Ernst Loewy an seine Eltern, 25. April 1936
Kirjat Anavim, am 25. 4. 36
Meine Lieben!
Heute an meinem Geburtstag noch einmal ein paar Zeilen an Euch. Meinen Geburtstag habe ich sehr schön verbracht. Als ich morgens aufwachte, war der Geburtstagstisch schon gedeckt - der Tisch war allerdings nur ein Schemel, aber es stand was drauf und zwar eine Blumenvase, Schokolade, Bonbons und ein sehr schöner Drehbleistift. Ich habe mich riesig damit gefreut.
Heute feierte ich meinen ersten Geburtstag im heiligen Lande. Sechzehn Jahre, die Jahre meiner Kindheit, habe ich bei Euch verbracht. Nun hat für mich der Ernst des Lebens begonnen. Weit fort von Euch bin ich allein auf mich angewiesen. Ich denke an meine Kindheit zurück und sehe wieviel schöne Jahre ich hinter mir habe. Ich denke an Euch und sehe wieviel Ihr für mich getan und auch wieviel Ihr für mich gelitten habt. Hoffentlich kommt einmal die Zeit, wo ich Euch all das zurückzahlen kann, was Ihr in Liebe an mir getan habt.
Doch jetzt ist es noch nicht an der Zeit zurückzublicken. Ich bin noch jung und habe noch eine weite, hoffentlich frohe, Zukunft vor mir.
26.4.36.
Schabbat ist zu Ende. Es ging wieder an die Arbeit. Heute hat die Arbeit so viel Freude gemacht wie noch nie - ich glaube, es kam durch das Wetter. Es ist augenblicklich hier wundervoll - ziemlich heiß - aber es weht ein recht angenehmer kühler Wind. Ich möchte Euch überhaupt einmal über das Klima schreiben. Zu Pessach fängt hier eigentlich schon der Sommer an - und zwar der unangenehmste Teil des Sommers. Während des eigentlichen Sommers ist es natürlich recht heiß, aber es weht immer ein angenehmer kühlender Westwind, in der Zeit aber von Pessach bis Schawues fehlt an einigen Tagen der kühle Westwind und an dessen Stelle ist ein heißer,
(Augenblicklich lese ich den „Pojaz” - ist ganz fabelhaft.)
recht unangenehmer, aus dem Osten kommender Wüstenwind, der sogen. „Chamssin“. Dieser weht immer drei Tage lang und wiederholt sich in Abständen von ziemlich genau einer Woche. An den Tagen, wo der Chamssin weht, ist es hier fürchterlich heiß, besonders auch nachts - wir haben zwei Fenster auf und schlafen beinahe nackt. Die andern Tage, wo nicht Chamssin ist, sind trotz ziemlicher Hitze sehr gut auszuhalten. Nach dem Chamssin findet man sie besonders erfrischend und wohltuend, obwohl man in Deutschland in der Schule bestimmt hitzefrei hätte. Auch augenblicklich haben wir ein paar solcher „kühler Tage”, nachdem wir wieder bis gestern drei Tage Chamssin hatten.
Nun einmal etwas über die Post. Von der Kwuzah bekommen wir monatlich für jeden 2 Briefe und zwei Karten fürs Ausland. Die Antwortscheine, die wir bekommen, müssen wir abgeben; je mehr zusammenkommen, je mehr können wir natürlich schreiben. Diejenigen, die viele Scheine bekommen, dürfen natürlich etwas öfter schreiben, als die, die keine oder wenig bekommen; bei mir kommt es also auch nicht so genau drauf an, wenn ich einmal etwas mehr schreibe, weil ich auch schon viel Scheine abgegeben habe. Eure Briefe sind immer genau 8 Tage unterwegs. Schreibt mir bitte einmal, wie lange meine Briefe unterwegs sind.
Heute erhielt ich viel Post. Von Fritz Rosberg. Bestellt ihm bitte viele Grüsse und herzl. Dank. Dto. Hubertusstrasse. Sie schickten mir ein Päckchen Schokolade, das aber geöffnet ankam, und es fehlte die Hälfte der Schokolade. Dann bekam ich eine Karte von Trude Böhm, der ich vorher einmal geschrieben hatte. Ihr Vater ist augenblicklich auch in Tel-Aviv und wird mich wahrscheinlich einmal besuchen.
