Ernst Loewy an seine Eltern, 21. September 1936
Kirjat Anavim, Montag, den 21.9.
Meine Lieben!
Vielen Dank für Deine Karte lb. Mutter vom 9., Deinen Brief lb. Vater vom 8. u. 9., sowie Euren Brief vom 11.9., die ich alle drei gestern erhielt, sowie ausserdem noch eine Karte von der Hubertusstr. mit Anhängekarte. Da ich ihnen aber gerade zu Jontef geschrieben habe, werde ich die Karte woanders hin schreiben.
Herbert hat gestern Bescheid bekommen und wird morgen zu seinen Eltern nach Haifa fahren und nach Jom Kippur seine Stelle antreten. Bevor ich Eure zahlreichen Briefe beantworte, will ich Euch nun über die Feiertage Genaueres schreiben. Wie Ihr wisst, ist die Hälfte von uns fortgefahren, 3 nach Haifa, 5 nach Tel-Aviv und die andern 7 nach Jerusalem, so dass wir gerade zu 15 Leuten hierblieben. An den drei Tagen haben wir unsere ganzen Vorräte von Schokolade, Bonbons u.s.w. aufgegessen. Am ersten Abend (Mittwoch, Erew-Jontef) lasen wir vor aus der Bibel die Opferung Isaaks, die sonst morgens am Rosch-Haschanah aus der Thora vorgelesen wird. Später sind wir abends noch einmal zusammengekommen und haben den „Bahnwärter Thiel“ von Gerhard Hauptmann gelesen. Am Donnerstag morgen sind einige von uns zum Italiener gegangen, um Schofarblasen zu hören. Da er krank war, deshalb nicht zur Stadt fahren konnte und auf das Schofar nicht verzichten wollte, hat er sich selbst eins besorgen lassen und selbst geblasen. Er kommt sonst auch am Schabbath morgen zu unserm Gottesdienst. Dann sind wir am 1. Tag noch viel spazieren gegangen und haben noch ein paar übrig gebliebene Äpfel gegessen. Abends haben wir uns zusammengesetzt, wie auch am folgenden Abend, haben etwas gelesen und Spiele gemacht. Morgens haben wir ausnahmsweise einmal bei uns im Hause gefrühstückt. Am 2. Tage haben wir bei uns eine kleine Feier mit der Kwuzah gemacht, wo besonders die Alten ziemlich vollständig erschienen waren. Es gab Wein, Kuchen, Datteln u.s.w. und ein paar Reden seitens der Kwuzah, die uns unter anderem versprach, dass wir, sobald die Unruhen aufhören, auf Fahrt gehen dürfen. Der Schabbath war für uns natürlich besonders schön, da wir alle zusammen nach Moza gefahren sind, um das Mädel von uns zu besuchen, was dort im Sanatorium ist und morgen übrigens wiederkommt. Das Sanatorium ist ganz grossartig - augenblicklich ist allerdings über die Hälfte aller Zimmer mit Militär belegt. Das Sanatorium liegt oben auf dem Berg, während das eigentliche
Moza unten im Tale liegt. Direkt neben dem Sanatorium liegt eine zweite Siedlung - Moza Ilit - auch ein Moschaw, erst zwei Jahre alt, vorläufig noch nicht sehr schön. Moschaw ist eine andere Siedlungsform als Kwuzah. Dort ist das Leben individueller. Im Moschaw bekommt jede Familie ein Stück Land, was so gross ist, dass die Familie es selbst bearbeiten kann ohne fremde Arbeiter. Jede Familie ist dort natürlich selbständig und hat auch ihr eigenes Geld. Nur grosse Maschinen und dergl. werden gemeinsam angeschafft, auch gibt es dort eine gemeinsame Kasse, die Kranken und ärmeren Moschawmitgliedern hilft. Der älteste und grösste Moschaw ist Nahalal. Ausser dem Moschaw gibt es noch die Moschawah, das eine Siedlungsform wie ein deutsches Dorf, wo es auch Arbeiter gibt, während es sowohl im Moschaw als auch in der Kwuzah keine bezahlten Arbeiter gibt. - Siegmund Adler wohnt auch in Moza Ilit, wo ich ihn besucht habe; ich war nur ein paar Minuten da, da ich nicht viel Zeit hatte. Er hat sich sehr gefreut. Landschaftlich ist die Fahrt (ungefähr 7 km, d. h. halb bis Jerusalem) direkt grossartig. Dauernd hat man eine riesig weite Sicht über das ganze Gebirge Judäa. - So haben wir die drei Tage also sehr schön verbracht, obwohl wir nicht in Jerusalem waren und haben uns alle mal gut ausgeschlafen und sehr viel Spass bekommen. - Mendel habe ich von Euch gegrüsst. Er ist ein richtiger „Jecke”, wenn er nicht gerade Zionist wäre, wäre er das typische Beispiel eines richtigen R.J.F.-Bonzen. Man braucht nur 5 Minuten mit ihm zu sprechen, so erzählt er jedem von seinen Kriegserlebnissen und packt sofort seine Kriegsbilder aus. Auch den Führer von 'et janze wollte er mal sprechen. Den ganzen Tag ist er bei den Kühen, von denen er direkt begeistert ist. Hier werde ich mal eben auf Deinen Rat kommen wegen Rotvieh. Die Abortuskrankheit hat mit dem Klima hier nichts zu tun. Die holländischen Kühe machen sich hier grossartig, sind starke Tiere und geben viel Milch - bis 30 lt. täglich. Für das Klima hier soll es kaum besser geeignete Tiere geben. Die Abortuskrankheit ist hier einmal durch Bazillen eingeschleppt und ist nicht mehr auszutreiben. Sie würde auch jede andere Rasse ebenso angreifen. Mendel ist von unsern Kühen direkt begeistert und sagt, sie wären trotz der Krankheit grossartig. - Aber es fehlt der Nachwuchs, der allerdings bei jeder andern Sorte ebenso fehlen würde.
Für heute Schluss. Die Briefe beantworte ich das nächste Mal.