sind fast alle sehr nett. Besonders ein Junge aus Berlin, Rolf Schwarz. Mit den Krefeldern bin ich auch oft zusammen. Am Anfang haben wir immer zusammen gegessen, bis Herbert Rülf (gen. Rülps) unsern Gdud (Ortsgruppe) aufgelöst hat.
Iwrith-Kurse sind hier 4, je nach dem Können der einzelnen. Wir sind in der mittleren Gruppe, die Rülps selbst leitet. Die tiefste leitet Erika Kratzer (gen. Kakel), und die beiden oberen leitet Ruth Weiss, die ungeheuer viel Iwrith kann. Abends haben wir entweder Freizeit oder Sichoth. Sonst haben wir noch einen Kurs „Zion. Geschichte“ und „Palästinakunde“. Einen Tag den Kurs, den nächsten Tag den ändern.
H. Rülf ist ein sehr netter Kerl und Erika auch.
Rülps ist mit Deinem Religionslehrer nur entfernt verwandt. Voriges Jahr ist er gestorben. Er selbst ist aus Detmold, Erika aus Bielefeld.
Das Wetter war bis gestern fürchterlich kals. Gestern und heute war es wunderschön. Mit den Kleidern komme ich gut aus. Ich habe natürlich wieder viel zu viel mitgenommen. Spinde gibt es hier überhaupt keine. Es hat hier nur jeder ein Fach, wo er gerade die Sachen für 2 oder 3 Tage lassen kann. Das übrige bleibt im Koffer. Nächste Woche schicken wir (Ilse und ich) unsere schmutzige Wäsche heim. Auf der Rückfahrt fahre ich, wenn Tante Debora nicht mehr in Berlin ist, direkt durch. Das Übernachten bei fremden Leuten ist mir zu umständlich. Ich fahre dann von Sommerfeld mit dem D-Zug und bin dann in einem Tag schon da. Aber sehr wahrscheinlich, wird Tante Debora ja noch dort sein.
Militärische Ordnung ist hier nicht nur wenig, sondern gar keine. Aber es geht
Ich muß übrigens unbedingt einen Füllhalter haben. Ich habe mir vorhin einen geliehen, und da ist die Tinte aufgegangen. Ich kann doch nicht immer mit Bleistift schreiben.
[Nachfolgender Text nicht im Original gefunden!]
[...] Iwrith wird hier übrigens auch nach dem „Kaleko“gelernt. [...]
Ob wir bestätigt werden, erfahren wir am letzten Tag (ca. 8-10. Jan.). Da kommen eine ganze Menge Leute: von der Jugendhilfe Grete Kitzinger, vom Bund Hans Sternberg u.s.w. Miss Szoldwar im vorigen Jahr übrigens auch in Schniebinchen.
[...]
Nun, an alle viele Grüße.
Herzl. Grüße und Küsse
Ernst