Ernst Loewy an seine Eltern, 17. August 1936

Kirjal Anavim, Montag, den 17.8.

Meine Lieben!

Zuerst möchte ich Euch Euren lb. Brief vom 7. 8. beantworten, in dem Ihr wieder einige Fragen betreffs der Verwaltung in der Kwuzah stellt. Gesprochen haben wir bei uns über all diese Sachen noch nicht. Auch glaube ich nicht, dass man jetzt noch in der Kwuzah über solche Probleme (insbes., ob die Frauen führende Stellen haben sollen) spricht. Die Leute, die hier massgebend sind, sind hier jetzt schon 16 Jahre in der Kwuzah und die Leute beschäftigen sich jetzt nicht mehr mit solchen Problemen, die uns in der Gola beschäftigt haben. Sie mögen sich früher vielleicht einmal darüber unterhalten haben, aber nach 16 Jahren ist die Frauenfrage bestimmt kein Problem mehr für Menschen der Kwuzah. Ein wichtiges Prinzip der Kwuzah ist doch die völlige Gleichberechtigung der Frau; und dadurch, dass die Menschen hier dem Verband der Arbeiter, der Histadruth, und dem Chewer Hakwuzoth, dem Verband der Kwuzoth, angegliedert sind, bejahen sie doch diese Gleichberechtigung. Es ist selbstverständlich, dass auch Frauen das Recht auf führende Posten haben. Ob es hier Frauen mit diesen Posten gibt, weiss ich nicht, doch wüsste ich keinen Grund, weshalb es das nicht in dieser oder jener Kwuzah geben soll. Vorbedingung ist natürlich bei jedem Amt, dass der Betreffende die Verantwortung übernehmen kann und seine Pflichten allerseits erfüllen kann. Dieses ist nicht immer so leicht, ganz besonders beim Arbeitsverteiler. Dieser muss 1. jeden Menschen einigermassen genau kennen, damit er ihm auch die zutreffende Arbeit geben kann, und 2. muss er jeden Arbeitszweig bis ins kleinste genau kennen, weil er ja bestimmen muss, welche und wieviele Menschen dort arbeiten müssen. Wenn er Fehler macht und die Arbeit nicht gut einteilt, könne grosse Mengen Arbeitskraft und Arbeitszeit verloren gehen. Ich glaube nicht, dass ein guter Arbeitsverteiler, wenn es nicht nötig sein sollte, abgelöst wird. Auch an den Kassenverwalter

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werden mancherlei grosse Anforderungen gestellt; z. B.: muss dieser ein sehr guter Kaufmann sein, da er ja die Geschäfte abschliesst. Keiner der Ämter ist so leicht, dass es jeder übernehmen könnte.

Wie ich schon schrieb, arbeiten einige der Chawerim und Chaweroth auch auf dem Bureau an der „Tnuvah”; diese und auch die Leute, die hier auf dem Bureau arbeiten (nicht [..] die Haskinuth, der Vorstand) sind alle Leute, die nicht körperlich arbeiten können.

Wir arbeiten hier übrigens nicht nur auf dem Felde. Es gibt hier eine gute Ausbildungsmöglichkeit im Baufach und in der Schmiede; die Schmiede ist hier auch gleichzeitig Schlosserei und Klempnerei. Auch eine kleine Schreinerei ist hier, wo aber selten Arbeit ist. Der Schuster ist kein Mitglied der Kwuzah, er wird bezahlt und hat seine Familie in Jerusalem. Ich glaube kaum, dass es dort eine Möglichkeit gibt zu arbeiten. - Übrigens gibt es hier in Erez nicht die Ordnung: Meister, Geselle, Lehrling. Jeder, der arbeiten kann, ist hier gleich. - Für heute nun Schluss. Übrigens was ich fast noch vergessen habe - ich erhielt heute die Fusslappen, wofür ich Euch recht danke. - Also recht viele Grüsse und Küsse
von Eurem Ernst.

Donnerstag, 20.8.36.

Euren lb. Brief vom 10.8. habe ich schon am Dienstag erhalten und danke Euch sehr dafür. Viel Gutes habe ich Euch leider nicht zu schreiben. In dieser Woche waren schon zwei grössere Schiessereien - Montag und die letzte Nacht. Montag hatten wir drei Verwundete, davon einer so schwer, dass er heute in der „Hadassah“ in Jerusalem gestorben ist. Die beiden andern waren nur leicht verwundet. Die Araber dagegen haben bei den letzten Schiessereien viel grössere Verluste erlitten. Beim vor-vorletzten Mal sollen es angeblich 4 Tote und 6 Verwundete gewesen sein. Diese Nacht waren es bestimmt noch viel mehr, da wir nämlich seit ein paar Tagen englisches Militär mit einem Minenwerfer hierhaben, der dieses Mal an die 15 mal geschossen hat. Die Angriffe sind nicht auf die Kwuzah selbst gerichtet, sondern

