Ernst Loewy an seine Eltern, 15. Juli 1936
Kirjat Anavim am 15. Juli.
Meine Lieben!
Wie ich in Ilses Brief schon schrieb habe ich Pipsens Brief (Detmond und Geseke, den 1.7.) und die Zeitungen erhalten. Heute erhielt ich dazu noch Euren Brief vom 3.-5. Juli. Zeitungen braucht Ihr mir nicht so oft zu schicken - alle drei oder vier Wochen genügt doch. Die 15. Pfg.-Marke, die drauf geklebt hat, habe ich leider verschenkt, da ich annahm, dass Du sie doch schon hattest. - Nun eine (bezw. zwei) kleine Bitten an Euch. Da ich Eure Briefe gerne einheften möchte, lasst aus der linken Seite bitte einen Centimeter mehr Platz; und schreibt ausserdem bitte am Datum noch den Wochentag dabei, da ich mich da besser reindenken kann. Ich habe gerade mal Eure Briefe gezählt und sehe, dass ich 102 Seiten (51 Blätter) von Euch erhalten habe und ein Dutzend Postkarten. Gerade gibt Ilse mir den Brief von den lb. Grosseltern, wofür ich Euch auch vielmals danke. Zuerst will ich nun Vaters Brief aus Detmold beantworten. Dass Frau Friedberg nicht zu uns kommt, tut mir eigentlich recht leid; sie könnte Euch sonst von hier alles so schön erzählen. Lb. Pips, Du wirst augenblicklich wohl schon in Bayern sein - ich hoffe, dass Du mir recht ausführlich über die hoffentlich schöne und erfolgreiche Reise schreiben wirst. - Die deutschen Marken habe ich mir für Herbert Ballhorn schicken lassen, der hier eine Sammlung angefangen hat und die einfachsten deutschen Marken natürlich nicht besitzt. Das Klavier steht nicht im „Musiksalon” sondern im Schulzimmer, und da es immer abgeschlossen ist, kann ich nur selten dran spielen.
Über mein Aussehen: Vor ein paar Tagen sagte die Krankenschwester (die hier bei einem Jungen, der gerade krank ist, im Zimmer war) zu mir, dass ich so (!) aussehe; dabei pustet sie die Packen auf, um anzudeuten, wie dick ich geworden bin. Mein Schnurrbart wächst sehr langsam, so dass ich mich hier nur alle vier Wochen mal rasieren muss - und wenn wirklich mal ein Härchen stehen bleibt, so kommt es hier auch garnicht so drauf an. Körperlich fühle ich mich sehr wohl; ob ich viel gewachsen bin, kann
ich nicht beurteilen. - Bücher sollt Ihr mir natürlich keine schicken, das würde ja viel zu viel Porto und Zoll kosten - ausserdem habe ich hier sehr viel zu lesen - in zehn Jahren würde ich nicht alle Bücher auslesen können, die wir hier haben. Nochmals - schickt mir nicht so oft Zeitungen - es ist ja schade für das Geld - wenn Ihr mir alle paar Wochen ein paar schickt, so ist das doch völlig genug.
Nun zu Eurem Brief aus Krefeld. Es tut mir leid, dass mein Brief wieder zu spät angekommen ist - doch kann ich nichts dazu, da ich, wie Ihr wisst, meine Briefe immer am selben Tage abgebe. Gerade dann auch muss der Brief zu spät ankommen, wenn Ihr (durch die Zeitungsnotiz) noch in besonderer Sorge seid, die ich wohl verstehen kann, die aber völlig unnötig ist. Für die schönen Bilder allerbesten Dank, ich habe mich riesig darüber gefreut. Für Hose und Mütze (wenn auch noch nicht erhalten) gleichfalls recht, recht vielen Dank, wenn Ihr auch für das viele Geld die Hose nicht hättet kaufen sollen. Dass Ihr sie an der Tnuvah abgeben lasst ist sehr richtig - so werde ich sie am ehesten bekommen. Unser „Milchmann” ist übrigens kein Milchmann, sondern einfacher Chauffeur, der die Milch nur bis zur Tnuvah fährt, von wo sie später an Private verkauft wird (durch richtige Milchmänner). - Mehr ist zu Euren Briefen nicht zu schreiben, hoffentlich habt Ihr meinen nächsten Brief unterdes erhalten.
16.7.36.
