Ernst Loewy an seine Eltern, 30. Juli 1936

Kirjat Anavim, am 30. Juli (Mittwoch)

Meine Lieben!

Euren Brief vom 18.7., die blaue Hose und Zeitungen habe ich erhalten. Die Hose passt wie angegossen, ich danke Euch nochmals sehr dafür - und noch einmal will ich Euch sagen, dass Ihr mir nicht mehr so oft Zeitungen schicken sollte; ich habe garnicht so viel Zeit, immer so einen ganzen Stoss zu lesen. - Wie ich Euch im letzten Briefe schrieb möchte ich sehr gerne mit Ilse weiter zusammenschreiben, ich glaube, wenn's an Eure Adresse geht, wird es doch klappen, ich wüsste nicht, weshalb es nicht gehen sollte - selbstverständlich ist Ilse gerne damit einverstanden immer an Eure Adresse zu schreiben. Ich sehe doch keinen Grund nicht mit ihr zusammenzuschreiben. So sparen wir sehr viel Porto, allerdings sind die Briefe natürlich für Luftpost zu schwer, aber wie schon gesagt, glaube ich auch garnicht, dass es mit Luftpost schneller geht. -

Mir geht es soweit wieder gut, muss aber noch ein paar Tage liegen - die Krankenschwester will sehr vorsichtig sein, damit ich mich nicht noch einmal erkälte. Augenblicklich habe ich mich mal für eine halber Stunde an den Tisch gesetzt um Euch zu schreiben, im Bett geht das so schlecht, und ausserdem fühle ich mich so wohl, dass ich überhaupt am liebsten aufstehen würde, aber vor Ende der Woche darf ich's nicht.

In einer letzten Nächte ist wieder einmal geschossen worden.

Von Lore erwarte ich bald mal wieder einen Brief, habe schon lange nichts mehr von ihr gehört. Mit meinem Brief an sie möchte ich so lange warten, damit ich ihr sofort antworten kann.

Ich las jetzt von Dostojewsky „Schuld und Sühne“. Ich habe mir vorgenommen, vorerst einmal Werke der bedeutendsten Schriftsteller zu lesen, damit ich diese einmal kennen lerne, das, was man so nennt, „Romane der Weltliteratur“, wie „Soll und Haben“ von Freytag,

Raabe's „Hungerpastor“ u.s.w.

Nun Euer Brief - viel zu antworten habe ich ja nicht darauf. Gewitter gibt es hier im Sommer überhaupt keine, nur im Frühling und Herbst. Augenblicklich ist es ziemlich heiss, doch haben wir uns prima dran gewöhnt. Übrigens habe ich hier, trotzdem ich noch keine Niveakreme benutzt habe, noch keinen Sonnenbrand bekommen. Nur auf dem Schiff hatte ich ein wenig Sonnenbrand im Gesicht. - Für die guten Wünsche von allen besten Dank, besonders für Tante Tinny, grüsse sie in Deinem nächsten Brief bitte recht herzlich von mir. Die Adresse des Julius Samstag würde ich sehr gerne erfahren. Ich würde mich ungeheuer damit freuen einen Verwandten hier zu wissen. Übrigens haben fast alle meiner Chawerim irgendwelche Verwandte hier, oftmals sogar Geschwister, Onkel und Tanten hat fast jeder hier. Oftmals bin ich sogar etwas neidisch darauf, fast jeder hat hier im Lande jemand, an den er sich im Notfalle wenden könnte, und die ihm helfen würden, während ich hier in zwei Jahren völlig allein stehe, ganz auf mich angewiesen. Aber auch dann werde ich mich schon durchzuschlagen wissen, man darf sich nur keine Sorgen machen.

Es tut mir sehr leid, dass Ihr das K.K.L.-Büchlein nicht mehr bekommen habt „Tatsachen und Probleme Palästinas”. Ihr hättet recht viel daraus gelernt, und zwar Dinge, die Ihr einfach wissen müsst. Über die Arbeiterorganisation, über die versch. politischen Richtungen innerhalb des Zionimus, verschiedene Arten der Kwuzah, Geographie und Geschichte des Landes und des Zionismus. Seht doch mal, ob Ihr das Heft nicht in der Z.O.A. bekommt, ich glaube übrigens, dass auch der I.P.P. (fragt [..] einmal) es hat. Ich hätte sehr gerne, wenn Ihr es lesen würdet.

Trotz Erklärungen von Dir habe ich Hans's Worte nicht entziffern können, rechne aber den guten Willen für die Tat.

