Ernst Loewy an seine Eltern, 8. April 1936
Mittwoch, den 8.4.36.
Meine Lieben!
Gerade erhielt ich Eure Karte vom 28. Sie war also beinahe 14 Tage unterwegs. Ich hätte nicht gedacht, dass das so lange dauert. Unterdes werdet Ihr ja wohl meine Karte aus Triest und die Briefe aus Split, Haifa und hier erhalten haben. Von jetzt an werde ich Euch natürlich leider nur noch alle 8 Tage schreiben können. Aber Ihr könnt mir ja trotzdem 2. mal in der Woche schreiben einmal einen Brief und einmal (auch Vater von der Reise) eine Karte. Aus unserer Fahrt nach Jerusalem ist leider nichts geworden. Der Arzt war hier und hat uns hier geimpft. Wir sind im ganzen dreimal geimpft worden. In Haifa einmal gegen Pocken und Typhus und hier alle nochmal gegen Typhus. Gemerkt haben wir fast garnichts davon.
Ich möchte Euch nun über einiges ausführlicher schreiben.
Zoll: Auf unserer Reise bis Triest ging alles glatt. Es hat keiner nachgesehen. In Haifa aber wurde jeder 2. Koffer und jede 3. Kiste von uns aufgemacht und durcheinandergewühlt. Wir hatten da ca. 3 Stunden mit zu tun. Meine Sachen wurden Gott sei Dank nicht aufgemacht; ich hätte auch sonst die Sachen garnicht wieder einpacken können. Nach der Zollrevision gingen wir zum Impfen und assen dann auf dem Karmel zu Mittag. Um ca. 3 Uhr fuhren wir mit dem Omnibus ab und waren ungefähr um 7 Uhr hier. Die Strasse war mit Ausnahme von kleinen Teilen ganz gut. Aber mit Dir, lieber Vater, hätte ich nicht den Mut zu fahren.
Eine Kurve, eine Steigung nach der andern, ein Chauffeur muss hier ein wahrer Künstler und Akrobat sein. Wir fuhren über Sichem und Jerusalem.
Unser Haus: Es ist zweistöckig und hat je vier Zimmer ä 4 Betten, in der Mitte einen Tisch und noch einen Schrank, die Zimmer sind sehr schön, die Betten fabelhaft. Für unsere Sachen bekommen wir noch Regale in einem besonders dafür bestimmten Raum; Ende der Woche sollen sie fertig sein.
Die Kwuzah: Es ist hier ein gemeinsamer Speiseraum, ein paar Holzbaracken, ein paar Steinhäuser, unser Haus, die Schule, Ställe und was so noch dazugehört. Die älteren Mitglieder wohnen in Steinhäusern, die mittleren in Holzhäusern und die neuen noch in Zelten (allerdings nur im Sommer). Derjenige, der uns damals den Brief geschrieben hatte, ist auch erst ein halbes Jahr hier. Überhaupt sind hier die Deutschen alle noch neu.
Mit den Arabern steht man hier sehr gut. Als im Jahre 1929 die Araberaufstände waren, haben hierhin die Araber aus der Umgebung ihre Kinder als Geiseln gebracht.
Über die Arbeit: Heute arbeiteten wir das erste Mal. Vorläufig bin ich beim Gemüsebau mit noch einem Jungen und einem Mädel, es ist ganz schön. Andere sind im Kuh- oder Hühnerstall, oder Pferdestall (Pferde sind es übrigens nicht, sondern Maultiere, so ein halbes Dutzend). An Unterrichts-
fächern haben wir vorläufig nur Iwrith. Drei bis vier Stunden Freizeit, am Schabbath auch mehr, haben wir täglich.
Über das Essen: Morgens bekommen wir meistens ein Ei, Tomate oder Quark, außerdem Brot (bzw. Mazoth), soviel wie wir wollen. Brot, Marmelade und Tee kann man sich hier jederzeit nehmen. Mittags bekommen wir immer Kartoffeln, etwas Fleisch und Gemüse und danach Suppe. Meistens bekommen wir hier Sachen, die für uns undefinierbar sind, nach russischer Küche, es schmeckt aber meistens gut. Einmal ass ich etwas was ich für ein Rührei hielt; später stellte sich heraus, dass es irgend eine Speise aus Quark war. Aus Quark macht man hier übrigens fast alles, sogar Schnitzel. Jedenfalls die Hauptsache, das meiste schmeckt gut. Und was nicht schmeckt isst man eben, weil man Hunger hat, und wenn es einmal garnicht mehr geht (so war es z. B. mit dem Schnitzel) so lässt man's stehn und isst sich an Brot satt. Aber das meiste kann man gut essen (auch wenn man nicht weiss, was es ist).
Wir haben zusammen einen Waschraum mit der Kwuzah, mit fließendem Wasser, an verschiedenen Tagen kann man sich sogar kalt und warm brausen. Fließendes Wasser haben wir hier überall, sogar Wasserklosetts.
