Ernst Loewy an seine Eltern, 14. September 1936
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Kirjat Anavim, am Montag, den 14. Sept.
Meine Lieben!
Heute erhielt ich 4 x Post, Euren Brief vom 5.9., die Fußlappen, eine Karte von Tante Klara und einen Brief von der Hubertusstr. Für alles, Brief, Fusslappen und Luftpostpapier, vielen Dank. Fusslappen habe ich jetzt aber satt und genug. Vorhin kam Fritz wieder, und brachte uns die nicht allzu schöne Botschaft mit, dass es von der Jugendhilfe verboten wäre an den Feiertagen fortzufahren, wenn nicht gewisse Bedingungen erfüllt werden - und diese sind, dass man von Verwandten eingeladen ist, dass diese den Betreffenden abholen und, dass diese schriftlich erklären, die Verantwortung zu übernehmen. Das heisst, dass ich nicht fahren kann, und noch viele andere auch nicht. Ein Unsinn ist das; fast täglich fährt jemand von uns zur Stadt, wenn er zum Arzt muss oder so was - es würde auch nichts schaden, wenn es einmal, ohne, dass es ungedingt nötig ist, erlaubt wäre, fortzufahren. In den letzten Tagen dachten wir schon alle, dass wir fahren dürfen, und jetzt ist es schon wieder verboten worden. Seit Freitag arbeite ich nicht mehr in der Küche. Einen festen Arbeitsplatz habe ich vorläufig nicht. Heute habe ich zuerst vor dem Frühstück beim Bau gearbeitet und habe später Hachscharah gemacht, das heißt Vorbereitung, in diesem Fall eine Arbeit, um die Felder für die Wintersaat vorzubereiten, das ist in der Hauptsache, Unkraut aushacken, bezw. ausbrennen. Das mss unbedingt vor der Regenzeit noch gemacht werden, da das Zeug ja sonst noch viel schlimmer wächst. Der erste Regen wird wohl schon in ca. 4 Wochen kommen, und dann ist es bis zum Winter schon nicht mehr weit. Auch der neue Kuhstall muss bis dahin schon fix und fertig sein, weil dann die Kühe nicht mehr im Freien bleiben können. Der Dachstuhl steht schon, und der Guss ist, bis auf wenige Kleinigkeiten im Innern, fertig, die Wasserleitungen liegen schon und auch die Eisengerüste, wo die Ketten für die Kühe dran sind, stehen auch schon. Bald kommt jetzt das Dach und in ca. vier Wochen wird so ziemlich alles fertig sein. Wie man in Deutschland, wenn der Dachstuhl fertig ist, an diesen ein Bäumchen bindet, so bindet man hier einen Magen David
dran, aus grünen Zweigen, verziert mit einem roten Lappen, welch letzterer das Wahrzeichen des Sozialismus darstellen soll. Dieser rote Lappen, welcher eine Fahne vertreten soll, wird überhaupt hier in Erez viel benutzt, meist in Verbindung einer blauweissen Fahne, was ich eigentlich reichlich geschmacklos finde. Nun Euer Brief: Was Mendel aus Essen machen wird, weiss nich nicht. Manfred hat ihn, obwohl er schon acht Tage im Land ist, noch nicht gesehen. Augenblicklich ist das alles nicht so einfach. Ich habe gehört, dass in den nächsten Tagen neues englisches Militär hierherkommt, und dass dann die Zivilregierung durch Militärregierung abgelöst wird. Hoffentlich ist es kein blosses Gerücht, ich nehme an, dass die Unruhen dann doch bald ein Ende finden. Vorläufig sieht es noch nicht danach aus. - Das Negativ von meinem Bild kann ich Euch nicht schicken; es ist ja nicht von meinem Apparat und ich habe es ja selbst nicht. - Dass das Geschäft gut ist, freut mich sehr. Spart fleissig!!! - Was macht Sadler in Haifa? Chemische Fabrik? Schreibt mir bitte einmal die Adresse - auch die Adresse von Julius Samstag. Ich glaube bestimmt, dass ich dem halben Jahr, wo ich hier bin ein ganzes Stück gewachsen bin, und bin auch etwas dicker geworden. Pickel im Gesicht habe ich nicht mehr so viele. Gesundheitlich geht es mir sehr gut. Ich wundere mich nur, dass mir das Klima so wenig ausgemacht hat. Augenblicklich ist es übrigens garnicht mehr warm, ich glaube kaum, dass es wärmer ist als bei Euch.
