Ernst Loewy an seine Eltern, 8. Juli 1936

8.7.36.

Euer Netzhemdchen habe ich heute erhalten und danke Euch sehr dafür, mehr braucht Ihr mir nicht zu schicken. Morgen oder übermorgen hoffe wieder einen Brief von Euch zu erhalten. Gestern musste ich in ein anderes Zimmer ziehen, weil vorläufig in meinem Zimmer Polizei einquartiert ist. In den letzten Tagen mussten überhaupt sehr viele von uns umziehen aus denselben Gründen - für ein paar Wochen wurde sogar ein ganzes Zimmer geräumt und die Leute in die andern Zimmer verteilt. Seid gestern sind unsere Leute wieder in dem Zimmer. Durch diese Auszüge sind überhaupt viele Änderungen eingetreten, so dass fast in jedem Zimmer jetzt andere Leute schlafen als anfangs.

Bei uns hat nun die Tomatenernte angefangen. Es gibt schon so viele, dass wir sie mit dem Pferdewagen vom Felde holen. Heute morgen habe ich den Wagen selbst kutschiert - übrigens Wagen ist zuviele gesagt. Ein paar Bretter, unter denen 4 Räder sind, dazu noch eine Deichsel, an die man 2 Pferde spannt. Jedenfalls kann man damit fahren, wenn man sich nicht vor einer kleinen Seekrankheit scheut. Die Pferde sind übrigens genau so gut wie der Wagen - über 20 Jahre sind sie beide (eines haben wir ausserdem noch, welches 27 Jahre alt ist, und mit dem man noch pflügt anstatt ihm das Gnadenbrot zu geben). Laufen tun sie nur, wenn man ihnen hin und wieder ein Steinchen auf den werten Popo schmeisst, sonst beliebt es ihnen einfach stehn zu bleiben und nicht mehr zu wollen.

Die letzten Tage war es hier wieder völlig ruhig - was ich Euch aber vergass zu schreiben - vor längerer Zeit (vielleicht vor vier Wochen) haben Araber oben auf dem Berg ein paar tausend Bäume ausgerodet (Unter Bäumen verstehe ich 10 bis 20 cm grosse Bäumchen) Man hat kaum davon gesprochen, und wir haben es auch nur so nebenbei erfahren. Der Wald gehört auch nicht der Kwuzah, sondern dem K.K.L., und die Arbeiten der Kwuzah in dem Wald

bezahlt auch der K.K.L. als Aussenarbeit. Aussenarbeiter haben wir hier mehrere - 3 oder 4 Leute arbeiten an der „[..]” in Jeruschalajim und 2 oder 3 in der Versuchsstation, die auch Eigentum des K.K.L., und nicht der Kwuzah, ist. Diese Arbeiter werden natürlich bar bezahlt, das Geld bekommt selbstverständlich die Kwuzah.

11.7.36.

Euren Brief vom 30.6. erhielt ich heute und danke euch bestens dafür. Dass Du, lb. Mumlein, nicht mit nach Bayern fahren willst, ist ja eigentlich schade, doch hast Du doch recht, dass Du nicht fährst - es wäre doch kaum eine Erholung für Dich, für Vater auch nicht. Gestern bin ich wieder ein wenig geritten, allmählich geht es schon, die Tiere sind ja mehr als zahm.

Es wird nun jetzt das letzte mal sein, dass ich so viele Marken schicken kann, mit diesem Brief schicke ich Dir die letzten aus der Sammlung. Von jetzt an werde ich Dir wohl nur noch hin und wieder mal ein paar einzelne schicken können, die ich gerade so bekomme - viele werden es wohl nicht werden. Mit den Chawerim der Kwuzah komme ich leider so wenig zusammen, dass ich nicht gerne, nur um Briefmarken zu erbetteln, zu ihnen gehen will. Einige, die ich näher kenne, werde ich dieser Tage einmal danach fragen.

12.7.36.

Einige von uns, auch ich, sollen für Dr. Bodenheimer einiges Gewürm suchen; Eidechsen, Schlangen, Schildkröten, Schnecken, Skorpione, Ameisen u.s.w. - und zwar in 3 Gruppen, eine Gruppe Reptilien, eine Ameisen und eine Schnecken. Bei den letzten mache ich mit noch einem Jungen mit. Bei Reptilien hat nur einer den Mut gefunden, Ameisen sammeln 3 Leute. Durch das Sammeln haben wir jetzt einen schönen Vorwand gefunden, auf den Weinberg und die Obstpflanzungen zu gehen, was wir nicht nur aus zoologischen, sondern auch aus botanischen Gründen gut ausnützen werden.

Heute ist der Todestag Bialiks und morgen derjenige Herzls.

Wir haben deshalb mit der Kwuzah heute eine kleine Feier. Gestern abend sprachen wir aus demselben Anlaß über Bialik.

Am vorigen Schabbath sprachen und lasen wir über und von Nietzsche, Dinge, die wohl die wenigsten von uns verstanden haben. Wenn auch nicht alles, so habe ich doch einiges davon verstanden, so dass ich mir unter seinen Anschauungen doch schon etwas vorstellen kann. Augenblicklich lese ich ein sehr gutes Buch, „Verdi“ von Werfel. Es stellt uns Verdi im Gegensatz zu Wagner dar, d. h. es zeigt uns den Gegensatz Deutschland - Italien, den kalten Norden - den sonnigen Süden. Rohe Kraft des Nordens wird der südlichen Schönheit des Mittelmeers gegenübergestellt.

In diesen beiden Männern sieht man den ganzen Gegensatz zweier verschiedener Völker. Rein äusserlich ist es eine Lebensbeschreibung Verdis in Romanform und ausserdem ein Zeitspiegel der Oper. Vor diesem Buch las ich von Klabund eine kleine Literaturgeschichte. Schickt mir bitte das Negativ wieder. Die andern Bilder, die wir noch gemacht haben, sind nicht gut geworden. Mit einem Bild von Dir, lb. Mutter, aus Holland würde ich mich sehr freuen. Ist eigentlich das zweite Bild damals bei Knipscher nichts geworden?

Nun Schluss. Seid alle vielmals gegrüsst und geküsst von Eurem
Ernst