Ernst Loewy an seine Eltern, 5. August 1936

Kirjit Anavim, Mittwoch den 5. August.

Meine Lieben!

Heute erhielt ich von Lore einen Brief aus Holland und Anfang der Woche von Euch Geld. Leider erhielt ich noch keinen Brief von Euch - sonst bekam ich immer anfangs der Woche einen Brief, den ich diesesmal sehr vermisst habe. Morgen oder übermorgen werde ich wohl etwas von Euch bekommen. Auch die Hose und Mütze habe ich noch nicht erhalten - ich verstehe das nicht, eigentlich müssten sie doch schon hier sein. Der Chauffeur will morgen einmal an der „Tnuvah” anfragen, aber falls die Sachen angekommen wären, hätte sie der Chauffeur bestimmt schon erhalten. Vor ein paar Tagen bin ich wieder umgezogen, aber nicht in mein altes Zimmer zurück - in einem andern Zimmer ist ein Bett freigeworden. (worin auch ein Hilfspolizist schlief) Ich werde nun hier bleiben und nicht mehr in mein altes Zimmer zurückziehen. Die letzten Wochen haben wir provisorisch zu fünft in einem Zimmer geschlafen, und ich habe darauf gewartet, bis in einem andern Zimmer ein Bett frei wurde. In der letzten Zeit ist so viel gewechselt worden, dass fast in allen Zimmern andere Leute schlafen, als anfangs. Übrigens sollte doch hin und wieder mal getauscht werden, damit wir uns dadurch gegenseitig noch näher kennen lernen, wenn wir mal mit andern Leuten zusammenwohnen. Ich schlafe jetzt zusammen mit unserm Führer Fritz, mit einem Jungen aus Berlin - Rolf Stern, und mit Herbert Ballhorn. Von letzterem werde ich nicht mehr allzu lange was haben - seine Eltern kommen Anfang September. Sein Vater ist Zigarrenmacher und hat hier schon eine Stelle. Seine Eltern sind angefordert worden von seinem

Bruder, der früher Maurer war und jetzt Polizist ist. Was er selbst machen wird, weiss er noch nicht genau - er will gerne Gärtner lernen.

Wie ich Euch schon vorige Woche schrieb, arbeite ich in dieser Woche auf dem [..] (Weinernte), und zwar von zwei Uhr nachmittags bis um 6 Uhr. Iwrith haben wir von 1/8 Uhr bis 9, so dass ich von da an den ganzen Morgen frei habe. Ich brauche erst um 7 Uhr aufstehen - das sind zwei Stunden später als sonst; mal ganz angenehm. Ihr könnt Euch denken, dass wir anfangs den Wein richtig gefressen haben, mir ist er jetzt schon über. Der Wein wird sofort auf dem Berg verpackt, und dann mit der Pferd nach unten gebracht. Besonders schöne Trauben werden einzeln in kleinen Pappkästchen (von 1 ¼ Pfd) verpackt. Das soll der beste Wein von ganz Erez sein - Kirjat Anavim ist bekannt dafür.

Ich versprach Euch vor einigen Wochen, Euch die verschiedenen Arbeitszweige einmal ausführlich zu beschreiben. Ich will heute damit anfangen, und Euch über den wichtigsten Zweig, den Kuhstall ([..]) etwas schreiben. Wir haben hier zwei grosse Ställe - der eine für gesunde Kühe, der zweite für Abortuskranke Kühe, deren es hier sehr viele gibt. Die Abortuskrankheit ist durch einen Bazillus leicht übertragbar, so dass die kranken Kühe von den gesunden getrennt werden müssen. Die Krankheit zeigt sich darin, dass die Kühe zu früh kalben und meistens tote Kälber gebären. In den letzten Monaten vor der Geburt werden die Kühe trocken gestellt, d. h. sie geben keine Milch mehr. Der Ausfall an Milch wird bei gesunden Tieren durch das Kalb wieder verdient, während bei den kranken Tieren (die fast nur tote Kälber gebären) sowohl die Milch für fast ein halbes Jahr als auch das Kalb verlorengeht, und das gibt natürlich einen grossen Ausfall. Die Milch von diesen Tieren ist übrigens genau so gut, wie die von gesunden Kühen - sonst würde es sich ja garnicht lohnen

