Ernst Loewy an seine Eltern, 31. August 1936
Kirjath Anavim, Montag, den 31.8.36.
Meine Lieben!
Gestern erhielt ich Euren lb. Brief vom 21.8., wofür ich Euch recht danke. Herbert war heute für Professor Bodenheimer in der Stadt und als er heimkam, fand er eine Karte vor von seinem Bruder, der ihm mitteilt, dass seine Eltern schon früher abgefahren seien und schon heute ankämen. Er wird fast verrückt vor Freude, und darf jetzt doch nicht zu ihnen hinfahren, da Fritz für eine paar Tage in Jerusalem ist, und er ohne dessen Erlaubnis natürlich nicht fahren darf. Er weiss nun nicht was er tun soll. - Gestern kam ganz unerwartet Rülps zu uns. Er hatte in Jerusalem zu tun, und hat uns auf diesem Wege einmal besucht. - Nun will ich Euren Brief beantworten. Es tut mir leid, dass Ihr von hier immer noch so hässliche Berichte in der Zeitung lesen müsst. Ich sage Euch nur noch einmal, macht Euch nicht zu viel Sorgen darum. Wenn Ihr wüsstet, wie wenig wir uns daraus machen, würdet Ihr Euch sicher viel weniger Sorgen machen. Wenn Ihr den Bericht noch habt, schickt ihn mir demnächst mal bitte. Übrigens „stundenlange Kämpfe” haben wir bisher noch garnicht gehabt - ich glaube, dass noch kein Kampf über eine Stunde gedauert hat. -
Dass Ihr für eine Erez-Reise spart, ist sehr schön. Wolle es Gtt, dass ich innerhalb der nächsten zwei Jahre wenigstens einen von Euch wiedergesehen habe. Fast von allen Chawerim die Eltern haben vor demnächst einmal zu kommen, einige schon recht bald. Fredis Eltern wären wahrscheinlich, wenn die Unruhen nicht gekommen wären, schon Ende dieses Jahres für immer hierhergekommen. Na, wollen's hoffen, dass es bei uns auch nicht allzu lange dauert. - Wie Herbert vorige Woche in Tel-Aviv war, hat er mir ein Stück Leberwurst mitgebracht. Man kann also, auch ohne sowas von Deutschland zu schicken, mal an Leberwurst kommen. Wurst zu schicken hat keinen Zweck. Schade für's Geld - ich werde auch so satt. - Weshalb wartet Hellmuth Frank nicht noch ein Jahr und geht dann mit der Jug.-Alij. nach Erez? Weshalb Amerika? Wenn er zu Verwandten ginge, wäre es ja etwas anderes. - Die violett-gestreifte Schlafanzughose von Vater geht jetzt kaputt, es ist das erste, was ich nicht mehr tragen kann. Was ich mit der noch guten Jacke tun soll, weiss ich nicht. -
Dass Euch die Haltung der Mandatsregierung erst heute missfällt, wundert mich eigentlich. Dass durch ein Machtwort die Unruhen innerhalb weniger Tage ein Ende hätten, ist klar. Es fragt sich nur, ob England das Machtwort geben will!! - Eher umgekehrt.
Über Post haben, glaube auch ich, beide Teile nicht zu klagen. Meine Briefe gehen ja jetzt sehr schnell. Falls einmal etwas ganz wichtiges los sein sollte, schreibe ich mit Luftpost auf „Flugzeug Silbermöve”, die Karte, die genau soviel kostet wie sonst ein Brief, ist dann schon in 2 bis 3 Tagen bei Euch. Aber so etwas „besonderes” wird schon nicht geschehen - ich wüsste auch nicht, was. - Es würde mich einmal sehr interessieren, die Adresse von Julius Samstag zu wissen. - An Funke erinnere ich mich noch sehr gut, auch wenn es schon bald ein Jahr her ist, dass ich die Schule verlassen habe. Das „Daa gieiebts nichts zum lachen” werde ich nie vergessen, genau so wenig wie Zschorlichs „Und da haben die Deutschen die Franzosen aufs Kapitol geschlagen, dass ihnen Hörner daraus wuchsen, so lang wie Spazierstöcke”.
