Ernst Loewy an seine Eltern, 10. Oktober 1936
Samstag, den 10.10.36.
Leider erhielt ich auch gestern keinen Brief, obwohl ich unbedingt Post erwartet habe. Samstag bekommen wir natürlich nie Post, weil ja das Auto nicht zur Stadt fährt. Auch von Lore habe ich noch nichts gehört. Vorhin sind vier Leute von uns, auch ich, mit dem Auto auf den Berg gefahren um Wasser nach oben zu bringen, da das Wachthaus noch weiter ausgebaut wird, und Wasser zum Betonguss nötig ist. Man muss einen weiten Weg ganz um den Berg herum machen um raufzukommen, da von unserer Seite der Berg sehr steil ist. Ein Weg, der zu gehen kaum mehr als ein km lang ist, braucht zum Fahren an die 7 km. Bis nach Abu-gosch, einem naheliegenden Araberdorf, muss man über die Landstrasse fahren und von da geht über unsern Berg ein Feldweg bis nach Kubebe, von dem man annimmt, da es das biblische Emmaus ist. An diesem Weg, einige hundert Meter von unserm Wachthaus entfernt liegt ein Steinbruch, von dem aus viele Überfälle gemacht wurden. Der Weg bildet die Grenze zwischen unserm und arabischem Boden. - Vorhin war wieder einmal eine Feier - und zwar galt sie den 3 Mädels, die als Erster jetzt die Schule verlassen haben und jetzt auf irgend eine höhere Schule gehen; ich glaube in Tel-Aviv. Es gab wieder einmal Kuchen und Bonbons. - Heute morgen war neue sidur awodah (Arbeitseinteilung). Leider komme ich nicht mehr in den Gemüsegarten zurück, werde aber doch wieder fest eingeteilt, und zwar in den Obstpflanzungen. - Vorgestern abend lasen wir zusammen „Tonio Kröger“ von Thomas Mann, was mir grossartig gefallen hat. - Im Anschluss an den „Weg zur Kunst”, der nur bis zum Ende des Rokoko geht, lese ich jetzt ein Album „Moderne Malerei“, das, wenn es auch nur Zigarettenbilder sind, sehr, sehr gut ist, und aus dem sich recht viel lernen lässt. Nachdem ich Euch nun wieder alles neue erzählt habe, will ich schliessen und bin mit vielen
Küssen Euer Ernst.
Noch eine kleine Bitte: Schickt mir bitte jetzt alle vier Wochen in einem Brief eine Rasierklinge mit.