Ernst Loewy an seine Eltern, 1. Juli 1936

Kirjat Anavim, am 1.7.36.

Meine Lieben!

Die Karte aus Holland vom 17.6. und Deinen Brief, lb. Pips aus Krefeld vom 21.6. habe ich erhalten und erwarte dieser Tage ausführlichen Brief aus Eindthofen. Dass Du, lb. Pips, nicht mit nach Holland gefahren ist schade. Eine kleine Abspannung hätte Dir sicher auch mal gut getan. Dass mein Brief noch nicht angekommen ist, verstehe ich nicht, ich habe bisher jeden Samstag abend meine Briefe weggegeben, und so müsste doch auch der Brief, wie alle andern, Sonntag oder Montag bei Euch angekommen sein. Es tut mir leid, dass dies nicht der Fall ist und Ihr so um Eure Freude gekommen seid.

Leider kann ich Euch betreffs Unruhen noch keine erfreulicheren Mitteilungen machen. Gestern abend ist wieder geschossen worden, allerdings weniger schlimm als das vorige Mal. Ich glaube, vier Schüsse von den Arabern - von uns vielleicht ein Dutzend. Man glaubt den Grund dieser Schüsse in folgendem zu sehen. Die Araber wissen natürlich, dass sie uns damit direkt nicht schaden können - aber indirekt schaden sie uns doch sehr viel. Ihr könnt Euch denken, dass wir hier nachts dauernd Wachen aufgestellt haben (über die Hälfte aller Chawerim haben des nachts Wache (jede Nacht ein paar Stunden). Und durch diese nächtlichen Wachen leidet die Arbeit natürlich sehr. Und das ist es, was überhaupt die Araber mit ihren Schüssen bezwecken - uns wirtschaftlich zu schädigen. Dass sie mit ein paar Schüssen, die gar nicht bis hierher kommen, nicht die Kwuzah einnehmen können, werden sie selbst wissen - sie wollen es auch gar nicht. Was sie wollen, ist, wie ich schon gesagt habe, uns wirtschaftlichen Schaden beizubringen. Und ich glaube, dass ihnen das gut gelingt. Diese Nacht kam sofort ein Militärauto aus Moza - allerdings als es schon vorüber war - es hat nur ein paar Minuten gedauert. Gerade höre ich, dass in Beth-Nakuba, dem Dorf,

von dem die Schüsse kommen, heute 4 Leute verhaftet worden sind.

Nun habe ich aber eine Bitte an Euch, macht Euch nicht zu viel Sorgen und Gedanken darüber. Ich habe nur den einen Wunsch, dass Ihr Euch nicht mehr Angst und Sorgen darüber macht als ich, und dass es Euch so gut geht wie mir. Es wird schonalles gut werden. Mit einem bischen Gottvertrauen wird auch das überstanden werden. Sich nur keine unnötigen Sorgen machen!

Anfang nächster Woche fängt unsere eigentliche Tomatenernte an. Einige sind sogar jetzt schon reif. Ich habe auch schon eine gegessen. Es ist doch schön zu denken, die Tomate, die Du da isst, hast Du selbst gepflanzt. Augenblicklich müssen wir die Kisten für die Tomaten - und bes. für die Weinernte ordnen, aufstapeln und ausbessern. Es ist ein ganzes Stück Arbeit. 900 haben wir dieser Tage schon gemacht, weitere 1100 werden noch folgen. Im Ganzen ist es ungefähr eine Woche Arbeit.

Das Wetter ist augenblicklich ganz angenehm und gut zu ertragen. Richtig heiss ist es nur um die Mittagszeit.

Vor ein paar Tagen haben wir uns in unserm Haus ein richtiges Telefon gebaut; vier Zimmer haben wir bisher miteinander telefonisch verbunden. In einem Zimmer ist die „Zentrale”, die ein Zimmer mit jedem andern verbinden kann. Der Telefonapparat besteht aus einem Radiokopfhörer. In die eine Muschel sprichst du rein, mit der andern hörst Du. An Stelle der Klingel haben wir elektrische Birnchen, die, wenn man angerufen wird, aufleuchten.

Die Kwuzah hatte ein paar Tage einen Gast, und zwar Abraham Schwadronvon der Universität Jerusalem. Zufällig las ich über ihn vor ein paar Tagen in der „Rundschau“. Er hielt uns ein paar Vorträge über die Araberfrage und über die Engländer, die sehr interessant waren. Besonders ein Vortrag über die Araberfrage war so interessant, daß ich Euch demnächst

vielleicht einmal genaueres darüber schreiben werde.

Wir haben vor, von nun an am Schabbath für uns einen richtigen Gottesdienst abzuhalten. Am letzten Schabbath haben wir schon damit angefangen. Und zwar haben wir gebetet: Schacharith, die Sidrah, Haftarah und Mussaf - genau wie in der Synagoge, natürlich ohne Thoraaushebung. An Else schrieb ich anfangs, als ich hier war, einmal einen Brief, habe aber keine Antwort erhalten. Demnächst werde ich einmal einen Brief für sie bei Euch beilegen. Für heute nun Schluss.

9.7.36.

