Ernst Loewy an seine Eltern, 12. Oktober 1936
Kirjat Anavim, Montag, den 12.10.36.
Meine Lieben!
Zu meiner grossen Freude erhielt ich gestern Euern lb. Brief vom 27. 9., der genau 14 Tage unterwegs war, und Vaters Karte aus Attendorn vom 30. 9. Es scheint nun tatsächlich bald ruhig zu werden im Lande. Wie Ihr wohl selbst schon gehört und gelesen habt, ist der Streik abgebrochen worden; schon seit einigen Tagen fahren die arabischen Omnibusse wieder und gestern war das offizielle Ende des Streiks. Hoffentlich wendet sich nun alles wieder zum Guten. - Du schreibst von Karl Lindenbaum, dass dieser meint, dass die Zionisten in Erez ein selbständiges Königreich erstreben. Es ist natürlich selbstverständlich, dass der Zionismus, wie jede nationale Bewegung nach einem selbständigen Staate strebt. Aber dieser selbständige Staat liegt für uns noch so in der Ferne, dass er noch lange nicht als unser vorläufiges Ziel betrachtet werden kann. Es ist eine Idee, mit der sich ein vernünftiger Mensch vorläufig noch gar nicht befasst. Allerdings gibt es auch im jetzigen Zionismus schon Bestrebungen dazu. Und zwar ist es die rechte Seite im Zionismus, die Revisionisten, die jetzt schon von einem jüdisch-faschistischen Staat träumen. - An ein Königreich allerdings wird wohl niemand denken.
Nach München habe ich gestern sofort eine Karte geschrieben. Ich finde es furchtbar nett von den lb. Münchnern für mich etwas zu schicken. Von dem Geld könnt Ihr mir ja die Hose schicken, um die ich Euch in meinem vorigen Brief gebeten habe, und das übrige Geld könnt Ihr ja in die Reisekasse tun. - An unsere schöne Sauerlandreise erinnere ich mich noch gerne. Von Dreitiefenbach und den Hilchenbacher Brötchen weiss ich noch recht genau. Das schönste war übrigens die Aggertalsperre und die Dechenhöhle; und dass der Schlör in Bigge 40 Pfg. gekostet hat weiss ich auch noch. Recht schöne Tage haben wir damals verbracht, aber wenn wir zusammen einmal durch Erez fahren, ans Tote Meer und ins Galil, auf unserm eigenen Boden, dann wird es, glaube ich, noch schöner werden. Hoffentlich ist es bis dahin nicht mehr allzu weit. - Augenblicklich haben wir schon
schon wieder 2 Kranke, einer ist als typhusverdächtig in Jerusalem im Krankenhaus, hoffentlich bleibt es nur bei der Verdächtigung. - Die neue Arbeitseinteilung ist noch nicht durchgeführt. Die ganzen Chawerim der Kwuzah wechseln ihre Arbeitsplätze. Aber das geht dann nicht so auf einmal, sondern ein Zweig nach dem andern. Wann ich meinen neuen Arbeitsplatz antrete weiss ich noch nicht. Vorläufig arbeite ich noch nicht fest. Aber in den nächsten Tagen, (vielleicht auch erst in den nächsten wochen) werde ich wohl in die [..] (Obstpflanzungen) kommen. Wir sollen dort zu sechsen arbeiten und einem Chawer der Kwuzah, Arjeh, der Deutsche, der uns damals den Brief geschrieben hat. Ilse und noch ein Junge sollen immer dabei arbeiten und wir vier andern nur dann, wenn Arbeit ist. Da im Winter aber sehr viel Arbeit da sein wird, werden wir auch fast immer dort arbeiten. Es wird dann wohl genau, wie im ersten halben Jahr sein, wo ich zwischendurch an einzelnen Tagen auch schon mal wo anders gearbeitet habe.
Dienstag, den 13.10.36.
Kurz nachdem ich gestern meinen Brief geendigt hatte, erhielt ich noch Euren lb. Brief vom 1.-3. Oktober sowie einen Brief von Onkel Karl - heute erhielt ich 10 M. Für alles recht vielen Dank. - Dass es bei Euch schon so kalt ist, hätte ich nicht gedacht. Morgens und abends ist es bei uns auch sehr, sehr kalt, am Mittag aber immer noch fast so warm, wie bei Euch im Sommer. Dieser Tage ist schon der erste Regen gefallen. Bald wird schon Winter sein. Ihr seht, dass bei uns der Herbst recht anders aussieht, als bei Euch. - Wie ich Euch schrieb, habe ich von Onkel Richard eine Karte erhalten, allerdings ohne Adressen, nur ein flüchtiger Gruss. - Gelernt habe ich in diesem halben Jahr recht viel. In der Arbeit habe ich weniger spezielles gelernt; in der Hauptsache habe ich ganz allgemein etwas Landwirtschaft gelernt. Ich habe jetzt wenigstens eine kleine Ahnung von Ackerbau und Viehzucht. Auch Iwrith habe ich schon recht viel gelernt. Die alltäglichsten Sachen kann man schon auf Iwrith besprechen, Dinge wie Arbeit, Essen u. dergl. Aber im grossen ganzen müssen wir doch noch verdammt viel lernen. - Wenn Frau Kaufmann hierherkommt, könnte sie mir vielleicht noch ein paar billige, ganz derbe (ungefärbte) Arbeitsstiefel mitbringen, damit ich die neuen hohen Schuhe ganz für gut behalten kann.