Dass Heinz Jakobus's Mutter gestorben ist, ist ja fürchterlich; der Junge tut mir leid. Es ist fürchterlich. - Wir haben jetzt historia Geschichte und muss ich jetzt schliessen.
Dienstag, den 15. Sept.
Heute habe ich wieder bei der Hachscharah gearbeitet, nachdem ich vorher mit mehreren andern ein Auto Mist vollgeladen habe. Es kommt jetzt jeden Tag ein Auto um von uns eine Fuhre Mist zu kaufen; so was haben wir hier natürlich in fast unerschöpflicher Menge. Der Mist auf den Höfen, wo die Kühe immer sind, ist ca. 20 cm hoch und ist seit schätzungsweise 3 Jahren nicht entfernt worden, natürlich ganz festgestampft und hart; das beste Dungmittel. Schade, dass ich nicht einmal eine Fuhre schicken kann; es wäre
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für unsern Garten ausgezeichnet. - Heute höre ich, dass es schon bestimmt wäre, dass Palästina jetzt eine Militärherrschaft bekäme. 15000 Mann Militär wären schon unterwegs. In ca. 8 Tage erwartet man die Ankunft. Hoffentlich bringt dies das Ende der Unruhen. - Ich will Euch nun über die Pflanzungen noch etwas weiter schreiben, und zwar zuerst über den Weinberg ([..]). Wie Ihr wisst, ist der Weinberg hier terassenförmig angelegt. Die Terassen sind in mühseliger Arbeit mit den Händen gebaut worden, sie gehen bis ganz oben auf den Berg. Oben ist dieser ziemlich flach, und man hat einen Wald darauf gepflanzt. Dieses sind hier die ältesten Bäume und schon ziemlich gross - Kiefern. Man glaubt fast, dort oben in einem kleinen deutschen Wäldchen zu sein. Die Westseite des Berges ist durch eine Mauer vom arabischen Boden getrennt und man sieht von dort Abu-gosch, ein arabisches Dorf, welches direkt an der Landstrasse liegt. Da ich gerade von einem Berg rede, will ich Euch sofort über die andern Berge etwas schreiben, oder will Euch am besten eine kleine Zeichnung davon machen.
Leider ist diese nun sehr mies geworden, aber so ungefähr werdet Ihr es schon sehen. Es ist übrigens nur schematisch, so sind z. B.: die Grenzen in Wirklichkeit nicht so grade. Wie Ihr seht gehört uns über der Landstrasse auch noch ein kleiner Berg, aber der hat weiter keine Bedeutung. Auf den andern Bergen ist, ausser dem Weinberg, nichts angebaut, sondern nur vor ein paar Jahren vom K.K.L. kleine Bäumchen gepflanzt, die jetzt zum grossen Teil vernichtet worden sind. In den Tälern zwischen den Bergen sind Obst- und Gemüsepflanzungen, und ganz in der Mitte stehen die Häuser, Kuh- und Hühnerstall u.s.w. Wie Ihr seht liegt die Quelle auf arabischem Boden; sie war überhaupt nur von den Arabern gepachtet und ist uns jetzt natürlich genommen worden. Dafür sind wir jetzt an der Wasserleitung angeschlossen, die nach Jerusalem geht und parallel mit der Landstrasse verläuft.
