Ernst Loewy an seine Eltern, 12. Januar 1937

Kirjat Anavim, Dienstag, den 12.1.37.

Meine Lieben!

Für Euren lb. Brief 2.1.37. recht vielen Dank; wie immer habe ich mich wieder sehr mit Euren Zeilen gefreut. Ich habe Euch heute wenig erfreuliche Dinge zu schreiben. Fritz und Kakel werden in den nächsten Wochen von hier fortgehen. Wir bekommen einen neuen Führer - Pinchas Kantorowicz. Die Gründe sind folgende: Kakel muß in die Stadt gehen um Geld zu verdienen, da sie ihre Mutter, der es sehr schlecht geht, anfordern will. Ausserdem war ihr Posten hier doch nicht so wichtig, und wird er auch nicht ersetzt werden. Und Fritz - er hat abgedankt aus Gründen, die Ihr schon kennt, nämlich wegen des Zustandes der Gruppe. Das eigentliche Ziel der Jugendalijah ist doch schliesslich, einen Kern, der nach den zwei Jahren auf Hitjaschvuth geht. Fritz hat gesehen, dass nach dreiviertel Jahr kaum die Anfänge zu diesem Kern vorhanden sind, und will sich nun seiner Verantwortung entledigen, indem er fortgeht, damit hier ein anderer Führer wird, von dem er glaubt, dass er vielleicht die Sache besser machen könnte. Ihm ist natürlich völlig rechtzugeben. Er hat die Verantwortung übernommen, den Kern der Chewrah so zu bilden, dass er auf Hitjaschvuth gehen kann; er sah, dass es ihm nicht gelungen ist und will die Sache einen andern versuchen lassen. Dazu kommt noch ein zweiter, ein privater Grund, er will heiraten. Wie ich jedoch Fritz kenne, hätte er diesen Grund bestimmt zurückgestellt, wenn nicht die erste Sache, die ausschlaggebender ist, gekommen wäre. - Mir tut das sehr leid, da ich Fritz sehr gern gehabt habe und er mir sehr nahe stand. Aber es ist nichts mehr daran zu ändern, und Friedel Rubinstein (von der paläst. Bundesleitung) der hierherkam, um uns die Sache bekanntzumachen, sagte auch, dass es viel schlimmere Dinge gäbe als von einem Freunde Abschied zu nehmen. Schliesslich ist Fritz ja für uns nicht gestorben - er wird in Jerusalem bleiben und uns hoffentlich noch oft besuchen. Fritz will später Lehrer werden. Jetzt wird er an der Universität einen pädagogischen Kursus mitmachen und sich durch Stundengeben ernähren. Ausserdem verdient seine zukünftige Frau auch recht gut.

Die besten Grüße sendet Albert Mendel.

Sie ist übrigens ein sehr nettes Mädel und war schon häufig hier. Über Pinchas habe ich Euch in meinem vorigen Brief schon geschrieben. Er ist übrigens nicht etwa absichtlich hierhergekommen, sondern Fritz hat ihn, als er schon hier war, als Führer vorgeschlagen. Eigentlich sollte Pinchas eine Gruppe führen, die nach Degania kommt, aber vorläufig weiss man ja noch gar nicht, ob wieder Jugendalijah-Zertifikate ausgegeben werden. Ihr wisst, dass ich Pinchas aus Deutschland her kenne, er machte einen sympathischen Eindruck auf mich. Er ist von Geburt Litauer, aber schon mit 6 Jahren nach Deutschland gekommen und hat in Berlin Jura studiert, ist sogar mit seinem Studium fertig geworden und hat den Dr. Soviel darüber. Und jetzt noch einige andere, bessere Neuigkeiten. Vor einigen Tagen war Weizmann hier und hat in unserm Schulzimmer einige Worte zu uns gesprochen - wir sollten Optimisten sein, und es würde schon alles wieder werden. Er erzählte etwas von den Verhandlungen mit der Royal Commission, die er geführt hat. - Gestern abend war einer der Jerusalemer Musikanten hier, um mit uns einen Kursus über Musik anzufangen. Er beabsichtigt, uns in die Musikgeschichte einzuführen und auch ein wenig in die Musiktheoretik - Aufbau einer Sonate u.s.w. Er ist ein vorzüglicher Klavierspieler, der häufig im Radio spielt, ganz jung, Anfang der Zwanziger. - Mitte der vorigen Woche war übrigens der Zahnarzt hier und hat mit uns ein wenig über Biologie gesprochen. - Am Schabbath sprachen wir über Wassermann, insbes. über sein Buch „Die Juden von Zirndorf“. - Am Schabbath ist in der Kwuzah ein Lesezimmer eingerichtet worden (der Raum, der am Tag die Nähstube ist). Es steht dort ein grosser Schrank mit allen möglichen Zeitungen, darunter auch deutsche: Berliner Illustrierte, Rundschau und Z.V.-Zeitung. - Augenblicklich lese ich „Königliche Hoheit” von Thomas Mann. - An Onkel Michel habe ich eine Karte geschrieben und werde, sobald ich eine neue erhalte, an Onkel Sali nach München schreiben.