Ernst Loewy an seine Eltern, 9. Juni 1936
Lb. Familie Loewy, auch ich möchte Ihnen von hier herzliche Grüsse senden
Ihr Kurt Sollinger
K. Anavim, 9. 6. 36
Meine Lieben!
Heute erhielt ich Euren lb. Brief vom 31. 5., über den ich mich wie immer natürlich wieder sehr gefreut habe. Ich will ihn sofort beantworten.
Zu den Unruhen: Wenn diese vielleicht wirklich nicht so schlimm sind, wie es vielleicht in der Zeitung steht, so ist die Bedeutung derselben doch keinesfalls zu unterschätzen. Wenn der Grund der Aufstände auch anders angegeben sein mag, so handelt es sich in Wirklichkeit doch immer nur um die Vorherrschaft im Lande. Es handelt sich darum, wer in Zukunft einmal über die Geschicke des Landes zu bestimmen hat, Juden oder Araber - ich glaube, daß eine gemeinsame Herrschaft leider nicht möglich sein wird. Jedenfalls nochmals - wir merken hier von den Unruhen nicht das allergeringste.
Wir haben, was ich Euch noch vergaß zu schreiben, schon seit Anfang der Unruhen dauernd Polizei hier - augenblicklich fünf Mann. Jeden Abend kommt immer noch eine Patrouille Polizei mit einem Auto um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist; sie essen hier gut zu Abend und fahren dann wieder fort.
Wegen Zeitungen: Diese dürft Ihr schicken - aber bitte nicht Z.V. Zeitung oder eine andere jüdische Zeitung - wir haben hier ja immer die Rundschau. Ich möchte mal gerne eine Krefelder Zeitung haben, damit ich mal sehe, was bei Euch vorgeht.
Marken: Da kann ich Dir eine sehr freudige Mitteilung machen. Fredi (ein Junge auf meinem Zimmer) hat von den Jungens aus der Kwuzah eine Sammlung geschenkt bekommen. Ich schätze mit Dubletten auf 2500, viele Marken sind allerdings 10 und mehrmal doppelt. Er sucht sich (er ist übrigens gerade dabei - er sitzt mir gegenüber und sortiert russische Marken) die Marken heraus, die er noch nicht hat und gibt mir dann die doppelten. Ich glaube, dass da über 100 für uns abfallen werden, die wir noch nicht haben. Vorläufig haben wir alle Marken schon nach Ländern sortiert - es war recht viel Arbeit. In der Hauptsache sind es folgende Länder: Türkei, Ägypten, U.S.A., Syrien, Polen und Russland, zum Teil sehr gute Marken. Besorge mir doch bitte zum Tauschen ein paar
Dubletten. Hast Du die 3 Pfg. braun von dem Kolonialsatz? Oder Kurt Seligmann? Jedenfalls schicke mir bitte Dubletten, womöglich aus meinem alten Album, das, soviel ich weiss noch auf der Viktoriastrasse ist. Dann, wie ich Dir schon schrieb, bitte auch gewöhnliche deutsche Marken.
Die weisse Leinenhose ziehe ich sowieso schon am Schabbat an - sie ist aber viel zu dünn und zu hell - die andern haben z. grossen Teil alle ganz hellgraue Hosen aus grobem Leinenstoff, die sehr schön sind. Aber es geht natürlich auch [..]. Wenn mal jemand herkommt, schreibt mir das bitte vorher, damit ich Euch schreiben kann, was ich noch gebrauchen könnte. Kaufen will ich mir nichts, da ich froh bin, ein paar Pfennige bzw. Piaster hierzuhaben. Auch geht das nicht gut, da wir ja gesagt haben, dass das Geld für die Elter ist.
Ich habe bis jetzt zus. 3,154 P₤. Davon habe ich 0,154 P₤ (nicht ganz 2 M.) in die Chewrahkasse getan, so dass ich jetzt genau drei Pfund habe. Ich will Euch überhaupt einmal etwas über die Währung schreiben:
1 Mil = 1,3 Pfg. (ungefähr)
10 Mils = 1 Piaster oder ein Grusch = 13 Pfg.
100 Mils = 10 Piaster = 2 Schilling = 1,30 M.
1000 Mils = 100 Piaster = 20 Schilling = 1 Pfund (₤P) = 13 M.
Soweit, was Euren Brief anbelangt. Nun habe ich Euch so mal allerlei wieder zu schreiben. Seit ein paar Tagen arbeite ich schon wieder im Gemüsegarten. Die Frau, mit der ich gearbeitet habe, wollte mich wieder zurückhaben. Danach scheint sie doch mit mir zufrieden zu sein.
