Ernst Loewy an seine Eltern, 22. September 1936
Dienstag, den 22. Sept. 36.
Meine Lieben!
Heute ist es nun ein halbes Jahr her, dass ich von zu Hause fort bin, und es kommt mir immer noch so vor, als sei es noch längst nicht so lange. Ich erinnere mich noch so genau an den 22. März, der vor einem halben Jahr war, als sei es gestern gewesen. Ausserdem sind wir nun schon den vierten Teil unserer 2 Jahre hier. Und wenn ich mir alles einmal recht genau überlege, so kann ich mit diesem halben Jahr sehr zufrieden sein. Ich habe viel gelernt, geistig und auch körperlich. Gesehen und erlebt habe ich in diesem ½ Jahr unendlich viel. Auch kann ich wohl sagen, dass ich mich in das palästinensische Leben unterdes wohl gut eingelebt habe. Ich glaube auch, dass es jetzt an der Zeit ist, mich in Krefeld endgültig abzumelden.
Herbert ist heute früh losgefahren. Und nun zu Euren Briefen. - Es wäre sehr schön, wenn Ihr mir zu meiner Schlafanzugjacke noch eine nicht zu kurze uni-violette Hose schicken würdet, da ich die Jacke sonst nicht mehr verwerten kann. Da Du, lb. Pips, gerade von Donnern schreibst, will ich Dir sagen, dass ich hier noch kein Gewitter mitgemacht habe, im Sommer soll es hier so etwas auch nicht geben. Soviel wie ich hörte, nur im Frühling und Herbst. Hier wird es nun dauernd kühler, nachts ist es sogar schon beträchtlich kalt, auch am frühen Morgen noch. - Die Feiertage sind völlig ruhig verlaufen, wie überhaupt die Unruhen allmählich doch abschwächen. Hier ist fast seit 4 Wochen kein Schuss mehr gefallen. Übrigens ist eine Fahrt mit unserm Milchauto (nicht Lastwagen) sehr ungefährlich, da er von innen mit 1 cm-Stahlplatten gepanzert ist. Auch eine Fahrt mit der „Eged” (eine Omnibusgesellschaft) ist ungefährlich, da dort immer mehrere Wagen zusammenfahren in Begleitung von zwei Militärwagen. Du schreibst, dass die Araber bei dem Streik grosse Verluste haben, da sie nichts verdienen. Man ist hier allgemein der Ansicht, dass der ganze Streik von irgend einer Seite finanziert wird. Sonst hätte er bestimmt nicht so lange bestehen können. Wie ich schon schrieb, habe ich jetzt keinen festen Arbeitsplatz; und ich müsste auch schon besonderes Glück haben, wenn ich jetzt in den ersten Monaten einen solchen bekommen könnte. Aber auch so lerne ich natürlich
sehr viel. Übrigens weist auch die Jugendhilfe immer darauf hin, dass die Jugendalijah keine Fachausbildung bedeutet, sondern hauptsächlich ganz allgemein in die Arbeit einführen will, und besonders in die Landwirtschaftliche. Von seitens der Jugendhilfe wird übrigens das Hauptgewicht nicht auf die Arbeit sondern auf das Lernen gelegt. - Wann man hier mit Pflanzen anfängt, weiss ich nicht. Vorläufig arbeitet man an der Vorbereitung dafür. Apfelsinen gibt es hier keine. Für heute Schluss.
Donnerstag, den 24.9.36.
Heute erhielt ich eine Karte von Onkel Richard aus Juan des Pius. Er bittet mich, ihm demnächst einmal persönlich zu schreiben, was ich nun auch tun werde. - Gearbeitet habe ich jeden Tag woanders: Beim Bau, beim Mistaufladen, Hühnerscheisse fahren, aushilfsweise war ich einen Tag in der Küche u.s.w. Dieser Tag ist in der Kwuzah eine „Jeschiwah - [..]”, Sitzung, auf der für den Winter alle Arbeitsplätze neu eingeteilt werden - vielleicht bekomme ich dann doch mal einen festen Arbeitsplatz. Ich habe mich wieder für den Gemüsegarten gemeldet, doch glaube ich kaum, dass ich noch einmal reinkomme. Auch werden in der Kwuzah grösstenteils die Arbeitsplätze gewechselt. In den Gemüsegarten kommt Ben-Chaim Levinsohn, auch einer von den Alten, der sonst beim Bau eine grosse Rolle gespielt hat. Der Bau des Kuhstalls ist nun bald fertig - man ist schon dabei, das Dach zu belegen und in ein paar Tagen können wohl die Kühe schon ihren Einzug halten. Herr Mendel ist heute fortgefahren. Er hat vor, sich eventuell bei einer Wurstfabrik zu beteiligen. Vor ein paar Tagen haben wir einen Kurs Zionistische Geschichte angefangen, nachdem wir mit der Besprechung des Araberproblems fertig geworden sind. Was ich noch von meiner Moza-fahrt vergass. Auf halbem Weg zwischen hier und Moza liegt ein jüdischer Steinbruch „Nachlath Jizchak”, wo auch viele unserer Chawerim auf Aussenarbeit arbeiten. - In Moza sahen wir auch die Überreste einer Zeder, die Herzl dort einst gepflanzt hat, und von der ich auch ein Spänchen Holz schicke. - In Gedanken wünsche ich Euch am Jom Kippur ein gutes Fasten und ein gutes Anbeissen. Dass ich hier faste, ist ja selbstverständlich. Alle fasten übrigens nicht von uns, aber doch die meisten. Nun will ich schliessen und bin mit vielen Grüssen und Küssen Euer
Ernst.
Freitag, den 25.9.36.
Auch heute habe ich Euch nichts neues mehr zu schreiben. Nochmals viele Grüsse und Küsse von Eurem Ernst.