Ernst Loewy an seine Eltern, 19. April 1937

Kirjat Anavim, den 19. April 1937.

Meine Lieben!

Als ich gestern abend von der Fahrt nach Hause kam, fand ich eine Menge Post vor, Euren Brief vom 2.4., Deine Karte vom 6.4. aus Münster, 10 M und einen Brief von Richard, der mir schon zu meinem Geburtstag gratuliert. Ich habe Euch ausserdem noch Euren Brief vom 23.3. zu beantworten, den ich kurz vor der Fahrt noch erhalten habe, und dessen Beantwortung noch aussteht. Frau Mendel war in der ganzen Zeit noch nicht hier, erst heute kam er mit seiner Tochter, die mir die Sachen mitgebracht hat, sie mir aber noch nicht gegeben hat, da sie gerade beim Essen ist. Ich habe Euch nun in diesem Briefe soviel zu schreiben, dass ich noch garnicht weiss, womit ich anfangen soll. Ich will Euch von der Fahrt berichten und habe noch zwei dicke Briefe vor mir liegen, die ich Euch noch beantworten muss. Allzuviel Zeit habe ich auch nicht, da wir diese Woche den ganzen Tag arbeiten. Ich will Euch zuerst ganz kurz die Briefe beantworten. Die Fragen betreffs Deiner Reise werde ich Dir erst in einem meiner nächsten Briefe beantworten, da sie noch nicht so eilig sind. Also nun zuerst zu Euren Briefen: - Ich werde gerade von Ruth Mendel gerufen, die mir nun die Sachen gegeben hat, für die ich Euch recht herzlich danke - die Kletterweste passt sehr gut, die Kupferstiche sind sehr schön, die Frankfurter habe ich mir für Edith Stern schicken lassen, die für sowas Interesse hat, die Schokolade haben wir schon gegessen, sie hat prima geschmeckt. Schade ist nur, dass Ihr das richtige Buch nicht gefunden habt. Ich erinnere mich an die handkolorierte Ausgabe, die ich auch der Bilder zuliebe gerne gehabt hätte. Es ist natürlich auch so gut - jedenfalls recht vielen Dank. Und nun wirklich zu Euren Briefen. - Ich las sie noch einmal durch und sah, dass ich ausser Reiseangelegenheiten kaum etwas zu beantworten habe. An Lore habe ich aus Deganiah schon einen Karte geschrieben, Onkel Sali schreibe ich dieser Tage. Manfred geht es wieder ziemlich gut - er befindet sich in Moza und möchte am liebsten gleich nach Hause. Das wäre tatsächlich alles zu Euren Briefen. Auf die Reiseangelegenheiten gehe ich also erst das nächste Mal ein. Nun also zu unserer Fahrt. Nehmt Euch eine Karte zur Hand und vergleicht, wie wir gefahren sind. Am Montag morgen sind wir früh losgefahren, mit unserm Auto bis Jerusalem, haben dort um 6 Uhr morgens Fritz aus dem Bett geholt, der uns dann mit verschlafenen Augen viel Vergnügen für die Fahrt gewünscht hat. Dann sind wir mit dem Egged bis Afuleh gefahren und von dort über Balfouria und Misrah bis Ginegar gegangen, wo wir in der Nacht in einer Scheune übernachtet haben. Bei Ginegar ist der bekannte große Balfourwald, einer der grössten

