Ernst Loewy an seine Eltern, 26. Januar 1937

Kirjat Anavim, den 26.1.37. Dienstag.

Meine Lieben!

Unterdessen erhielt ich von Euch Eure Karten vom 13. und 19. sowie Euren Brief vom 15. An Onkel Richard hatte ich schon diese Woche geschrieben und an Ernst Lamm werde ich auch dieser Tage wieder schreiben, auch in Iwrith, hoffentlich kann er's nicht lesen. So etwas blödes, habe ich ja auch noch nicht gesehen, Euch in einer Sprache zu schreiben, die Ihr garnicht versteht. Hoffentlich klappt wenigstens die Sache jetzt mit ihm, aber Mittleren-Hachscharah dauert sehr lange; das konnte ich Euch schon vorher sagen. Das ist ja eben der Vorteil der Jugendalijah, die zwei Hachscharahjahre im Lande selbst zu verbringen und sich in der Zeit schon an Land und Leute zu gewöhnen. Weshalb das bei ihm nicht geht mit der Jug.-alij. ist mir übrigens auch nicht recht klar. Mir schrieb er vor kurzem eine Karte auf Englisch, die ich auch nur mit Mühe und Not entziffern konnte.

Apfelsinen haben wir immer noch in unbeschreiblichen Menge, soviel, dass wir aus Spass schonmal den Pferden und Kühen welche zu fressen geben, die Apfelsinen nämlich mit äusserstem Wohlgefallen vertilgen. Wir selbst nehmen uns immer die besten raus und tun sie als eiserne Ration in unser Zimmer. Ein Zimmer hat es einmal auf über 130 gebracht, das ist übrigens garnicht viel im Vergleich dazu, wieviel täglich im „Chadar Ochel” verbraucht werden. Für jeden Chawer täglich ungefähr 4 Stück, das ist für die ganze Kwuzah also an die 500 Stück - täglich. Ich glaube, mit einem Kapital von 500 Apfelsinen wäre man bei Euch schon ein reicher Mann. Im Schälen habe ich schon eine gute Technik. Mit dem Messer schälen habe ich mir schon längst abgewöhnt - übrigens kann ich's mit der Hand auch viel schneller. Eine Apfelsine schälen dauert höchstens noch eine Minute, wenn's sein muss geht's aber auch schneller. Soviel über dieses Thema. Ich glaube das genügt schon, Euch den Mund wässrig zu machen. Schicken kann ich Euch leider keine.

Wisst Ihr nicht die Adresse von dem Bekannten von Tante Tinni? Ihr habt mir nur die Telefonnummer geschrieben. - Schiker schreit durch's ganze Haus: Ihwrihhht! Ich muss also für jetzt aufhören. Bald weiter.

Donnerstag, den 28.1.37.

Ich erhielt heute einen Brief aus Eindthoven, mit dem ich mich sehr gefreut habe. Ich werde demnächst einmal ein paar Zeilen an Polahs einlegen. Du, lb. Mutter, stellst in Deinem Brief noch einige Fragen, die ich noch beantworten will. Dr. Hirsch aus Jerusalem ist Arzt, ich glaube am Hadassahkrankenhaus. - Die Änderung an meinen Schuhen habe ich selbst bezahlt, es hat nur 6 Piaster gekostet. - Ich trage hier nur meinen Lederolmantel, der aber leider nicht viel taugt; er scheint nur für deutsche

Verhältnisse imprägniert zu sein - palästinensischer Regen geht etwas durch, aber so schlimm ist es nicht. Bei der Arbeit trage ich meine Windjacke, die auch nicht völlig wasserdicht ist.

Und nun noch einige Neuigkeiten von hier. Fritz ist nun fort und Kakel auch. Fritz ist offiziell schon am Sonntag fortgefahren, ist aber zu einer kleinen Abschiedsfeier am Dienstagabend noch einmal wiedergekommen. Kakel ist heute morgen fortgefahren. Vorher hatten wir noch eine hübsche Abschiedsfeier mit Bonbons, Apfelsinen, Keks und Kuchen. - Am Unterrichtsplan sind nun einige Veränderungen vorgenommen worden, so dass unser neuer Plan folgendermassen aussieht. In der Woche: 2 Stunden Jüdische Geschichte, 2 Stunden Zionistische Geschichte, 2 Stunden Palästinakunde, 1 Stunde allgemeine Geschichte und 1 Stunde Wirtschaftspolitik bei Pinchas. Dazu kommen noch 2 Stunden Biologie bei dem Lehrer der Kwuzah. Dienstags und Freitags haben wir keinen Unterricht (ausser Iwrith natürlich, das jeden Tag wie immer unterrichtet wird. Am Dienstag mittag gibt dafür der Zahnarzt einen freiwilligen Kurs Kulturgeschichte in 2 Stunden. Dazu ist an einem Abend noch ein freiwilliger Kurs Musikgeschichte mit dem Jungen vom Konservatorium und später will Fritz wöchentlich einmal einen Physikkurs machen. Vor ein paar Tagen habe ich in der zion. Geschichte ein Referat gehalten über das Thema: „Der Zionsgedanke im Judentum vor dem modernen Zionismus” als Einleitung zu unserer zion. Geschichte, mit der wir nochmal von vorne angefangen haben.

