Ernst Loewy an seine Eltern, 20. Mai 1936

Anavim, am 20. 5. 36

[...]

Heute höre ich, daß der High Commissioner 4 500 Zertifikate neu bewilligt hat. Das sind 1 000 mehr als das letzte Mal. Man hält dies allgemein für ein günstiges Zeichen. Auch die Forderung der Juden, einen provisorischen Hafen in Tel-Aviv anzulegen, ist bewilligt worden, so dass die Lage für die Juden augenblicklich als ziemlich günstig betrachtet werden kann.

Heute möchte ich Euch noch etwas über die Menschen hier aus der Kwuzah schreiben. Ihr wißt ja, daß es fast alles Russen und Polen sind. Wir merken hier doch deutlich den Unterschied zwischen Ostjuden und Westjuden. Die Chawerim aus Deutschland stellen einen ganz anderen Menschentyp dar als die alten Chawerim. Diese kennen, wie ich schon einmal schrieb, weiter nichts als ihre Arbeit. Es sind zum größten Teil ganz fabelhafte Arbeiter, die Ungeheuerliches leisten, aber geistige Interessen haben sie mit wenigen Ausnahmen überhaupt nicht. Und dies ist doch sehr traurig. Ich hatte vom jüdischen Arbeiter eigentlich doch mehr erwartet. Überhaupt ist der einzige Maßstab, nach dem hier gemessen wird, nur die Arbeit. Wir haben hier von allen möglichen Zweigen sehr gute Fachleute, besonders der Bienenzüchter, dann haben wir einen eigenen Baumeister, einen Schuster, der für die Chawerim sogar selbst die Schuhe anfertigt u.s.w. Was ich Euch noch nicht schrieb: wir haben hier eine Zahnärztin aus Leipzig, die dort schon eine 6jährige Praxis hatte und sehr tüchtig sein soll. Hier macht sie morgens Landarbeit, und mittags hat sie „Sprechstunde“.

[...]

Nun Schluss. Viele tausend Küsse von
Eurem Ernst

Augenblicklich fehlt das Faksimile.