Ernst Loewy an seine Eltern, 5. Januar 1937
Kirjat Anavim, Dienstag, den 5.1.37.
Meine Lieben!
Obwohl ich leider noch keinen Brief von Euch erhielt, will ich schon anfangen Euch zu schreiben. Das Wetter ist heute wieder sehr mies, nachdem es ein paar Tage nicht geregnet hatte, allerdings recht kalt war. Ich hatte eigentlich vor, morgen zur Stadt zu fahren; wenn das Wetter aber so bleibt, muss ich es noch um einige Tage aufschieben. Wir haben von der Kwuzah jetzt noch zwei neue Öfen bekommen, so dass wir in den Zimmern wenigstens nicht frieren brauchen. Im allgemeinen ist es recht kalt - nachts öfters unter null. Frost gibt es dann natürlich auch. Der Winter soll ausnahmsweise kalt sein. - Ihr wisst, dass hier auf unserm Boden noch eine junge Kwuzah ist, die einige Jahre hier bleibt um sich danach auf eigenem Boden anzusiedeln. Die Leute arbeiten zum grössten Teil im Steinbruch Nachlath Jizchak auf Aussenarbeit. Da auch dort, wie im ganzen Lande, grosser Arbeitsmangel ist, schicken verschiedene Kwuzoth für einige Monate Aushilfearbeiter in diesen Steinbruch, die dann mit in der jungen Kwuzah ([..]) leben. So ist dort z. B. auch das älteste Kind der ältesten Kwuzah Deganiah, Gidon Banez, dessen Vater im Lande einen ziemlich bekannten Namen hat. Vorgestern kamen nun ein paar neue junge Leute aus Kefar hamakabbi, die auch einige Monate hier bleiben, darunter Pinkas Kantorowitsch, der, wie Ihr Euch vielleicht noch erinnert, den Gdud Krefeld führen sollte, und der auf unserer Abschiedsfeier (mit Obstsalat und geschwungenen Reden Berthold Brinkmanns) das erste Mal in Krefeld war. Ich habe mich sehr gefreut, ihn wiederzusehen, und er hat mir auch manches Interessante erzählen können. So findet man hier doch alle so allmählich wieder. Ausserdem ist er noch ein Bekannter von Fritz, mit dem er in Berlin in derselben Verbindung war. - Am Schabbath haben die Musiker wieder gespielt, verschiedene schöne Sachen auf Geige, Flöte und Klavier; Tschaikowsky, Brahms, Haidn, Mozart u.s.w. Einer von ihnen will jede Woche einmal zu uns kommen, um einen musikgeschichtlichen Kursus mit uns zu machen, wobei ich natürlich
mit Freuden mitmache. Jizchak (unser Arbeitsverteiler) will mit uns jetzt an jedem Schabbath einen Spaziergang durch die Wirtschaft machen, und zwar jedes mal durch einen andern Arbeitszweig und will uns bei der Gelegenheit Fachunterricht über den betreffenden Zweig geben. Am letzten Schabbath gingen wir über den Weinberg und er erzählte uns vom Pflanzen des Weines und vor allen Dingen von der Behandlung der jungen Reben. - Vor einigen Tagen hat die Kwuzah eine ganze Wagenladung Apfelsinen gekauft, vielleicht 25 grosse Säcke, à 2 Piaster (d. h. 25 Pfg.) Stellt Euch vor, über 100 Apfelsinen für 25 Pfg. Allerdings alles Fallobst, was sich zum Verschicken nicht mehr eignet - doch kann man das den Apfelsinen garnicht ansehen. Wir können soviel Apfelsinen essen, wie wir wollen. Einmal hatten wir im Zimmer über 40 Stück. Morgens während der Arbeit holt man mal für jeden vier, fünf Stück. Schade, dass ich Euch nicht mal so einen Waggon voll schicken kann.