die Tiere weiterleben zu lassen, da die Krankheit unheilbar ist. Die Abortuskrankheit bildet für den Kuhstall das grösste Problem, da nämlich augenblicklich dauernd (durch irgendwelche Übertragung) gesunde Kühe krank werden und verkalben. Jede Woche kommt durchschnittlich eine Kuh vom gesunden in den kranken Stall. In der Zeit, die wir hier sind, sind schätzungsweise 20-34 Kühe krank geworden. Es ist so schlimm, dass der kranke Stall, die neuen nicht mehr alle aufnehmen kann und, dass man jetzt deshalb in aller Eile einen neuen Stall für 40 Kühe baut. Alle vier Wochen ist jetzt eine Blutuntersuchung und dann konstatiert der Herr Tierarzt: wieder 6 Kühe verdächtig, sie werden erst von den andern abgesondert, eine Woche danach wird festgestellt, dass sie alle krank sind und kommen in den andern Stall. Man ist allgemein der Meinung, dass bald keine gesunden Kühe mehr da sind - jetzt haben wir schon mehr kranke als gesunde.

Das bildet für die Kwuzah einen sehr grossen Verlust. Das nächste Mal werde ich Euch weiter über den Kuhstall schreiben, besonders über die Ställe selbst und über die Arbeit, über die Kälber und die Bullen. Für heute Schluss.

6. Aug. Donnerstag.

Auch heute erhielt ich noch keinen Brief von Euch, nur Zeitungen, für die ich Euch auch vielmals danke. Ich habe nun mal an so verschiedene Mischpoche geschrieben. An Onkel Willi, Onkel Karl - das unterste ist für Waidhaus. Ich habe nun keine Zeit mehr, ich muss an die Arbeit.

Freitag, 7. Aug.

Heute erhielt ich Euren Brief vom 29.7., für den ich Euch vielmals danke. Da die Briefe jetzt so spät ankommen, will ich nun lieber mit Luftpost schreiben. Es tut mir eigentlich sehr leid, dass ich nun nicht mehr mit Ilse zusammenschreiben kann, erstens haben wir viel Porto gespart, und zweitens konnte ich immer noch viel einlegen, was nun wohl nicht mehr so gut geht. Die Briefe, die ich an Onkel Karl, Willi und nach Waidhaus geschrieben habe, kann ich nun leider nicht mehr einlegen, da dieser Brief sonst zu schwer wird. Wenn Ihr mir wieder Luftpostpapier schickt, schickt mir bitte sog. „Überseepapier” - das ist nur ein wenig dicker als Luftpostpapier und man kann beide Seiten beschreiben, was hierbei nicht geht. Ausserdem bitte ich Euch es gut einzupacken (zwischen zwei Pappblätter) damit es nicht so ankommt wie die Stachelbeeren, die aussahen, als hätten sie schon ein ganzes Jahr zwischen schweren Büchern gelegen. - Von diesem Brief werde ich unten ein Stück abschneiden müssen, da es so gerade 11 g wiegt. Man kann jetzt übrigens schon in 2 Tagen einen Brief von hier nach Deutschland schicken mit einem Flugzeug, das 2 x in der Woche fährt. Das Porto ist ein wenig höher - eine Karte kostet soviel, wie sonst ein Brief. - Die Hose und Mütze habe ich immer noch nicht erhalten. - Schickt mir bitte noch ein paar Fusslappen, dass ich zusammen 4 Paar habe; sie sind sehr bequem, aber dunklere bitte. Die Nacht hat es hier wieder geschossen, ich schätze wieder auf 100 bis 200 Schüsse. Passiert ist nichts. - Stachelbeeren schickt mir keine, es wird sich doch nicht lohnen. Schade für's Porto. - Durch den Araberstreik ist das Gemüse im Lande furchtbar teuer geworden. Für die Tomaten bekommen wir jetzt das 3 bis 4fache als gewöhnlich. Es herrscht in der Stadt ein grosser Gemüsemangel. Oft soll es täglich dort an der „Tnuvah” nur ein Dutzend Kisten - eine Kiste = 6 kg. - Tomaten geben. Leider ist kein Platz mehr da, so muss ich schliessen. Herzl. Grüsse und Küsse von Eurem Ernst.

8. Aug. Heute erst höre ich, dass bei der letzten Schiesserei wieder jemand leicht verwundet. Sonst nichts neues. Herzl. Grüsse und Küsse Ernst.