Nun wieder zurück zum Weinberg. Die Arbeit ist natürlich dieselbe wie auch in Deutschland: Pflügen, Unkraut aushacken, gegen Ungeziefer mit einem Arsenpräparat stäuben, die Reben festbinden u.s.w. Bei der Ernte wird alles sofort auf dem Berg verpackt und mit Pferden heruntergeschafft. Zur Ernte gebrauchen wir hier keinen Körbe, sondern kleine Holzkisten mit Handgriffen. Wir haben hier 4-6 Sorten Wein. Blaue und Gelbe - die blauen mit Muskatgeschmack, unter den gelben eine Sorte mit ganz grossen Beeren, sogen. Dattelwein. Mehr ist über den Weinberg wohl nicht zu schreiben, ausser, dass dort noch viele alte Olivenbäume dazwischen stehen. Über Obst und Gemüse werde ich demnächst schreiben, auch über die Versuchsstation. - Gerade fällt mir ein, dass wir vor acht Tagen schon das dritte Mal hier die Haare geschnitten bekamen. Der Hund der Kwuzah hat heute Junge gekriegt; sieben an der Zahl, vier davon sind männlich, die andern ... Ich habe sie noch nicht gesehen; ich werde jetzt mal hingehen, unsere Jungens spielen vor dem Hause schon mit den Hündchen.
Mittwoch, den 16. Sept.
Vor den Feiertagen eben mal ein paar Zeilen. Einige Leute sind schon fortgefahren und die andern werden gleich fahren. Es werden ungefähr 15 Leute hierbleiben. Ich habe mich schon umgezogen, das erste Mal die weisse Hose. - Mendel ist heute hierhergekommen, gesprochen habe ich ihn noch nicht; werde jedenfalls aber die Grüsse bestellen. wir haben nun richtige Ferien, 3 Tage frei, auch mal ganz angenehm. Es ist nur so schade, dass ich nicht auch fahren durfte - ich hatte mich schon so drauf gefreut. In Gedanken sehe ich jetzt den lieben Pips von der Reise zurückkehren, sich umziehen; und dann werdet Ihr wohl bald zur Synagoge gehen. Na wir werden die Tage wohl hoffentlich auch froh verbringen. Noch einen Gut-Jontef-Kuss und Schluss für heute.
19.9.36
Meine Lieben!
Ich hatte vor, Euch heute noch ausführlich über die Feiertage zu schreiben, die wir sehr schön verbracht haben; doch bekamen wir gerade Bescheid, dass wir gleich alle zusammen nach Moza fahren. Ihr könnt Euch denken, dass wir uns sehr freuen, so kommen wir doch noch einmal aus Kirjat Anavim raus. Leider habe ich jetzt nur noch für ein paar Zeilen
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Zeilen Zeit. Die Feiertage haben wir sehr schön verbracht, vorgelesen, Spiele gemacht, gefaulenzt, gut gegessen, und die Hauptsache - sogar Schofarblasen gehört. Der Italiener, ein Chawer der Kwuzah, hat für sich aus der Stadt ein Schofar mitgebracht und hat uns eingeladen zu ihm zu kommen und mit zu hören. Genau schreiben werde ich Euch alles in der nächsten Woche. Obwohl wir nicht fort waren, haben wir ein paar wunderschöne Tage verlebt. - Heute werde ich dann wohl auch in Moza die Gelegenheit haben Herrn Sigmund Adler - von Herrn Spanier zu grüssen - doch von all dem das
nächste Mal. Für heute nur noch den Wunsch, dass dieses Jahr für uns ein besseres wird, als das vergangene. Mendel sagt, wir sollten glücklich sein, dass wir hier sind. Auch mit ihm habe ich gesprochen, auch darüber das nächste Mal.
Für heute nun viele, viele Grüsse und Küsse von Eurem
Ernst
Verzeiht in der Eile die schlechte Schrift.