Ernst Loewy an seine Eltern, 1. April 1936

On board s/s. „Tel-Aviv“
den 1.4.36.

Meine Lieben!

Einen Tag noch, und dann sind wir da. Ich bin ja so riesig gespannt auf alles. Die Seereise war aber doch bedeutend länger, als ich vorher gedacht habe. Vorigen Freitag fuhren wir ab, und morgen am Donnerstag sind wir erst da. Allerdings kommen wir heute abend schon vor Haifa an, dürfen aber erst morgen in den Hafen hinein. Allerdings kommen wir doch vor mittags nicht vom Schiff, wegen Passkontrolle und sonst all den Formalitäten. Die Nacht werden wir sehr wahrscheinlich in Haifa bleiben.

Unsere ganze Gruppe war so ziemlich zu 90 % seekrank. Wir haben uns alle gegenseitig angekotzt. Jetzt ist es aber so ziemlich wieder vorbei. (Ich muss mit Bleistift weiterschreiben, mein Füllhalter ist leer), also Seekranke haben wir momentan sehr wenig. Die letzten Tage war es sehr stürmisch; das Schiff schaukelte von einer Seite zur andern; jetzt geht es aber wieder. Es ist hier schon ziemlich heiss. Viele haben schon den Sonnenbrand - auch ich bin schon ziemlich braun . Das Essen ist gut hier. Wir bekommen aber anderes Essen als die übrigen Passagiere, wir essen auch nicht mit ihnen zusammen. Trotzdem ist das Essen natürlich sehr gut. Wir können so viel haben, wie wir wollen.

Fleisch zweimal am Tag, wir essen mittags und abends warm. Morgens und nachmittags kann man Kaffee oder Tee haben, wie man will. Abends sind hier immer Bälle auf dem Schiff, an denen wir natürlich nicht teilnehmen. Unsere Kisten haben wir auch gesehen. Wir dürfen sogar daran gehen, wenn wir etwas daraus brauchen.

Wie ich vorher schon geschrieben habe, waren wir einen Tag in Splalato, ich habe Lore ausführlich darüber geschrieben, von ihr werdet Ihr es wohl schon hören.

Nun Schluss; ich weiss nichts mehr, und ausserdem muss ich jetzt zum Essen. In Haifa werde ich weiter schreiben.

Haifa, den 2.

Wir sind gut hier angekommen, schon morgens um 6 Uhr. Um 5 Uhr mußten wir schon aufstehen. Ich bin noch auf dem Schiff. Miss Szold hat uns hier begrüßt. Wir fahren heute sofort nach Kirjat Anavim und übernachten nicht in Haifa. Also Schluß.

Alles Gute. Viele herzl. Grüße und Küsse Euer Ernst.

Übrigens haben wir einen großen Mann an Bord: Richard Beer-Hofmann, den Dichter von „Jakobs Traum“. Er wird uns (d. h. der Jug.-Alijah) aus seinen Werken vorlesen.