Gestern haben wir anlässlich des 15. Schevat in der Kwuzah 400 neue Bäume gepflanzt. Morgens haben wir die Gruben ausgehoben und mittags anstelle des Unterrichts die 5 cm grossen Bäumchen (Kiefern) gepflanzt. Auch ich habe 7 Stück gepflanzt. Im Gemüsegarten legen wir augenblicklich eine Reihe neuer Mistbeete an. Für die alten brauchen wir ausserdem noch grosse Holzrahmen mit Glasscheiben zum Überdecken, woran wir schon seit einigen Tagen arbeiten. Wir lernen denn so nebenbei auch noch Glaserei, da wir die Scheiben in die fertig gekauften Holzrahmen alle selber einsetzen. Auf dem Felde haben wir schon seit 8 Tagen nicht mehr gearbeitet. Es scheint aber jetzt so, dass in den nächsten Tagen das Wetter ein wenig besser wird. Den schlimmsten Winter haben wir jetzt überhaupt schon überstanden. Bald ist Februar, im März ist der schönste Frühling und im April werden wir vielleicht schon auf 25° Wärme kommen - Chamsin. - Vor kurzem haben wir uns

im Zimmer noch drei kleine Schränkchen gebaut, so dass jetzt jeder von uns im Zimmer ausser dem grossen Schrank noch ein kleines „Nachtschränkchen” haben - für Bücher und sonstige Kleinigkeiten. - Ich habe in den letzten Wochen gelesen von Ebermayer „Kampf um Odilienberg”, ein Buch, was von einer sog. „Freien Schule” handelt, die übrigens wirklich bestanden, in etwas veränderter Form und heute noch besteht. Ich fange heute an „Die Buddenbrooks” von Thomas Mann, von denen ich mir sehr viel verspreche. - Manfred Mendel ist sehr krank, er hat hohes Fieber, man kann nicht erkennen, was er hat, wahrscheinlich muss er ins Krankenhaus. Sein Vater ist übrigens seit einigen Wochen wieder hier. Er weiss immer noch nicht, was er hier anfangen soll, und ob er überhaupt im Lande bleibt.

Samstag, den 30.1.37.

Gestern war wieder einmal hoher Besuch hier, die Frau des 1930 verstorbenen Lord Melchett, die die Kwuzah besichtigt hat, in Begleitung eines Herrn der „Jewisch Agency und eines Polizisten. Zuerst hat sie wieder unser Haus besichtigt. Überhaupt werden alle Gäste immer an erster Stelle in unser Haus geführt, wohl weil es das schönste der ganzen Kwuzah ist. - Das zweite Bild von Kirjath Anavim kann ich Euch leider nicht schicken, da, wie sich später herausstellte, Fritz es schon jemand anders versprochen hatte. - Manfred Mendel liegt im Krankenhaus mit 39,9° Fieber, wahrscheinlich Typhus. Sein Vater ist noch hier, er wird morgen hier eine Kuh schlachten und zu Wurst verarbeiten. Wenn er hier ist arbeitet er überhaupt immer ein wenig mit - im Kuhstall oder sonst irgendwo. - Das Wetter ist augenblicklich grossartig, wie in Deutschland im Sommer; dabei war es vor ein paar Wochen sogar noch unter null. Hier in Palästina sind alle Übergänge immer so kurz, nicht nur zwischen warm und kalt, besonders auch am Tage zwischen hell und dunkel. Die Dämmerung dauert hier kaum eine Viertelstunde. Kaum ist am Abend die Sonne untergegangen, so ist es schon dunkel.

Nun Schluss für heute. Neuigkeiten weiss ich Euch keine mehr mitzuteilen. Seid vielmals gegrüsst und geküsst von
Eurem Ernst.

an Hellmuth Frank bestellt, wenn Ihr ihn sehr recht viele Grüsse. Wenn ich einmal Zeit habe, werde ich ihm mal persönlich schreiben.