Heute haben wir zu dritt auf dem Maisfeld gearbeitet, d. h. die Hälfte der Zeit haben wir Mais ausgerissen und die andere Hälfte haben wir die ersten reifen Aprikosen geklaut und gegessen; das Feld liegt weit draussen, natürlich haben wir da alleine (ohne Leute aus der Kwuzah) gearbeitet bezw. geklaut. Dann sind wir mit dem Wagen abgeholt worden, haben den ausgerissenen
Mais aufgeladen und sind zum Frühstück gefahren; d. h. zum 2. Frühstück, das erste haben wir ja schon auf dem Felde eingenommen. Nachher haben wir Erdbeeren gepflückt. Die sind erst Anfang des Jahres gepflanzt worden und taugen noch nicht viel, sind noch sehr klein, schmecken aber gut. Auch die ersten Äpfel sind schon reif und werden von uns geklaut. Am Schabbat hatten wir hier ein grossen Zechgelage. Die Decke vom neuen Haus ist fertig gestellt worden, und zu Ehren dieses wurde getrunken - so was ähnliches wie Bier - jeder eine ganze Flasche.
Sonntag ist der erste Junge Barmiz wah geworden. Abends war bei Kuchen und Bonbons eine Feier - aber, wie ich natürlich garnicht anders erwartet hatte, vollkommen ohne alles Religiöse. Nicht einmal der Segen wurde dem Jungen erteilt und er sprach selbst nicht einmal die Brachah. Der Vater hielt eine kleine Ansprache, in der er den Jungen als Barmiz wah erklärte!!! Ich glaube, dass ein Kommentar überflüssig ist. Jedenfalls hat der Kuchen gut geschmeckt.
Gestern hatten wir Besuch von einem Leiter des „Chewer hakwuzath”, mit dem wir besonders über den Iwrithunterricht sprachen, der sehr schlecht ist. Daraufhin hatten wir mit Schiker eine [..], doch glaube ich nicht, dass der Unterricht dadurch besser wird. Er ist kein guter Lehrer und wir lernen sehr wenig bei ihm. Wir haben 2 Stunden Iwrith am Tag, eine bei ihm, die andere bei Fritz. Trotzdem können wir, dafür, dass wir schon 2 Monate im Lande sind, noch recht wenig. Am meisten lernt man noch durch den Umgang. Viele Worte gebrauchen wir nur noch im Iwrith: es würde keinem von uns einfallen zu sagen, „ich gehe in den Kuhstall”, sondern „ich gehe in den Refet” oder ich würde niemals sagen „ich arbeite im Gemüsegarten”, sondern im „Gan Jerakoth”. u.s.w. Sehr viele Worte haben wir uns schon angewöhnt in Iwrith zu sagen - aber im Unterricht, bes. bei Schiker, lernen wir sehr wenig.
11. Juni 1936.
Liebe Grossmutter!
Heute an Deinem Geburtstag will ich Dir noch ein paar Zeilen schreiben. Wir haben jetzt 1 Uhr; bei Euch ist es immer eine Stunde Früher, also 12. Ihr werdet jetzt gerade dabei sein das Mittagessen zu bereiten, sicher etwas besonders gutes. Auch wir hatten heute was besonderes, nämlich Huhn; allerdings nicht, weil jemand 70 Jahre geworden ist, sondern weil in der Nacht Schakale in den Hühnerstall eingebrochen sind, und an die 100 Hühner getötet worden sind, die wir heute verzehrt haben. Schakale gibt es hier übrigens sehr viele - die sind aber sehr ungefährlich, vor Menschen laufen sie weg und kommen auch nur nachts aus ihren Höhlen heraus. Du wirst heute sicherlich einen recht schönen Tag verbringen. Auch ich feiere ihn in Gedanken mit. -
Heute möchte ich Euch einmal schreiben, was wir immer am Schabbat machen. Vor den Unruhen sind wir häufig spazieren gegangen, was wir augenblicklich natürlich nicht können. Freitags abends nach dem Kiddusch wird meistens etwas Klavier gespielt, und dann lesen wir aus einem Buch vor, zuletzt etwas über Arlosoroff, ein andermal aus dem „Jeremias“ von Stefan Zweig, wieder ein andermal etwas von Herzl u.s.w. Am Schabbatmorgen hält meistens ein Chawer der Kwuzah, Abraham Kirjaty, einen Vortrag über palästinensische Fragen, das letzte Mal über die Histadruth. Am Abend haben wir Hawdalah, wo oft viele Chawerim der Kwuzah hinkommen und dann noch etwas gesungen wird. Die übrige Zeit haben wir frei und lesen meistens. Aufgestanden wird um ½ 8.
13.6.36.
Ilse hat ihren Brief selbstverständlich wieder noch nicht fertig und so muss ich den Brief doch wieder alleine abschicken. Gleich ist „Postschluss” und ich muss mich noch sehr beeilen. Neues war hier nichts, heute hatten wir grosses Schachturnier. Also Schluss. Tausend Küsse
Euer Ernst.
Lore schreibe ich wieder das nächste Mal.