Dieses Jahr soll hier sehr viel gebaut werden. Ein neuer Essraum, neue Steinhäuser, ein neues
Schulhaus, und elektrisch Licht soll gelegt werden.
Du schriebst, ich käme wohl gerade in die Vorbereitungen von Pessach hinein. Da hast Du Dich allerdings getäuscht. Ich habe nichts davon gemerkt, wie ich überhaupt von Pessach fast nichts gemerkt habe, nur am ersten Tag wird hier nicht gearbeitet. Einen Sederabend hat man nur auf unser Bitten gemacht. Sonst las man hier nie aus der Haggadah vor. Dieses Mal auf unser Bitten wohl, aber nur die historischen Erzählungen. Die Gebete wollte man keinesfalls sagen. Sogar sang man ein Lied, dessen Inhalt war, daß man glaube, der Messias wäre einen anderen Weg gegangen und man brauche ihn nicht mehr zu erwarten. Und das am Sederabend. Über eine solche Unfrömmigkeit war ich masslos enttäuscht. Das einzige, was man vom Schabbath merkte, war, daß nicht gearbeitet wurde, sonst gar nichts. Kein Kiddusch, keine Hawdalah, nichts. Wir wollen aber diese Dinge von jetzt an wenigstens unter uns machen, und ich finde das auch sehr schön.
Für heute muß ich schließen, ich muß jetzt Iwrith lernen.
Donnerstag, den 9.4.
Ich will Euch heute nun noch etwas weiter schreiben. Ihr habt ja schon alle von unserm großen Wald gehört, der hier sein soll. Ich habe mir etwas Großes drunter vorgestellt - die Hälfte der ganzen Bäume sind vorläufig noch durchschnittlich 10 cm hoch; jedenfalls für hier ist das sehr bedeutend. Wie Ihr wißt, ist der
Viehbestand hier sehr groß. Die Kühe werden sogar teilweise elektrisch gemolken. Die größte Anzahl des Viehs sind hier die Fliegen. Jetzt ist hier Frühlingsanfang, und doch sind sie hier schon in unzähligen Mengen. (leider muss ich wieder mit Bleistift weiterschreiben, da meine Tinte wieder auf ist.) Um wieder auf die Fliegen zurückzukommen: Ich kann mir garnicht denken, wie das mal erst im Sommer wird; überall sind hier Gazefenster und trotzdem ist das ganze Zimmer voll Fliegen. Man wird hier notgedrungen zum Massenmörder.
Von der Arbeit: Wie ich gestern schon schrieb, arbeite ich beim Gemüse. Gestern machte ich Rettich aus, heute wurde Wirsing gepflanzt, Erbsen, Salat und Zwiebeln ausgemacht. Wir arbeiten (d. h. im Gemüsegarten. Die andern Leute haben andere Zeiten) von 6 Uhr bis um ½ 12. Dazwischen um 9 Uhr Frühstück. Um ½ 1 Mittagessen um 4 Uhr Tee, um 7 Uhr Abendessen und um 9 ungefähr gehn wir zu Bett. Alles ziemlich wie zu Hause.
Gäste haben wir hier dauernd, Touristen, die sich die Kwuzah ansehen wollen. Hier stehen durchschnittlich immer 2 fremde Autos, fabelhafte amerikanische Wagen, wie man sie in Deutschland fast gar nicht sieht. Jetzt weiß ich nichts neues mehr. Gleich schreibe ich der Lotte Salomons nach Jerusalem. Denkt bitte an die Rückantwortscheine. Wir sollen uns alle
welche schicken lassen. Umso mehr wir zusammenbekommen, umso öfter können wir schreiben.
Also nun Schluss. Vielleicht morgen noch mehr. Viele, viele Küsse
von Eurem Ernst.
Meine Lieben von der Hubertusstrasse
Auch für Euch viele herzliche Grüsse. Ich brauche Euch ja nicht auch ausführlich zu schreiben. Was Ihr wissen wollt steht ja im Brief, und er ist auch für Euch mit. Für Dich, liebe Tante Mathilde, viele Glückwünsche zu Deinem Geburtstag. Für Euch alle alles Gute. Herzliche Grüsse und Küsse Euer Ernst.
Freitag, den 10.4.36.
Liebe Mutter!
Bald hast Du ja nun Geburtstag. Hoffentlich hast Du pünktlich meinen Brief erhalten. Ich fürchte aber, dass er ein paar Tage zu spät ankommt, kann es aber leider nicht ändern. Bis Du diesen Brief erhältst werde ich schon bald Geburtstag haben. Ich erwarte dieser Tage wieder Post von Euch. Schreibt mir doch bitte oft. Für Lore kann ich leider nichts mehr dazuschreiben, weil sonst der Brief überwiegt. Zeigt Lore den Brief bitte auch, er ist auch mit für sie. Grüsst sie recht herzlich von mir und seid alle recht herzlich gegrüsst und geküsst
von Eurem Ernst.