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auf einen Vorposten oben auf dem Berg - bis jetzt konnten sie immer noch zurückgeschlagen werden. Übrigens dieser Posten, der aus ca. 12 Menschen besteht, ist in einem besonders dazu gebauten Steinhaus, dass ihm die Schüsse überhaupt nichts anhaben können. In der letzten Woche waren überhaupt im ganzen Lande sehr schwere Verluste; ich glaube über ein Dutzend Tote. -

Ein Mädel von uns ist heute am Blinddarm operiert worden. Gerade kommt aus Jerusalem die Nachricht, dass die Operation gut verlaufen ist. - Nun zu Eurem Brief. Schickt mir bitte noch ein Paar Fusslappen. Sie sind sehr bequem zu tragen, und man versaut sich die Strümpfe nicht mehr dadurch. Stachelbeeren schickt mir bitte keine mehr, da sie bei der Fahrt doch kaputtgehen.

Dass Herr Levy hier in Erez bleiben wird, wusste ich garnicht. Ich nahm an, er käme nur als Turist. - Seit Anfang der Woche bin ich nicht mehr im Gemüsegarten - ich arbeite jetzt für vier Wochen in der Küche. Und zwar habe ich dort nichts anderes zu tun als zu spülen. Das ist auch einer von den Diensten, wo jeder mal mit drankommt. Diese Dienste nennt man „Thoranuth“, das sind alles die Sachen, die nicht schön sind, und bei denen man nichts lernt, die aber getan werden müssen. Ich arbeite dort mit Ilse zusammen. Sie muß Kartoffeln schälen u.s.w., und ich muß spülen. Ich will Euch direkt ein wenig über die Küche schreiben. Sie liegt direkt neben dem Esssaal, folgendermassen: Essaal, Küche, Bäckerei und Wäscherei liegen so hintereinander in einem [..], Holzbaracke. In der Küche arbeiten 5 Frauen, Erbse und ich, dazu noch der Bäcker. Die Aufsicht über die Küche und besonders den Vorratsraum, der in einem andern [..] liegt, hat einer von den älteren Chawerim. Dieser muss hauptsächlich die Einkäufe machen - mit dem Kochen hat er nichts zu tun. Gekocht wird hier nur auf Petroleum; einen richtigen Herd gibt es hier nicht. Überhaupt wird im ganzen Land hauptsächlich mit Petroleum gekocht, da es sehr billig ist; es gibt da besondere Brenner für. Es gibt hier immer 2 x verschiedenes Essen, nämlich mit Fleisch oder vegetarisch nach Wahl; für die Kranken wird jeweils, wenn es nötig ist, besonderes Essen gekocht. Das Brot wird in der eigenen Bäckerei gebacken und zwar gibt es immer Graubrot und Weissbrot

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und ein besonderes Brot für Kranke. Ich muss aufhören, da wir jetzt Iwrith haben.

Samstag, 22.8.36.

Meine Lieben!

Morgen fährt Herbert Ballhorn nach Tel-Aviv. Er hat ein ganz riesenhaftes Glück. Er hat sehr viel Interesse an Tieren, und da er für Dr. Bodenheimer viel Eidechsen u.s.w. gesammelt hat, und dieser gesehen hat, dass Herbert sich für irgend einen naturkundlichen Beruf gut eignen wird, will ihm dieser eine Stelle besorgen. Herbert hat zweierlei in Aussicht: entweder Tierpräparator oder eine Stelle im Tel-Aviver Zoo. Morgen fährt er nach Tel-Aviv um sich beim Besitzer dieses Zoo einmal vorzustellen. Was er da eventuell tun soll, weiss er noch nicht. Bodenheimer hatte ihm Anfangs sogar vorgeschlagen, ihm ein Stipendium zu besorgen für eine Schule, wo er Naturkundelehrer lernen soll. Die 4jährige Ausbildungszeit wollte er selbst bezahlen. Herbert hat da aber sehr wenig Interesse daran. Falls er morgen in Tel-Aviv noch Zeit hat, will er mir das Paket mitbringen von Max Levy. Er glaubt aber nicht, dass dies gehen wird, da die Pinskerstrasse, von dem Ort, wo er hin muss, weit entfernt ist und er in Tel-Aviv nur sehr wenig Zeit hat. Doch will er versuchen, ob es sich machen lässt. Herberts Bruder holt ihn in ca. 10 Tagen ab, um mit ihm nach Haifa zu fahren und seine Eltern abzuholen. Allein durfte er augenblicklich nicht nach Haifa fahren, da gerade diese Strecke recht gefährlich ist. - Ich wollte, ich könnte Euch auch schon in Haifa abholen. - Gestern habe ich in Erdkunde ein kleines Referat über Syrien gehalten, und habe am letzten Schabbath die Sidrah gelesen. Sonst weiss ich nichts neues mehr. Seid also vielmals gegrüsst und geküsst von Eurem Ernst.

Übrigens bitte ich Euch, mir bald wieder Luftpostpapier zu schicken, ich habe in 2 Briefen die Hälfte schon verbraucht. Kuverts habe ich noch genug.