Ich habe vor ein paar Tagen, bevor ich das Paket erhielt eine vorgedruckte Karte von der Post bekommen, in der mir mitgeteilt wurde, dass ein Paket für mich gekommen sei. Die Karte ist in einer dermassen höflichen Art geschrieben (bezw. vorgedruckt), dass ich Euch den Wortlaut mal schreiben will. Was ich Euch auf Englisch schreiben werde, steht auf der Rückseite noch auf hebraisch und arabisch. „The Postmaster presents his compliments and begs to state, that a postal packet, on which customs (Zoll) duty has been charged awaits collection at the publik counter. Your obedient servant ... (Name), Postmaster. „... Ihr gehorsamer Diener, der Postmeister”, so werden hier amtliche Formulare unterschrieben. Diese Woche habe ich Euch wohl recht wenig zu schreiben, da ich ja die ganze Zeit im Bett gelegen habe. Für heute viele Küsse von Eurem
Ernst.

(Freitag) 31.7.36.

Meine Lieben!

Ich erhielt vorhin Euren Brief vom 22. ds. mit der traurigen Nachricht wegen des Todes von Frau K. Ich habe es gerade Ilse gesagt und ist mir dies sehr schwer geworden. Ilse ist rausgegangen und habe ich sie unterdes nicht mehr gesehen. Ich selbst bin nun wieder ganz gesund und durfte schon früher aufstehen, als ich dachte, war gestern schon im Hause ein paar Stunden auf und bin heute wieder richtig aufgestanden. Sonntag werde ich wieder anfangen zu arbeiten, und zwar sehr wahrscheinlich (mittags) auf der Weinernte für 10 Tage. Von Lore erhielt ich heute einen Brief - wenn sie nicht mehr so oft zu Euch kommt, schickt ihr meine Briefe bitte immer für 8 Pfg. Stadtpostbrief.

Für das Bild recht vielen Dank, auch wenn es nicht gerade sehr gut ist. Wenn Ihr auch in den Zeitungen von den Unruhen nichts lest, so ist es damit doch noch nicht zu Ende - vielleicht sind sie dabei, allmählich abzuflauen, doch glaube ich nicht an ein sehr baldiges Ende. Auch hier

vergnügen sich die Araber immer noch mit kleinen Schiessübungen. Na, wir wollen's hoffen, dass bald Schluss damit ist. Die Schiessereien müssen für die Araber auch allmählich einmal langweilig werden.

Lieber Pips! Gewöhnliche Marken brauchst Du mir keine mehr zu schicken, gute Dubletten kann ich immer gebrauchen. Besonders niedrigere Werte von neuen Marken, die in Deutschland herauskommen.

Lb. Mumlein! Du interessierst Dich für unsern Küchenzettel. Ich will Dir mal ein Beispiel geben. Also: Morgens - Weichkäse, ein Ei, Butter (Brot und Tee gibt es immer) und Kakao. Mittags - Erbsen, bezw. Erbsenbrei - zuerst hielt ich es für gestampfte Kastanien, es schmeckt wenigstens so, Fleisch und Rote-Rübensalat und Ostsuppe. Abends - Kartoffeln, Butter, Ölsardinen (3 Stck.), Weintrauben.

Dann schriebt Ihr im letzten Brief, ich solle Euch noch mal die Währung schreiben. 1 P₤ (= 13 M) = 20 Shilling (65 Pfg) = 100 Piaster oder Grusch (13 Pfg) = 1000 Mils (= 13 Pfg). Für die letzten 10 M bekam ich 0,775 ₤P, davor bekam ich 0,783 ₤P, und davor die anderen 0,791 ₤P. Aber gross ist der Unterschied ja nicht, etwa 25 Pfg. Zusammen habe ich jetzt, nachdem ich ein wenig in der Chewrahkasse getan habe 4,714 ₤P, das sind 43/4 Pfund. Für Dr. Bodenheimer haben wir schon recht fleissig gesammelt, wir haben schon allerlei zusammen. Er will ein Buch schreiben über die Fauna von Kirjal Anavim, als typisches Beispiel für die Fauna des Gebirges Judäa. Ich will nun schliessen. Zu schreiben habe ich Euch für heute nichts mehr.

Grüsst alle recht herzlich von mir und seid selbst tausendmal gegrüsst und geküsst
von Eurem
Ernst.

1.8./ Ilse schickt diese Woche ihren Brief wieder alleine fort. Wenn ich es eher gewusst hätte, hätte ich mit Luftpost geschrieben - so ist's zu schwer. Neues gibt es nicht, Gruss!