Ernst Loewy an seine Eltern, 2. Februar 1937

Kirjat Anavim, Dienstag, den 2.2.37.

Lieber Vater!

Entschuldigt bitte, dass ich diesen Brief mit: „lieber Vater” überschreibe, da ich heute sehr viele Dinge zu schreiben habe, die hauptsächlich Dich, lb. Pips, angehen. Einmal soll Dir dieser Brief meine Geburtstagswünsche überbringen und zweitens habe ich noch über eine Sache zu schreiben, die ich auch hauptsächlich mit Dir zu besprechen habe; das heisst natürlich nicht, dass dieser Brief nicht auch für Euch, lb. Mutter und Grosseltern, bestimmt ist. - Ich erhielt heute Euren Brief (mit Bild) vom 23.1., auf den ich später noch zurückkommen werde und einen Brief von Kurt Gimmicher. Und über diesen möchte ich Euch vorerst einmal schreiben. Er schreibt unter anderm folgendes: „... seitdem ich Deinen Vater besucht habe, der damals den Fuss gebrochen hatte ...” Du kannst Dir denken, dass mir diese Worte keine Freude gemacht haben; ich will dir keine Vorwürfe darüber machen, dass Du mir dieses verheimlicht hast - ich kann die Gründe schliesslich verstehen. Aber da ich nun davon weiss, bitte ich Euch sofort mir ausführlichst darüber zu schreiben. Ich will hoffen, dass Du unterdes wieder gesund bist und, wie Du in Deinem Briefe schreibst, wieder auf Tour bist. Hast Du im Krankenhaus gelegen? (Die gelegentlichen Besuche der lb. Mutter bei Herbert Weyl scheinen mir damit im Zusammenhang zu stehen?!) Ich bitte also nochmals mir sofort alles zu schreiben, damit ich darüber Bescheid weiss, und mir nicht etwa unnötige Sorgen zu machen brauche. Und dann noch eine Bitte: schreibt mir nächstens selbst auch über solche Dinge, damit ich so etwas nicht von dritter Seite erfahren muss.

Und nun weiter über den Brief von Kurt: Er schrieb mir ganze 8 Seiten, über alles, was mich in Betreff des Zusammensturzes des Gdud interessieren konnte. Er entschuldigt sich, dass er so lange nichts von sich hat hören lassen und betont ausdrücklich, dass er recht oft an mich gedacht hat, und mich als meinen Freund schätze. Ich habe mich riesig mit seinem Briefe gefreut und kann schliesslich auch seine Entschlüsse in Betreff I.P.P. und R.J.F. verstehen. Umso mehr tut es mir leid, dass Du Dich ihm gegenüber in einer so ablehnenden Weise verhalten hast, wie er mir schrieb. Er hätte Dich damals durch jemanden (keiner Chawer des Bundes) einladen lassen, doch die Einladung hättest Du nicht erhalten, weshalb er schliesslich nicht dafür verantwortlich gemacht werden könne. Er wäre später zu Dir gekommen um sich nach mir zu erkundigen, wäre aber von Dir in einer sehr schroffen Weise abgewiesen worden. - Ich ersehe aus dem Briefe, dass er tatsächlich an den Dingen, die Du ihm vorgeworfen

hast, keine Schuld hat, und dass Du ihn in ungerechter Weise beurteilt hast. Er wolle Dich noch einmal besuchen und hofft dieses mal ein wenig mehr Verständnis bei Dir zu finden. Ich bitte Dich, lieber Vater, die Sache zu schlichten und Kurt wieder mit denselben Augen anzusehen wie früher. Seinen Austritt aus dem Bunde rechtfertigt er damit, dass er den R.J.F. nur als Sportvereinigung angesehen hat, der mit irgend einer jüdischen Einstellung nicht das geringste zu tun hat, wie es meines Wissens noch in der Sportgruppe in Krefeld auch tatsächlich ist, und fühlt er sich durch seine Zugehörigkeit zu diesem Sportbunde auch in keiner Weise irgendwie moralisch verpflichtet. Eine Einstellung, die unbedingt anzuerkennen ist. Dass er übrigens erst in den R.J.F. eingetreten ist, ist natürlich falsch, er gehört dem Sportbunde schon seit Jahren an. Wenn er den Bund fallen lässt, so heisst das sowieso nicht, dass er sich vom Zionismus loslöst. Trotz Zugehörigkeit zum R.J.F. kann man sich schliesslich Zionist nennen. Und dass er Zionist ist, ist doch auch schliesslich die Hauptsache - nicht der Bund, der ja auch schliesslich nur einer bestimmten politischen, zionistischen Partei angeschlossen ist. (Übrigens nur in Palästina, in Deutschland wehrt man sich gegen das Aufgehen im „Chewer Hakwuzoth”, das hier so ziemlich im Gange ist) Und nun genug darüber. Hoffentlich hast Du mich (und auch Jumbo) verstanden und werden die kleinen Unstimmigkeiten zwischen Euch beiden bald geschlichtet sein. An Jumbo werde ich meine nächste Antwortkarte senden und ihm, wenn ich einmal Zeit habe, recht ausführlich schreiben.

