Ernst Loewy an seine Eltern, 7. September 1936

Kirjat Anavim, Montag, den 7. Sept.

Meine Lieben!

Gestern erhielt ich Eure Karte aus Brilon und heute Euren Brief vom 29.8. Es tut mir leid, dass auch meine Luftpost später ankommt, aber der eine Tag macht ja nichts aus - ich kann nichts dazu, da ich meine Briefe immer zur selben Zeit abgebe. Fritz ist jetzt für ein paar Tage nach Haifa um seinen Bruder abzuholen, der mit demselben Schiff aus Marseille kommt wie der Monteur Steinmann und auch Mendel aus Essen - ich glaube morgen kommt das Schiff an. Fritz wird ausserdem auch zu Herberts Eltern gehen, um mit diesen alles wegen Herbert zu erledigen. Ausserdem wird er auch mit Mendel sprechen, da Manfred nicht hinfahren durfte. - Meine Küchenarbeit wird bald zu Ende sein - lernen konnte garnichts da, weil ich weiter nichts getan habe als spülen und die letzte halbe Stunde den Tisch gedeckt habe. Das Mädel lernt schon etwas mehr dabei - Kartoffelschälen, Töpfe scheuern u.s.w. Eine gute körperliche Übung ist das Abwaschen bestimmt nicht und die Muskeln stählen tut es auch nicht. Du meinst, lb. Vater, dass der Arbeitsverteiler gerade mir leichte Arbeiten gäbe. Das stimmt nicht ganz. Ich habe bisher doch fast nur im Gemüsegarten gearbeitet, und die Arbeit habe ich mir doch selbst ausgesucht. Wenn ich woanders gearbeitet habe, war es doch meistens nur, weil bei uns keine Arbeit war, oder weil, z. B. beim Bau, besonders viele Leute gebraucht wurden. In der Küche muss jeder von uns mindestens einen Monat arbeiten. Auch im Haus und bei der Wäsche müssen neuerdings auch Jungens arbeiten. Ich finde das zwecklos, da doch die Jungens nicht viel dabei lernen können, während es doch für Mädels sehr wichtig ist. In der Küche ist es etwas anderes, da bei der Arbeit, die dort die Jungens tun, auch die Mädels nichts profitieren können. - Wir bekommen dauernd neue Hilfspolizisten; auch von der Kwuzah laufen schon viele mit Uniform, Gewehr und Polizeigewalt herum; die Uniformen erinnern mich immer an Beschreibungen von Karl May über das türkische Militär. Allerdings sind die langen Araberflinten durch leichte englische 10-schüssige Gewehre neuesten Typs ersetzt. Die Polizisten stehen unter dem Befehl eines Korporals. Übrigens hat schon vor Monaten die Kwuzah einige Gewehre von der englischen Regierung bekommen, „Police-Gun“, nur einschüssige Schrotgewehre. Eigentlich traurig, dass man dauernd von solchen Dingen schreiben muss, anstatt

schöne Fahrtenerlebnisse zu schildern. - Dr. Bodenheimer ist wieder fort von hier, da seine Ferien von der Universität um sind. In seiner Uniform sieht er aus wie ein Pascha mit vier Rossschweifen, mit seinem schwarzen Vollbart. - Die Gebete sagen wir am Schabbath noch auf aschkenasisch, da es für uns so noch der Gewohnheit wegen leichter ist. Dagegen sagen wir die Sidrah auf sefardisch, auch Kiddusch und Hawdalah. In den hiesigen Synagogen wird natürlich auch sefardisch gebetet - in Split übrigens auch schon. - Von den Fusslappen waren die ersten eigentlich am besten, da sie dicker und stärker als die andern waren; allerdings waren die grauen ihrer Farbe wegen praktischer. - Gesundheitlich geht es mir natürlich sehr gut, sonst hätte ich Euch schon geschrieben.

In der Schlosserei arbeiten zwei Leute von uns. - Dass Ernst Lamm nach München kommt freut mich ganz riesig; hoffentlich kommt er bald hierher. Wenn er nach München kommt, kann er ja Onkel Sali mal besuchen. Schreibt ihm mal demnächst er soll ja nicht versäumen das Deutsche Museum einmal zu besuchen (Eintrittspreis, soviel wie ich weiss nur 10 Pfg - geöffnet von morgens 9 bis abends 6). Sadler ist ja nicht mehr da. Wie Ihr wisst war er gerade beim Einpacken, als ich da war. Fünf Häuser neben ihm wohnt übrigens der Uhrenhändler, von dem ich meine Uhr habe, und dessen Töchterchen auf einigen von den Münchner Bildern ist, die Onkel Sali Euch geschickt hat. Ich weiss nicht, ob ich Euch das schon einmal geschrieben habe - ist übrigens schon bald ein halbes Jahr her. Damals hätte ich sicher nicht gedacht, dass die Frau Böhm schon so bald sterben wird. - Dass die Reise schön war, freut mich sehr. Eigentlich wollte Vater mich ja auch mal mit nach Brilon genommen haben. - Unsere Instrumente gebrauchen wir jetzt sehr selten. Es soll einmal ein Orchester gegründet werden - aber abends dürfen wir weder Licht noch Krach machen. Meistens liege ich jetzt schon um ½ 8 spätens 8 im Bett, da man bei der Dunkelheit doch nichts tun kann. Hier wird es übrigens im Hochsommer schon um 7 Uhr dunkel, dafür im Winter aber nicht unter 5 Uhr - die Schwankungen der Länge des Tages sind hier ziemlich gering. Für heute nun Schluss. Es leutet gerade zum Arbeitsschluss; es ist erst kurz nach 5 Uhr und die Sonne geht schon unter.