Ich will Euch nun weiter schreiben. Gerade habe ich mein Buch ausgelesen, was mir sehr gut gefallen hat. Hier habe ich überhaupt die richtige Freude an Büchern und an guter Literatur bekommen. Ich stürze mich hier mit direktem Heißhunger auf jedes gute Buch. Allmählich bin ich doch zu der Einsicht gekommen, lieber Pips, wie recht Du früher immer gehabt hast, als Du mich gemahnt hast, meine Zeit nicht zu verplempern, sondern ein Buch
in die Hand zu nehmen und zu lesen. Ich sehe jetzt, dass ich die Zeit (die mir hier so wertvoll ist) mit den Händen fortgeworfen habe anstatt zu lernen und zu lesen. Ich erinnere mich, als Du einmal an Deiner Nierensache schwer krank dalagst, mir zugerufen hast, ich solle lernen - lernen. Aus Deinen Worten sprach damals eine Angst, eine Angst um mich. „Was wird mit Dir sein, wenn ich nicht mehr bin, Dich nicht mehr mahnen kann!“ Diese Worte kann ich nie vergessen. Leider habe ich früher Deine Mahnungen nicht befolgt (vielleicht war ich noch nicht reif genug, es einzusehen). Aber jetzt weiss ich, wie recht Du früher gehabt hast - glaube mir, daß ich hier jede freie Minute ausnütze, um Dinge zu lernen, die für mich nötig sind, daß ich in jeder freien Minute ein Buch in die Hand nehme und lese. Viele Dinge lernen wir im Unterricht - und was wir da nicht lernen, das lerne ich für mich selbst, d. h. ich lese gute Bücher über Kunst, Geschichte, Literatur u.s.w., und lese auch deshalb, um die gute Literatur kennen zu lernen.
Nun einmal wieder etwas über die Arbeit. In den letzten Tagen habe ich hauptsächlich wieder im Gemüsegarten gearbeitet und dazwischen wieder Kisten ausgebessert (bei denen noch viel zu machen ist). Anfangs haben wir die Kisten hauptsächlich nur aufgestapelt, während wir sie jetzt alle noch einmal genau ausbessern müssen (es sind dies alles Kisten, die wir von der Tnuvah bekommen, und die früher schon einmal gebraucht waren und deshalb ausgebessert werden müssen).
Meine Hauptarbeit ist jetzt bei der Tomatenernte. Vorläufig bekommen wir jeden zweiten Tag an die 4 Kisten, es wird aber täglich mehr. Die Tomaten werden auf dem Feld eingepackt und dann muss ich den Wagen holen und sie nach Hause fahren. Ausserdem gibt es augenblicklich nur sehr wenig Arbeit bei uns. Zwischendurchh finde ich immer noch Zeit weiter Kisten zu reparieren. Vor ein paar Tagen
habe ich wieder für einen Tag beim Bau gearbeitet, und zwar beim Bau eines neuen Kuhstalls, den man vorige Woche angefangen hat und der in 2 Monaten schon fertig sein soll. Der andere Junge, der mit im Gemüsegarten gearbeitet hat, ist jetzt seit ein paar Tagen im Hühnerstall, da bei uns für so viele Leute nicht genug Arbeit ist. Wir arbeiten jetzt zu dritt. Zippora (die Chefin), Chanah (ein Mädel von uns) und ich.
18.7.36.
Euren lieben Brief vom 8.7.36. habe ich gestern erhalten. Für die Sachen, die Ihr mir schicken wollt vielen, vielen Dank. Ich glaube allerdings nicht, dass ein Luftpostbrief schneller bei Euch ist, da die Luftpost hier erst Dienstags abgeht kann ein Brief wohl doch nicht eher ankommen, als wenn ich ihn hier Sonntags abschicke mit Schiffspost. Aber Versuchen kann man's ja mal. In Obst ersticken tun wir hier nicht, da wir nämlich gar keins bekommen - wenn wir nicht hin und wieder mal was klauen würden, würden wir nie welches zu sehen bekommen; nur so hin und wieder bekommt man mal von den Leuten, die beim Obst arbeiten, einen Apfel oder was geschenkt. Wohl sollen wir in der Zeit der Weinernte (die morgen erst richtig anfängt) sehr viel Weintrauben bekommen. In den letzten Tagen hat man schon etwas mit der Ernte angefangen, aber richtig geht es erst morgen los. Vorläufig möchte ich noch so lange, wie es möglich ist, im Gemüsegarten arbeiten, da es dort noch sehr viel für mich zu lernen gibt. Und ausserdem bin ich froh noch einen festen Arbeitsplatz zu haben, und nicht, wie sehr viele andere, dauernd herumgeschmissen zu werden. - Die Zeitungen habe ich noch nicht erhalten und kann Euch also erst im nächsten Brief darüber Auskunft geben, wie weit alles richtig ist. Auch die Fragen werde ich erst im nächsten Brief beantworten. Gestern schrieb ich an Else einen Brief. Dadurch, dass ich mit Ilse zusammengeschrieben habe, habe ich etwas Porto gespart und werde es wohl verantworten können mal einen Brief mehr zu schreiben. Für heute seid alle gegrüsst und geküsst von Eurem
Ernst