Donnerstag, den 4.2.37.

Und nun zu Eurem Briefe: Ihr fragt, woher die Schwierigkeiten in der Gruppe kämen. Die Frage kann ich Euch leider nicht beantworten - ich weiss es selbst nicht. Tatsache jedenfalls ist, dass Schwierigkeiten vorhanden sind. Übrigens hat sich nach jener Sichah die ganze Sache bedeutend gebessert, zum mindesten nach aussen hin. Die Streitigkeiten haben aufgehört. Aber trotzdem kann man die Gruppe nicht Chewrah nennen, weil ihr nämlich das Wichtigste fehlt - der Wille, das ganze Leben beisammen zu bleiben, eine politisch und weltanschaulich einheitliche Front zu bilden und vor allen Dingen zusammen auf Hitjaschwuth zu gehen. Und das ist schliesslich das Ziel der Jugendalijah, die Gruppe so zusammenzuschmelzen, dass sie nach zwei Jahren zusammenbleibt, dass sich zum mindesten aus der Gruppe heraus ein Kern bildet, der zusammen auf Hitjaschwuth geht. Da es nach

dem augenblicklichen Stand der Dinge nicht so aussieht, als ob dieses Ziel nach zwei Jahren erreicht wird, hat Fritz die Verantwortung abgelegt und ist zurückgetreten und einem andern die Möglichkeit gegeben, es eventuell besser zu machen. Schlimm ist diese Entwicklung nur vom Standpunkt einer Kwuzah. Für Euch und mich, die wir nicht auf diesem Standpunkt stehen, ist es nicht wesentlich. Es ist kein Grund vorhanden, dafür diese Menschen zu verdammen. Ich stehe überhaupt auf dem Standpunkt, dass es so vielleicht noch besser ist, als wenn jeder dem andern gleich ist und es keine Meinungsverschiedenheiten mehr gibt, wie es in einer Chewrah eigentlich sein soll. Besser eine schlechte „Chewrah“ von Menschen als eine gute von Herdentieren.

Und nun zu Deinem Geburtstage, lieber Pips. Nimm meine herzlichsten Glückwünsche zu Deinem 47. Jahre. Ich wünsche Dir alles Gute und hoffe, dass Dir dieses Jahr viel Freude und Glück bringt, hoffe vor allen Dingen, dass Du den 15. Februar bei bester Gesundheit und Wohlergehen verlebst. Ein Blümchen zu Deinem Geburtstage wirst Du in einigen Wochen noch nachträglich erhalten. Bald haben wir hier Frühling und dann wird es viele schöne Blumen geben. - Es ist bald ein Jahr her, dass ich von Euch fort bin. Vor einem Jahre waren wir mitten in den Vorbereitungen zu meiner Abreise und jetzt bin ich bald ein Jahr hier und kann Deinen Geburtstag nicht mehr mitfeiern. Lass Dir vor allen Dingen den Käsekuchen gut schmecken, jetzt ist Dein Söhnchen nicht mehr dabei und nörgelt, „das mag' ich nicht.” (Hier wäre ich übrigens froh, wenn ich welchen hätte). Ich hoffe, dass wir uns vor Deinem nächsten Geburtstage hier in der alten Heimat einmal wieder gesehen haben. Die Besuche der Eltern fangen jetzt schon allmählich an. Nächste Woche kommt Frau Brotzen und dann bald Frau Kaufmann. Herr Mendel ist immer noch hier. Er hat seinen Transfer bewilligt bekommen und bald werden seine Frau und Tochter auch rüberkommen. Er wird solange hier bleiben. Er arbeitet in der Zeit in der Bäckerei um sein Essen so gewissermassen zu verdienen. Ich will nun Schluss machen und den Brief heute schon wegschicken, damit er nicht etwa verspätet kommt. Dir lb. Pips viele Glückwünsche und Euch allen herzl. Küsse von Eurem Ernst.

Lieber Pips! Des schönen Wetters wegen machten wir heute anstelle des Iwrith einen kleinen Spaziergang und finde ich auf den Bergen schon die ersten Blumen und kann ich Dir doch heute schon eins senden.

Lieber Herr Löwy, zu Ihrem Geburstag wünsche ich Ihnen alles, alles Gute. Viele Herzl. Grüße auch für Ihre Frau, Levys u. meine Mutti
von Ihrer Ilse.