Wälder des Landes, in dem man sich tatsächlich fühlt wie in einem jungen Kiefernwäldchen in Deutschland. Ginegar selbst liegt schon am nördlichen Rande des Emek, d. h. am Fusse des unteren Galils; bis Ginegar durchquerten wir also schon das ganze Emek, das übrigens überall so schmal ist, dass man auf beiden Seiten die Berge sieht, auf der einen Seite das Galil, auf der ändern das Schomron. Das Emek selbst durchziehen der Gilboa, der Giwath Hamoräh und der Tabor, an deren Füssen die Querstraße von Jenin bis Nazareth (das schon im Galil liegt, vom Emek aus aber noch zu sehen ist) liegt. Am zweiten Tag gingen wir von Ginegar über Sarid und Givat nach Ramath David, mitten durchs Emek, eine Landschaft, die uns „Bergbewohnern“ gänzlich unbekannt ist. Zum Teile sieht man noch wogende Kornfelder, zum grösseren Teile ist aber schon gemäht oder steht man in der Erntezeit. Givat ist eine der luxuriösesten Kwuzoth des Landes (bes. was Klosett anbetrifft - es gibt dort sogar Klosettpapier). Ramath David sind zwei Kwuzoth, die eng aneinander liegen, Ajanoth und Scharon mit einer gemeinsamen Jugendalijah und den schönsten Chadre Ochel des ganzen Landes. Am folgenden Tag gingen wir über Nahalal (dem schönsten, ältesten und größten Moschaw des Landes) über Kfar Jehoschuah nach Ssdeh Jaakow, einem Moschaw des Misrachi; von dort aus gingen wir nach Scheich Abrek, wo die erste Jugendalijah in einer wundervollen Gebirgslandschaft über dem Emek gesiedelt hat und wo für ein Jahr Arbeit schon Unendliches geleistet wurde. Am nächsten Tag gingen wir von dort nach Jagur (der größten Kwuzah des Landes mit beinah 1 000 Seelen) und fuhren von dort mit dem Auto nach Haifa, wo wir im Beth Olim in Zelten auf dem Boden des Militärlagers übernachtet haben; nach drei Nächten mal wieder in vernünftigen Betten. Am Abend sahen wir uns noch Haifa an, eine Stadt, die auf mich einen grossen Eindruck gemacht hat. Grosszügig, modern und geschmackvoll angelegt, viel schöner als Tel-Aviv und Jerusalem zusammen. Gegessen haben wir sogar in einem Restaurant, während wir sonst immer in Kwuzoth, durch die wir gekommen sind, gegessen haben. Das ist das Schöne hier im Lande, dass man, wenn man auf Fahrt ist, überall kostenlos essen, schlafen und sich duschen kann. In Haifa habe ich schöne Stunden verlebt - ich hoffe, Dir lb. Pips, diese schöne Stadt bald zeigen zu können. Am nächsten Tage fuhren wir bezw. gingen wir über Kirjat Bialik und Kfar Ata nach Kfar Hamakkabi, wo wir drei langweilige Tage bei zum Teil scheußlichem Wetter verlebt haben. Von der Moezah haben wir wenig gehört, da die Sitzungen teilweise geschlossen waren. Geschlafen haben wir an verschiedenen Orten, da in Kfar Hamakkabi für uns kein Platz war.

Ich habe mit noch 6 Leute in Kfar Uscha geschlafen, auch einer sehr schönen Kwuzah, wo das letzte Essen und den schönsten Duschraum des Landes gibt. Am nächsten Tage fuhren wir nach Haifa zurück und gingen noch eine Stunde an den Hafen und sahen dort die „Tel-Aviv” wieder, die dort augenblicklich ausser Gebrauch liegt. Es war gerade ein Schiff angekommen und wir sahen, wie sich die Verwandten mit knallenden Küssen begrüssten. Hoffentlich kann ich auch Dir lb. Pips bald mit „einem leicht knallenden Geräusch”, (frei nach Th. Mann) einen Kuss auf die Stirn versetzen. Mittags fuhren wir mit dem Auto nach Tiberias durchs untere Galil und durch Nazareth, und von hier ab will ich Euch das nächste Mal weiterschreiben. Für heute nur noch eine Bemerkung - in einem so kurzen Briefe kann ich alles nur kurz schreiben. Sollte Euch etwas besonders interessieren, so schreibt es. Ich bin ein wenig müde nach einem ganzen Arbeitstag. Ich habe den Brief heute mittag angefangen in der Mittagspause, unterdessen aber heute mittag gearbeitet und nach dem Abendessen weitergeschrieben. Also Schluss. Gute Nacht.

