Ernst Loewy an seine Eltern, 21. Juni 1936

Kirjat Anavim am 21. Juni.

Meine Lieben!

Deinen Brief, lb. Pips, aus Gütersloh vom 9. 6. habe ich erhalten; er war, wie ich jetzt am Datum sehe, sehr lange unterwegs - 12 Tage.

Aus Deinem Brief, lb. Vater, entnehme ich, dass Ihr Euch schon mal Gedanken macht, ob der Weg, den Ihr mich habt gehen lassen, auch wirklich der richtige ist. Ich kann Euch darauf nur sagen, seid froh, daß Ihr mich habt gehen lassen. Ich glaube selbst fest daran, daß der Schritt, den ich getan habe, der beste für mich ist, den ich machen konnte. Gerade die Luft, die Arbeit und das Zusammenleben mit Menschen meines Alters - das ist das einzig richtige für mich - das ist das, was mir früher immer gefehlt hat, und was in Wirklichkeit so wichtig für mich ist. Ich glaube, dass die Jugendalijah für mich die beste Schule ist, und wie ich schon im vorigen Brief schrieb, bereue ich es niemals, hierher gekommen zu sein.

Du hast einige Fragen, die ich Dir jetzt beantworten will. die Anordnungen für die Arbeit bekommen wir von dem [..], dem Arbeitsverteiler der Kwuzah. Unser Führer untersteht in Dingen der Arbeit auch der Kwuzah, in geistigen Sachen der Jugendalijah (Miss Szold). Unser Essen ist mit der Kwuzah zusammen.

Die Kwuzah umfasst ohne uns, ca. 150 Menschen, davon sind ungefähr 40 Menschen seit Anfang da (im Alter von 35-45 Jahren ungefähr).

Dann haben wir an die 60 Kinder (bis höchstens 15 Jahre). Die neueren Chawerim (zum größten Teil aus Polen) sind zwischen 20 und 30 Jahre alt, die deutschen Chawerim gleichfalls. Außerdem haben wir noch drei ältere Familien, die von dreien der Chawerim angefordert worden sind. Englisch habe ich bisher noch nicht gelernt (wenn wir einigermaßen Iwrith können, werden wir zusammen lernen). Heinz Brotzens Klavier steht im gemeinschaftlichen Schulzimmer. Dass Du auch mit nach Eindthofen fährst (bezw. jetzt schon gefahren bist) ist schön - Du wirst wohl gut einmal eine kleine Ausspannung gebrauchen können.

22.6.36.

Drei Monate sind es heute her, seit ich von Euch fort bin - ein ganzes Vierteljahr. Ich begreife immer noch nicht, wie schnell die Zeit vergeht.

Nun weiter zu Deinem Brief, den ich Dir gestern angefangen habe zu beantworten.

Wegen Briefmarken: Wir haben schon einmal im Bureau angefragt, ob es irgendwelche alten Akten dort gebe, wo man mal nach Briefmarken suchen dürfte. Die Erlaubnis haben wir nicht bekommen - wohl aber dürfen wir im Papierkorb, so oft wir wollen, nach Marken suchen. Ich habe schon eine Menge zusammen. Es sind aber alles palästinensische, die wir schon haben. Ich glaube nicht, dass die Chawerim mal alte Marken haben, werde demnächst trotzdem aber einmal fragen. Vorläufig aber habe ich Dir ja noch genug zu schicken (wohl an die 100 Marken).

Ich habe vorhin versucht einmal einen Plan, eine Zeichnung der Kwuzah zu machen - es ist mir aber nicht gelungen. Es ist sehr schwer, und glaube ich auch nicht, dass Ihr Euch an Hand einer selbstgefertigten Skizze (in der immer mehr falsch als richtig ist) die Lage der Kwuzah besser vorstellen könnt. Am besten werdet Ihr es immer nach dem Bilde können, welches sehr natürlich und 100 %tig richtig ist. Vorgestern hatten wir hier eine Sonnenfinsternis.

Allmählich geht es hier auf die Ernte zu. Die Kisten zum Verpacken haben wir schon bekommen. - Morgen erwarte ich einen Brief von Euch und werde Euch dann weiter schreiben.

23.6.36.

Den erwarteten Brief (vom 15.6.) erhielt ich heute.

Ihr fragt, wie ich aussehe. Sehr braun bin ich eigentlich nicht geworden (natürlich viel dunkler als zuhause). Aber ich glaube nicht, dass ich jemals sehr braun werde, obwohl ich den ganzen Morgen draussen bin. Ich bin aber bedeutend dicker geworden (bes. an der Brust - man kann die Knochen schon nicht mehr zählen). Starke Muskeln bekommt man natürlich durch 2 Monate Arbeit noch nicht,

vor allen Dingen, da die Arbeit nicht zu schwer ist. Im Kuhstall ist eine Waage, auf der ich mich dieser Tage einmal wiegen werde. Sport haben wir jetzt 2 x die Woche, und zwar haben wir bis jetzt immer Völkerball gespielt. Und nun noch etwas: ich bin heute sogar geritten! was sagst Du dazu? Ohne Sattel, denn so etwas gibt es hier natürlich nicht.

