Ernst Loewy an seine Eltern, 15./17. Juni 1936

Kirjat Anavim, am 15.6.36.

Meine Lieben!

Heute erhielt ich Eure Karte vom 6.6., 10 M und das Netzjäckchen - vielen Dank für alles, besonders für das letztere, es kam sehr gut an und passt ausgezeichnet. Ich war gerade dabei die Marken zu sortieren, die ich mit diesem oder dem nächsten Briefe schicken werde - ich muss sie wohl in verschiedenen Briefen schicken, damit die Briefe nicht überwiegen. Unter den Marken sind gesonders viele Polen. Die österreichischen Marken mit Kaiser Franz Josef sind Levantemarken. (Währung in Para und Piaster!!!) Leider sind die Marken zum grossen Teil nicht gut erhalten.

Diese ganze Woche steht im Zeichen eines grossen Schachturniers. Es spielen im ganzen ca. ein Dutzend Leute, und zwar (nach dem Können geordnet) in 3 Gruppen. In meiner Gruppe spielen 6 Leute, ich muss also gegen fünf spielen, je 3 Spiele, gibt zusammen 15 Spiele. 6 davon sind gestern schon ausgetragen worden. Gegen Karuso habe ich 3 verloren, gegen einen andern Jungen 3 gewonnen. Soviel für heute. Ich hatte die Marken in Wasser gelegt und muss sie noch ablösen, in der Zwischenzeit wollte ich Euch noch ein paar Zeilen schreiben.

17.6.36.

Gestern erhielt ich Euren lb. Brief vom 7.6., Eure Zeitungen und einen Brief von Lore. Es wäre sehr lieb von Euch, wenn Ihr mir noch ein Netzjäckchen schicken würdet. Was mir sonst noch fehlt sind eigentlich nur die Hosen. Ich wollte nur, ich hätte einige Bücher mehr mitgenommen (z. B.: von Alice Schalek „Japan” und was ich sonst noch an guten Sachen habe) Auch ist es schade, dass ich meine Chemiesachen nicht mitgebracht habe, ich könnte sie hier schon gebrauchen. Was Ihr mir vielleicht in einem Brief schicken könntet, ist eine hellgraue Leinenmütze. Ich habe keine vernünftige Kopfbedeckung, wenn ich mal in die Stadt fahre. Den weissen Leinenhut kann ich unmöglich aufsetzen. Eine Schnellheftermappe habe ich vergessen mitzunehmen, worin ich Eure Briefe ordnen kann. Das wäre alles, was mir

jetzt einfällt, was ich irgendwie noch gebrauchen könnte.

Hoffentlich ist bei Euch allmählich das Wetter besser geworden, dann wirst Du, lb. Mutter, wohl augenblicklich in Holland sein. Viel Vergnügen und Freude. Hoffentlich hast Du dort ein paar angenehme Tage.

Schickt mir die Antwortscheine bitte weiter - aber einer in der Woche genügt vollständig. Vorige Woche habe mir meine Sandalen neu besohlen lassen. Der Schuster hat das fabelhaft gemacht. An dem einen Schuh war die Sohle schon ganz durch.

Jetzt eine Berichtigung zu meinem vorigen Brief. 1 Shilling = 5 Piaster (nicht wie ich Euch schrieb: 10 Piaster) 1 Shilling ist also gleich 65 Pfg. und nicht 1,30 M.

Rülps ist Anfang der Woche fortgefahren und zwar geht er jetzt in die Kwuzah Mischmaroth als Chawer auf Hachscharah.

Übrigens gibt es hir doch einen Oberbürgermeister, einen sog. Muchtar, das ist der Mann, der vor der Regierung als Ortsvorsteher die Kwuzah vertritt. Das ist natürlich nur eine Formsache - in Wirklichkeit hat dieser Mann auch nicht mehr zu sagen als alle andern Chawerim.

In unserm Zimmer spielt übrigens jeder Junge irgend ein Instrument, Walter Stern eine Konzertflöte, Fredi Baumwollspinner dto. und eine Blockflöte und eine Ziehharmonika, Chaim Brotzen (früher hat er einmal Heinz geheißen) hat sein eigenes Klavier hier und ich die Mundharmonika. Weil wir ein so musikalisches Zimmer sind, haben wir ein Schild an die Tür gemacht, wo draufsteht niguna, das heißt Musikzimmer.