Mittwoch, den 6.1.37
Obwohl heute nicht allzu gutes Wetter war, bin ich trotzdem heute in der Stadt gewesen. Als ich zurückkam, fand ich Euren lb. Brief vom 27.12. vor, der mir wieder sehr viel Freude bereitete. Ausserdem noch eine Karte von Ernst Lamm aus Leipzig, der dort auf einem Treffen war und jetzt wahrscheinlich auf Mittleren Harscharah geht. Gerade haben ich ihm vor ein paar Tagen zu seinem Geburtstag gratuliert, und die Karte wird ihn nun in München wohl kaum noch erreichen. Seine neue Adresse weiss ich leider nicht - vielleicht könnt Ihr sie erfahren. - Auf Euren Brief komme ich später zurück. Und nun zu meiner Fahrt nach Jerusalem. Ich bin morgens in der Frühe um 7 Uhr hier mit unserm Auto weggefahren und mittags mit der „Egged” um 4 Uhr heimgefahren. Fast die ganze Zeit bin durch Jerusalem gerannt, von Hü bis Hot, so dass ich die neuen jüdischen Teile schon ziemlich kenne. Ich war bis ganz ans Jaffator - weiter soll man noch nicht gehen, da dahinter sofort die Altstadt anfängt. Ich hatte ausser meinen Schuhen noch für andere Leute Kleinigkeiten zu besorgen, an der Post musste ich ein Paketchen abholen und noch verschiedenes. Morgens hatte ich zuerst Lotte Salomons besucht, die sich sehr gefreut hat und die mir versprach uns in einigen Wochen, wenn das Wetter besser wird, einmal zu besuchen. Dann bin ich mit dem Omnibus nach Rechaviah
gefahren und habe Frau Dr. Hirsch besucht, die Bekannten von Onkel Richard. Es ist eine reizende junge Frau. Onkel Richard hatte ihr schon einmal geschrieben, dass ich sie besuchen würde und sie sagte, sie hätte schon einmal zu mir rauskommen wollen, sie hätte mit ihrem Mann sogar schon im Auto gesessen, bis sie gemerkt haben, dass sie kein Benzin drinhatten, jedenfalls will sie recht bald einmal zu mir kommen. Auch ich sollte mal wieder hinkommen, falls ich nach Jerusalem käme. Nachdem musste sie in die Stadt fahren und dann hatte ich sie noch ein Stück begleitet. Als sie mich fragte, wie lange ich hier sei und ich ihr sagte so und so lange stellte sie schliesslich fest, dass wir mit demselben Schiff zusammenrübergekommen seien und dass sie sich sogar mal an einige unserer Leute erinnerte. - Dann bin ich zur Tnuvah gegangen um meine Schuhe, die ich dort gelassen hatte, abzuholen, bin dann essen gegangen, um dann zu Bata zu gehen. Unterdes traf ich Fritz, der auch gestern in der Stadt war und eigentlich heute morgen heimkommen wollte, der aber durch etwas aufgehalten wurde und heute mittag mit mir heimgefahren ist. Er ist mit mir dann zu Bata gegangen und dann zu seinen Eltern und ich noch ein wenig spazieren und dann haben wir uns nachher in der Stadt getroffen. Ich habe allerlei gesehen, d. h.: das wenige, was eigentlich in Jerusalem, die Altstadt ausgenommen, zu sehen ist: Das Gebäude der Jewish Agency in Rechaviah, das King David Hotel von weitem, die Iriah (das Rathaus), das Abessinienhaus, das der abessinische Konsul zum grössten Teil vermietet hat, und wo das Konservatorium drin ist, u.s.w. - Der schönste Teil Jerusalems ist Rechaviah; vielmehr wird es einmal sein. Vorläufig wechseln noch riesige Bauplätze mit den schönsten und modernsten Häusern ab. Wenn dort alles einmal fertig gebaut ist, wird es dort erst wirklich schön werden. - Meine Schuhe werden Anfang nächster Woche fertig sein, und wenn dann jemand zur Stadt fährt, muss der Betreffende sie mitbringen. - Gegessen habe ich fabelhaft heute mittag. In Jerusalem ist das Essen im Gegensatz zu Tel-Aviv sehr billig. Zwei Brötchen, Fleisch, Gemüse und Reis für 3 Piaster und so viel, dass man gut davon satt werden konnte. Dasselbe Essen hätte in Tel-Aviv das doppelte gekostet. Für heute genug. Den Brief will ich Euch dieser Tage beantworten. Für das Bild übrigens recht vielen Dank.