Es wäre doch besser gewesen ein paar richtige Arbeitsschuhe mitzunehmen - aber jetzt ist es ja zu spät; bei der Arbeit trage ich immer die alten hohen Schuhe von Vater. Aber, was Ihr uns noch schicken könnt: die Strümpfe gehen bei der Arbeit so leicht kaputt. Ich glaube, es wäre besser, ich würde da nur Fusslappen nehmen. Die Chawerim der Kwuzah tragen diese auch immer bei der Arbeit. Schickt mir bitte einmal ein Paar (Battist 40 cm x 40 cm) Ich will einmal ausprobieren, ob das gut ist. Ihr könnt sie wieder als „Muster ohne Wert” schicken. Dass Ihr mir öfters Zeitungen schicken wollt, ist sehr nett von Euch. Der Vorschlag mit Onkel Richard ist sehr gut.

Die palästinens. Briefmarken hast Du soweit vollständig. Ausserdem gibt es noch (in grösserem Format mit einem andern Bild) 50 mils, 100 mils, 200 mils, die alle drei sehr selten sind, und die ich Dir wohl kaum besorgen kann. Auch die Aufdrucksmarken sind hier selten. Welche Werte hast Du?

Könnt Ihr mir nicht per Drucksache zwei Schnellhefter schicken. Ein Junge hat solche von Hause bekommen?

24.6.36.

Ich habe gerade einen Brief geschrieben für Rolf Schwarz. Ich bitte Euch ihn an folgende Adresse zu senden: Rolf Schwarz, Internatskola Verstraby, per Löberöd, Südschweden.

Außer unseren bisherigen Unterrichtsfächern sind noch einige dazugekommen, nämlich Biologie, allgemeine Erdkunde und Geschichte (bisher hatten wir nur Palästinakunde und jüdische Geschichte). Wir haben nun folgende Stunden in einer Woche: 2 x Erdkunde, 2 x Geschichte, 2 x Sport, 1 x Biologie,

1 x Physik (freiwillig), außerdem noch eine sichah (Unterhaltung) über ein bestimmtes Thema und einen Singabend. Selbstverständlich haben wir jeden Tag immer 2 Stunden Iwrith. Jede vierte Erdkunde- und Geschichtsstunde haben wir allgemeine Erdkunde bezw. Geschichte. Heute sieht unser „Stundenplan” folgendermassen aus.

2 ½ - 3 ¼ Iwrith bei Schiker
3 ¼ - 4 Iwrith bei Fritz
4 - 4 ¼ Kaffeepause
4 ¼ - 5 ½ Freizeit (in der Zeit lernt ein anderer Kurs Iwrith)
5 ½ - 6 ¼ Geschichte
6 ¼ - 7 Physik.

Ausserdem arbeiten wir von jetzt an nur noch bis 11 Uhr (früher bis 11 ½).

26.6.36.

Gestern abend fielen auch hier in der Umgegend einige Schüsse. Die ganzen Chawerim wurden alarmiert und man schoss darauf auch von der Kwuzah aus, in der Hauptsache nur, um den Arabern Angst zu machen und sie einzuschüchtern. Es fielen von uns innerhalb einer Stunde an die 200 Schüsse. Ich glaube nicht, daß daraufhin die Araber noch wagen werden etwas gegen die Kwuzah zu unternehmen. Man ist hier bis auf die Zähne bewaffnet. Gewehre, Revolver und sogar ein Maschinengewehr. Zu befürchten haben wir hier nichts - selbst, wenn es, wie aber kaum zu glauben ist, zu einem richtigen Überfall käme. Passiert ist gestern abend nichts. Die paar Kugeln, die von den Arabern geschossen wurden, sind gar nicht bis in die Kwuzah gekommen. Wir selbst sind in unserm Haus geblieben, mussten Licht ausmachen und uns hinlegen. Das Haus stand unter starker Bewachung.

Heute ging alles wieder seinen gewohnten Gang. Ich erhielt einen Brief von Lore - diese Woche kann ich ihn nicht mehr beantwoten. Nächste Woche werde ich ihr wieder schreiben. Für heute viele tausend Küsse. Euer Ernst.

27.6.36. Auch heute ging alles wieder seinen gewöhnlichen Gang. Ich glaube nicht, dass noch etwas folgen wird.

Küken will von den Schüssen nicht nach Hause schreiben.