Leider habe ich heute keine Post erhalten, obwohl ich bestimmt welche von Mutter aus Holland erwartet habe. Viel neues ist von hier nicht zu schreiben. Es ist hier augenblicklich wieder völlig ruhig - hoffentlich bleibt es so. Dieser Tage - vielleicht schon heute, bekommen wir wieder die Haare geschnitten. Mein Freund Herbert Ballhorn geht leider bald von hier fort. Seine Eltern kommen in den nächsten Wochen ins Land, und er will zu ihnen gehen, nach Haifa. Er hatte seine Eltern so bald noch garnicht erwartet. Sie kommen auf Anforderungszertifikat (von seinem Bruder, der hier bei der Polizei ist) und beantragten dieses zu verlängern, was aber nicht bewilligt wurde. Das Zertifikat läuft sehr bald ab und seine Eltern werden deshalb schon in den nächsten Wochen kommen. Schade, dass Herbert nicht hierbleibt, ist ein netter Junge.

Ich wollte mich vor ein paar Tagen einmal wiegen. Ich sah leider, dass die Waage nicht funktioniert. Zugenommen habe ich aber bestimmt.

Das Schachturnier ist im Sande verlaufen - wir haben es nicht zu Ende gespielt (Ich habe 3 Spiele gewonnen und 6 verloren) Dieses oder das nächste Mal werde ich Dir wohl die letzten Briefmarken von der grossen Sammlung schicken. Nun Schluss. Seid viel, vielmals geküsst von Eurem Ernst.

Allmählich gewöhnt man sich daran. Man hört was schiessen, dreht sich um und schläft weiter. Bei den gestrigen Schüssen ist ein Mann, der oben auf dem Berg auf Wacht stand, leicht verwundet worden. Es soll aber durch seine eigene Schuld geschehen sein, da er während des Schiessens auf arabischen Boden gegangen sein woll. Wir haben jetzt 12 Polizisten hier, alles Hilfspolizisten, die wegen der Unruhen ausgebildet worden sind. In den Zeitungen werdet Ihr wohl schon davon gelesen haben. Auch von unserer Kwuzah sind 6 Leute Hilfspolizei geworden. Sie sind 8 Tage in Jerusalem ausgebildet worden, haben Uniform und Gewehr bekommen und gelten jetzt als richtige Polizisten. die anderen 6 Polizisten sind zum Teil Studenten von der Universität, die sich freiwillig gemeldet haben. Ein anderer von ihnen ist sogar eine bedeutende Persönlichkeit, deren Namen Ihr vielleicht schon gehört habt. Dr. Bodenheimer, Professor der Biologie an der Universität. Sein Vater hat den K.K.L. gegründet, und er ist verheiratet mit der Tochter von Ussischkin. Augenblicklich läuft er hier mit Uniform und Gewehr herum, was zu seinem Gelehrtengesicht gar nicht gut passt. Täglich kommt eine Militärpatrouille, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei.

Wir haben, d. h. die Kwuzah, eine neue Chawerah bekommen, die ein paar Jahre in England war und perfekt Englisch spricht. Sie wollte uns englischen Unterricht geben, eine Stunde hatten wir sogar schon (natürlich freiwillig) Fritz hat es uns aber verboten, bis wir einigermassen Iwrith können, auch die Kwuzah sieht es nicht gerne, das wir 2 Sprachen auf einmal lernen, wo wir auch in Iwrith noch garnicht allzu gute Fortschritte machen.

Die Chawerim können zum grössten Teil weder Englisch noch Arabisch, zum grossen Teil sogar noch sehr schlecht Iwrith. Unter sich sprechen die meisten noch jiddisch.

3.7.36.

Lieber Grossvater!

Zu Deinem baldigen Geburtstag will ich Dir jetzt ein paar Zeilen widmen. Ich erinnere mich an Deinen letzten Geburtstag, als Du 70 Jahre alt wurdest. Es war für mich ein doppelt schöner Tag - erstens natürlich, weil Du Geburtstag hattest (d. h. auf Deutsch, dass es leckeren Kuchen und so verschiedenes andere gab) und zweitens bekam ich an diesem Tage von Dr. Wolf so einige Sachen für meine Chemieversuche. Ich weiss noch genau, wie ich sie mir abgeholt habe und Euch freudestrahlend meine ersten richtigen Versuche vorführte. Damals dachte ich eigentlich noch nicht ernstlich daran, dass ich ein Jahr später schon in Erez sein würde. Wir hatten ja schon die Korrespondenz mit der Jugendhilfe, aber ich glaube doch nicht enstlich daran, dass es wirklich was würde. Selbst auf der Fahrt nach Schnibienchen kam mir das Vorbereitungslager noch mehr als Ferienaufenthalt als Hachscharach vor. Aber nun ist es doch was geworden, und ich sitze jetzt in meinem Zimmer und sehe durch das Fenster auf die Berge des Landes Judäa und denke dabei an meinen lieben alten Grossvater, der wohl augenblicklich dabei ist, zu Mittag zu essen, und sich danach wohl ein Stündchen Ruhe und ein wenig Zeitunglesen im Garten gönnen wird. Auch ich werde mir vor der baldigen Iwrithstunde noch ein wenig Ruhe gönnen und noch etwas lesen, nachdem ich Dir herzlich gratuliert habe zu Deinem Geburtstag. Viele Glückwünsche und alles Gute. Herzliche Grüsse und Küsse
von
Deinem Ernst.