Ernst Loewy an Lore Traub, 29.März 1936

 S.S. Tel-Aviv, den 29. 3. 36

S. S. Tel Aviv, den 29.3.36

Liebe Lore!

Nun bin ich schon ein paar Tage hier auf dem Schiff - es ist hier ganz wundervoll, alles ganz fabelhaft eingerichtet, prachtvolle Kabinen usw. Gestern hat das Schiff den ganzen Tag im Hafen gelegen, in Spalato in Jugoslawien, um Kohlen einzunehmen, von morgens 7 bis abends um 9. Wir waren den ganzen Tag an Land und sind dort spazierengegangen und darüber will ich Dir jetzt einmal etwas ausführlicher schreiben.

Draußen vor dem Schiff sind wir angetreten und dann, und zwar in voller Kluft, mit Gesang durch die Stadt marschiert. Du mußt Dir das einmal vorstellen, geschlossen durch eine Stadt marschieren und dazu noch jüdische Lieder zu singen. Die Leute haben uns alle bestaunt wie das siebente Weltwunder. Es hat uns keiner etwas gesagt, die Polizei hat uns sogar den Weg gezeigt. Dann waren wir etwas draußen in den Bergen. Dort trafen wir einen jüdischen Jungen der nun den ganzen Tag bei uns blieb und uns etwas die Stadt zeigte. Diese machte schon einen halbwegs orientalischen Eindruck. Eine Allee am Strande, von Palmen eingefaßt, wechselte mit engen winkligen Gäßchen, umgeben von moosbewachsenen Mauern. Und dies Letztere, das war das Ghetto. Es gibt dort nämlich noch ein regelrechts Ghetto, wo die ärmere

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jüdische Bevölkerung der Stadt wohnt und zwar ist es schon über 500 Jahre alt. Zum Minchahgebet waren wir dort in der Synagoge. Die Gemeinde dort ist nicht sehr fromm. Unser junger jüdischer Freund führte uns dann in das Heim der Schomer-Hazair. Die ganze jüdische Jugend Spalatos, an die 30 Leute, ist darin. Dort blieben wir nun den ganzen Mittag, (wir sind gar nicht zum Essen aufs Schiff gegangen) und haben uns mit den Leutchen schon wirklich angefreundet. Sie waren alle so nett und hatten sich wirklich herzlich gefreut. Die Juden dort sind ganz anders als in Deutschland. Man befreundet sich so schnell mit ihnen und weiß, daß man zusammengehört. Das Heim der Schomer ist mitten im Ghetto nahe der Synagoge, ein Raum, zu dem eine dunkle winklige Treppe führt, die von jedem Besteigen schon fast ein Athlet zu sein verlangt. Von diesem Zimmerchen führt eine Stiege auf ein Ding, das man in Deutschland vielleicht Dachgarten nennen könnte; es mutet einen an wie ein kleiner Hof. Dort tanzen die Chawerim Horrah; dies scheint überhaupt die einzige Beschäftigung während des Heimes zu sein. Die Chawerim kommen jeden Tag zusammen. Dreimal in der Woche lernen sie Iwrith, und 3 mal haben sie Heim.

Nun noch etwas über die Leute selber. Sie scheinen in recht ärmlichen Verhältnissen zu leben, ihren Wohnungen nach zu urteilen, kleiden sich aber wie die feinsten Damen, schminken sich und färben sich die Lippen.

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Abends, als das Schiff abfuhr, standen sie alle am Hafen, winkten uns zu, sangen jüdische Lieder und schrieben: [..]! Es waren wirklich reizende Menschen, und für uns war der Tag wirklich ein schönes und großes Erlebnis.

Nun muß ich leider schließen, denn das Wetter ist so schön, daß ich es nicht verantworten kann, noch länger hier im Zimmer zu sitzen. Draußen strahlt die Sonne des Mittelmeeres. Es ist eine Pracht so etwas zu sehen. In der Ferne winkt uns die Küste Griechenlands. Also, viele herzliche Grüße
[..] Dein Ernst.

Dieses Schreiben ging in Abschrift an Ernst Loewys Eltern und ist daher erhalten geblieben.