Das Klima ist hier augenblicklich sehr angenehm. Es ist nicht zu heiß. Meine Arbeit ist immer noch dieselbe. Die letzten Tage mußte ich Blumenkohl mit Seifenwasser und Petroleum bespritzen. Wir haben dazu fabelhafte Apparate. Es sind grosse Druckzylinder, die man auf den Rücken nehmen kann und mit denen man bis zu 150 Atmosphären Druck spritzen kann. Wir arbeiten zu zweit dabei - einer spritzt, und der andere holt

in der Zeit die Flüssigkeit aufs Feld. In den nächsten Tagen müssen wir mit irgendeiner starken Säure spritzen, gegen irgendwelche Läuse.

Ausserdem haben wir in den letzten Tagen Zäune gemacht, um an ihnen Tomaten festzubinden. In drei Wochen ungefähr sind schon unsere ersten selbstgepflückten Tomaten reif. Das geht hier furchtbar schnell. Auch werden jetzt schon Gurken geerntet, die wir noch 3 cm gross gesehen haben, und vielleicht 14 Tage vorher erst gesät haben, und sogar schon welche die wir selbst gesät haben.

Mit Euren Zeitungen habe ich mich sehr gefreut, habe ich doch mal wieder gesehen, wie es bei Euch aussieht. Die hiesigen Zeitungen können wir leider alle noch nicht lesen. Es tut mir leid, dass ich die Brücke nicht mehr fertig gesehen habe - ich wäre doch gerne mal drüber gefahren. Es wird wohl allerlei los gewesen sein bei Euch. Schade, dass ich keine Nachrichten über Palästina darin las - es hätte mich doch mal interessiert, was man bei Euch darüber schreibt. Leider ist hier alles noch wie es war. Die Lage hat sich immer noch nicht gebessert, und es sind dauernd noch Bombenanschläge u. dergl., von denen wir, Gott sei Dank, aber nichts merken. - Das Buch von Loon „Geschichte der Menschheit“ habe ich ausgelesen. Das Buch war direkt großartig. Man konnte es richtig hintereinander lesen, fast wie einen Roman. Es stellt die ganze Geschichte von den Uranfängen dar und schildert alles auf ziemlich subjektive Art. Danach las ich von Binding den „Opfergang“.

Das nächste Mal will ich Euch einen Plan zeichnen von Kirjat Anavim, damit Ihr mal genau seht, wo hier alles liegt (Wenn Ihr ihn mit dem Bild abgleicht, werdet Ihr Euch wohl von allem ein gutes Bild machen können.) Dann werde ich Euch über die verschiedenen Wirtschaftszweige einmal in jedem Brief genaueres schreiben. Schreibt mir bitte noch mal, was Euch unklar ist, oder worüber Ihr genaueres noch wissen wollt.

Für heute Schluss. Viele tausend Küsse von Eurem Ernst.

Liebe Großeltern!

Auch für Eure Zeilen vielen Dank. Ich hoffe, dass Ihr schön Geburtstag gefeiert habt und dass es Euch recht gut geht.

Lb. Großmutter, daß die Tränen immer noch rollen, ist doch sehr unnötig. Freu’ Dich nur darüber, daß ich fort bin und denke daran, dass es so wohl viel besser für mich ist, als wenn ich in Deutschland in eine Lehre gekommen wäre. Die Hauptsache ist doch, dass es mir gut geht, und dass ich zufrieden bin - dann brauchen doch die Tränen gar nicht zu rollen, auch wenn ich von dem Kuchen und den Bolschen nichts mitbekommen habe. Auch ich bin immer mit meinen Gedanken bei meinen Eltern und bei Euch, und wenn ich auch noch oft an meine schönen vergangenen Kinderjahre bei Euch denke, so bereue ich es doch niemals, hierher gekommen zu sein, sondern bin im Gegenteil froh und glücklich darüber, auch wenn ich weit fort bin von Euch. Auch Ihr könnt doch froh sein, wo Ihr ja seht, dass ich zufrieden bin, auch Du Ib. Großmutter, brauchst nicht zu weinen. Auch für Euch recht viele Grüße und Küsse von             Eurem Ernst.

20.6.36.

Heute haben wir ein paar Aufnahmen gemacht. Eine von uns vier Jungens aus meinem Zimmer, eine von Walter Stern und mir und eine von mir allein. Hoffentlich sind sie alle was geworden. Bis ich sie Euch schicken kann, wird allerdings noch etwas dauern.

Vorige Woche ist die Gruppe „Hanoar Zioni” von hier fortgegangen und siedelt sich jetzt im Emek an. Vielleicht kommen demnächst wieder neue Chawerim hierher.

Die Marken habe ich jetzt grösstenteils geordnet und werde sie Dir in den nächsten Briefen schicken - es werden wohl an die 150 Stk. sein.

Morgen erwarte ich wieder einmal Post - von Pips von der Reise.

Für heute auf vielen tausend Küssen
Euer Ernst.