Was ich Euch noch nicht schrieb: die Kwuzah hat zwei Autos. Einen Lastwagen und einen regelrechten Omnibus, der fahrplanmäßig fährt. Er ist in der Mitte geteilt. Vorne ist die Milch und hinten sind die Passagiere. Autobuslinie 16.
K. A. den 27.
Heute erhielt ich von Onkel Richard einen Brief aus Prag. Auch er will mir Geld schicken. Heute und gestern habe ich mitgeholfen eine Wasserleitung von einem Feld auf ein anderes umzulegen. Sonst hatten wir die letzten Tage fast nur Tomaten gepflanzt und begossen. Drei Stunden hintereinander begiessen - schonmal wünsche ich mir doch bei uns im Garten eine halbe Stunde Blumen zu begiessen. Aber trotzdem macht mir die Arbeit im grossen ganzen Freude.
Das wichtigste hier in der Kwuzah ist der Kuhstall. Wir haben hier drei Stück - in den grössten sind ungefähr 75 Kühe. Dort wird auch maschinell gemolken. Ausser den 150 Kühen haben wir auch noch drei schwere Bullen und eine Menge Kälber.
Das zweitwichtigste hier ist der Obstgarten. Wir haben hier besonders viel Äpfel. Ausserdem Kirschen, Aprikosen u. vieles andere. Zuerst ist hier vor 16 Jahren der Weinberg angelegt worden. Auch er bringt viel ein. Die Trauben werden aber nicht zu Wein verarbeitet sondern gegessen. Sie sollen besonders gut hier sein. Viel bringen auch die Bienen ein - und sehr gross ist auch der Hühnerstall. Auch sehr viel Gemüse haben wir hier. Fast alle Erzeugnisse werden in Jerusalem an die Tnuvah abgeliefert.
Ungefähr 45 Leute sind hier schon seit 16 Jahren und zwar alles Russen (seit der Gründung). Vor 2 Jahren kamen hier 35 Polen hin. Dann vor einem halben Jahr ungefähr 8 Deutsche. Einer ist aus Jemen und die andern Leute kamen auch alle einzeln hierher und zwar nur Russen und Polen und ein Italiener. Ausser der Kwuzah ist hier noch eine Gruppe „Hanoar Zioni” von ca. 50 Leuten, die mit der Kwuzah aber nichts zu tun haben. Sie bilden eine Gruppe für sich, die auch für sich arbeitet - nur lebt sie auf dem Boden der Kwuzah. Von dem Boden von 4000 Dunam sind nur ca. 400 Dunam bearbeitet. Auf dem übrigen Boden steht zum grossen Teil Wald.
K. A. am 28.
Heute erhielt ich Euren Brief vom 19. und einen Brief von der Hubertusstr. Für beide Briefe, sowie die Antwortscheine besten Dank. Auch Fritz Seligmann schrieb davon. Auch für ihn viele Grüsse. - Wie ich eben höre kostet eine Tafel Schokolade zu schicken nur 15 Pfg. Porto und überhaupt keinen Zoll; sie muss allerdings ausgepackt werden und dann in Pergamentpapier und Pappumschlag verschickt werden.
K. A. am 29.
Heute erst haben wir unsere Sachen richtig eingeräumt. Wir haben hier einen besonderen Raum für all unsere Sachen.
Morgen am 1. Mai ist auch hier in ganz Erez ein „Tag der nationalen Arbeit”. - Ich bekam heute meine Bilder wieder - es sind nur wenige was geworden. Zwei gehen an die Jugendhilfe, die ja 30 Abzüge für alle Eltern machen lässt - Ihr werdet sie später bekommen. Ein Negativ schicke ich Euch mit. Lasst bitte 2 Abzüge davon machen und schickt mir bitte eins davon wieder. Das Kreuz bezeichnet die Steinplatte, von der in der „Sage von Dilb” die Rede ist.
K. A. am 2. Mai.
Ich habe Euch heute eigentlich nichts neues mehr mitzuteilen. Heute und gestern hatten wir arbeitsfrei.
Bestellt Lorchen bitte wieder Grüsse, ich werde ihr nächste Woche wieder ausführlich schreiben.
Seid alle vielmals und herzl. gegrüsst und geküsst von
Eurem Ernst.