Für heute will ich schliessen - vor der Iwrithstunde habe ich noch ein wenig Zeit zum Lesen. Ich lese augenblicklich Brachvogels „Friedemann Bach”. Wir haben es zu Hause gehabt, da habe ich's nicht angerührt.
Also nun Schluss. Viele Küsse, Euer Ernst.
Mittwoch, 2.9.36.
Bald kommen nun die Feiertage. Es werden in diesem Jahre keine glücklichen Tage werden, wenn man an all die Todesopfer denkt, an die Unruhen, den Schaden und was alles damit zusammenhängt. Gerade für uns werden es keine sehr schönen Tage werden; wir werden wahrscheinlich nicht einmal in die Stadt und in die Synagoge gehen können. Vielleicht dürfen diejenigen, die in Jerusalem Verwandte haben, diese besuchen, aber das ist noch sehr unbestimmt. Wenn ich an frühere Jahre zurückdenke, so sehe ich, wie schön ich die Feiertage immer verbracht habe, wie ich mit Euch in die Synagoge gegangen bin, wie wir nachher bei den Grosseltern mit einem Hühnchen schön zu Abend gegessen haben, und hier werde ich von den Feiertagen wohl sehr wenig merken. Das einzige wird sein, dass wir 2 Tage (mit dem darauffolgenden Schabbath sogar 3 Tage) nicht arbeiten werden und dass ich zur Feier des Tages meine weisse Hose das erste Mal anziehen werde. Von der festlichen Feiertagsstimmung werden wir hier wenig spüren. Hoffentlich verbringt wenigstens Ihr die Feiertage glücklich und in guter Gesundheit.
Und hoffentlich bringt uns allen das neue Jahr glücklichere und besere Tage als das alte, besonders in den letzten Monaten. Ein glückliches Jahr sei Euch geschrieben! [..]
An Onkel Sali habe ich einen Brief geschrieben, der gleichzeitig auch für Hubertus- u. Viktoriastr. ist. An diese nochmals besonders viele Grüsse und Glückwünsche. Auch an alle andere Mischpoche.
Nachdem Rülps in Jeruschalajim war, ist er noch für ein paar Tage nach hier gekommen - wie lange er noch hier bleibt, weiss ich nicht. - Gestern Abend war hier wieder eine kleine Schiesserei - ungefähr ein Dutzend Schüsse, aber [..] es ist nicht passiert.
Samstag, am 5.9.36.
Gestern hätte ich eigentlich noch einmal Post erwartet, habe aber leider nichts bekommen. Viel Neues ist von hier nicht mehr zu schreiben. Ich habe gestern an die Chewrahkasse wieder einmal etwas gegeben - nicht viel, 108 Milin, so dass ich jetzt im ganzen 6 ₤P genau habe; dafür könnte man hier schon gut einen Monat leben. - „Friedemann Bach” habe ich ausgelesen - ich lese
jetzt von Fritz Stahl „Weg zur Kunst”, ein Buch, das in die Kunst einführen will, welches lehren will Kunst zu verstehen und richtig zu betrachten, und zwar in Form einer Kunstgeschichte. - Dieser Tage kommt der Vater von M. Mendel und mit demselben Schiff ein jüngerer Bruder von unserem Führer Fritz, auch als Jugendalijah. In ungefähr 6-8 Wochen werden auch seine Eltern hierherkommen, auch auf Anforderung. Herbert ist noch hier und hat von seinen Eltern, die schon fast eine Woche im Lande sind, noch keine Nachricht - ich verstehe das nicht - die Postverbindungen im Lande sind überhaupt miserabel - so dauert ein Brief von hier nach Ein-Charod (höchstens 200 kl) ungefähr 1 Woche, genau so lang wie von hier nach Deutschland. - Rülps ist auch noch hier. - Das Mädel, was am Blinddarm operiert wurde, ist für 14 Tage in Moza, wo, wie Ihr wohl wisst, ein „Arbeitergenesungsheim” ist, an der Stelle, wo Herzl einst eine Zeder gepflanzt hat - das Sanatorium hat darnach auch seinen Namen, nämlich Arsah = Zeder. Nun will ich schliessen. Nochmals [..]. Viele Grüsse und Küsse von Eurem
Ernst