und, womit ich mich sehr freuen würde, das Buch von Büchmann „Geflügelte Worte”, d. h. wenn Du es mir schenken willst. Dann könnt Ihr mir vielleicht noch eine kleine Freude machen, indem Ihr mir hin und wieder, wenn es geht in Euren Briefen, einzelne Karten aus dem grünen Ansichtskartenalbum schickt - Bilder von Michelangelo, Raffael, Leonardo (Abendmahl), Rembrandt, Dürer u.s.w. Gerade damit würde ich mich riesig freuen. Die grössten Gemälde sind, glaube ich, auch ziemlich vollständig enthalten. Was machen eigentlich die Briefmarken? Wir (d. h. die Jungens mit denen ich getauscht habe und ich) kümmern uns garnicht mehr darum. Von den Chawerim Marken zu bekommen, ist sehr schwer, da unter ihnen auch einige sammeln. Es kommt sogar vor, dass man von unsern Briefen die Marken heruntermacht, und wir uns nachher wundern, wenn auf einzelnen Briefen keine Marken drauf sind. Ausserdem haben wir auch nur recht wenig Freizeit, und ist eigentlich die Zeit auch viel zu schade dazu - ich habe sie zu viel wichtigeren Dingen nötig. - Augenblicklich stehen wir in den Vorbereitungen zu der grossen Messibah (Fest) am kommenden Schabbath anlässlich unseres halbjährigen Hierseins. Ich mache in einem Sprechchor mit. Genaueres werde ich Euch erst danach schreiben. Wie geht es Grossvater? Ich wünsche ihm recht gute Besserung. Hoffentlich kann er bald wieder rausgehen. Für heute will ich schliessen. Bald mehr.
Donnerstag, den 15.10.36.
Heute war wieder der Arzt hier, um uns alle wieder zu untersuchen; hat bei mir natürlich nichts feststellen können. - Gestern erhielt ich einen Brief von Herbert, der mir schrieb, dass sein Schlafgenosse jetzt in Ferien wäre, und dass ich in der nächsten Woche zu ihm kommen soll, da dann ein Bett frei wäre. Fritz hat mir schon so halb und halb erlaubt hinzufahren, doch hängt es ja nicht von ihm alleine ab, ob ich fahren darf. Bevor ich es noch nicht 100 %tig weiss, will ich lieber noch nicht daran glauben, damit es nicht noch einmal eine solche Enttäuschung gibt wie zu Rosch-haschanah mit Jerusalem. - Mit der neuen Arbeitseinteilung ist jetzt ein Chawer der Kwuzah, Direktor von der „Tnuvah” Jerusalem geworden. Das Einkommen, was sicherlich sehr hoch ist, fliesst natürlich der Kwuzahkasse zu. -
Gearbeitet habe ich gestern wieder beim Mistaufladen und heute wieder im Gemüsegarten. - Überall ist jetzt grosse Aufregung wegen der grossen Feier, die übermorgen sein soll. Wo man hier hinkommt, hört man nichts anderes mehr reden, als von der Feier und den Proben.
Samstag, den 17.10.36.
Unsere grosse Feier, die heute stattfinden sollte, ist leider ausgefallen, da wir, wie ich Euch schon schrieb, zwei Kranke haben. Der eine steht vorläufig immer noch im Verdacht der Typhuskrankheit, und soll es sich erst morgen durch eine Blutprobe herausstellen, ob der Verdacht begründet ist. - Die Feier soll nun in einer der nächsten Wochen stattfinden. Falls sie am nächsten Schabbath ist, wird wohl meine Tel-Avivfahrt schon deshalb ins Wasser fallen müssen. Na hoffen wir noch das beste. - Wir bekommen jetzt jeden Morgen jeder eine Grape-fruit (Pampelmuse). In Deutschland sind diese sehr teuer, wohl 50 Pfg. das Stück. Hier in Erez ist jetzt gerade die Ernte, und kosten 4 Stück nur 1 Piaster (13 Pfg.) In Kirjath Anavim wächst so etwas natürlich nicht. Citrusfrüchte gibt es im allgemeinen nur am Meer, wo genügend Wasser ist. Bald ist auch schon die Orangenernte. Hoffentlich bekommen wir auch da etwas von ab. - Das Grammophon im Nebenzimmer spielt gerade aus Siegfried „Notung, Notung ... ho ho, hoho, hohei”. Wisst Ihr noch, wie ich in „Rheingold” gegangen bin. Das ist nun sicher schon weit über 2 Jahre her. Und wann werde ich das nächste Mal in eine Oper gehen? - Vor einer halben Stunde habe ich das Buch „Leonardo da Vinci” ausgelesen. Wenn Ihr mir Bilder schicken könnt, schickt mir bitte zuerst einmal das „Abendmahl”. Ich würde mich unendlich damit freuen. Auch mit andern Bildern von Leonardo. Neues weiss ich heute nichts mehr. Mir geht's gut und hoffe von Euch dasselbe. Wenn ich mich nicht in jedem Brief nach Eurem Befinden erkundige, so tue ich es deshalb nicht, weil ich annehme, dass Ihr mir auch von selbst schon über alles ausführlich schreibt. Ich werde gleich noch eine Karte an Lore schreiben, von der ich garnichts mehr höre. Nun Schluss.
Wie immer mit vielen tausend Küssen Euer
Ernst