Dienstag, den 20.4.37.

Heute erhielt ich eine Karte von Jumbo, einen Brief von der Hubertusstr. und Euren lb. Brief mit den Geburtstagswünschen vom 10.4., für den ich Euch recht vielmals danke. Ich bin enttäuscht zu hören, dass Du für nur so kurze Zeit kommen willst, lb. Pips, kaum 3 Wochen. Richte es zum mindesten so ein, dass Du mit der „Champollion” am 11.7. in Haifa bist, sonst lohnt sich die weite Reise doch kaum. Vom 18.7. bis zum 4.8. sind ja kaum 14 Tage. Dass Du dann die Zeit, die wir nicht auf Fahrt sind, hier wohnen kannst, ist ja selbstverständlich - es handelt sich ja dann nur um 8 Tage. Dass Du hier arbeiten wirst, kannst Du Dir übrigens aus dem Kopf schlagen - Du kannst ein wenig Ruhe mal recht gut gebrauchen. Alle andern Fragen werde ich Dir nun im nächsten Brief beantworten. Heute will ich noch ein wenig über die Fahrt schreiben. Ich bin also gestern in Tiberias stehengeblieben. Eine sehr miese Stadt, wo ausser den Gräbern von Maimonides und Jochanan ben Sakkai und Rabbi Akiba nichts zu sehen ist. Nur die Lage ist grossartig, direkt am Kinerethsee. Auf der einen Seite des Sees die galiläischen Berge, auf der andern Seite die Syrischen, ganz in der Ferne der schneebedeckte Hermon (auf dem der Jordan entspringt). Von Tiberias fuhren wir sofort nach Deganiah, wo wir über einen Tag blieben, einen Ausflug nach Kwuzah Kinereth gemacht haben und schwimmen gegangen sind. - Eine Randbemerkung - mir tut es so leid alles so kurz beschreiben zu müssen - wenn Ihr also über irgend etwas genaueres hören wollt, schreibt mir, ich werde Euch gerne alles beschreiben. - Von Deganiah gingen wir am nächsten Tage durchs ganze Emek Hajarden bis Tel-Or, besichtigten Rutenberg und gingen wieder zurück bis Beth Serah bezw. Afikim, bezw. Delamiah, in welchen drei Kwuzoth wir geteilt übernachtet haben. Am nächsten Tage fuhren wir mit der Eisenbahn durchs Emek Hajarden bis Beth Schan und von dort wieder durchs Emek Jesreel bis Schatta, gingen von dort nach Beth Alpha und Chefzibah, zwei Kwuzoth, die sofort nebeneinander liegen. Zwei interessante Kwuzoth,

die wegen ihrer extremsten Linkseinstellung ausserhalb der gemässigt links stehenden Histadruth stehen, und die aus ihrer ganzen Weltanschauung die hebräische Sprache nicht als einzige Sprache anerkennen, sondern das Deutsche gleichsetzen, d. h. man hört nur Deutsch und fast kein Iwrith - das allerdings nur in Chefzibah, da es dort fast ausschließlich nur Tschechen gibt. Über Frida Löwy habe ich Dir geschrieben. Sie freut sich, Dich bald nach beinahe 30 Jahren einmal wiederzusehen. Auch diese beiden Kwuzoth leben mit am luxuriösesten von allen des Landes, bes. was Essen anbetrifft. Am nächsten Tage gingen wir über Ejn Charod und Tel-Josef nach Gewa. Ejn Charod und Tel-Josef sind nach Jagur die grössten Kwuzoth des Landes, aber sehr sauber angelegt, während Jagur sehr schmutzig ist. Von Ejn Charod sieht man auf der andern Seite das Emek Chugim, wo die Quelle ist, aus der Gideon sein Heer hat trinken lassen und ausgewählt hat zwischen den Menschen, die sich hinwarfen wie die Tiere und denen, die ruhig warteten, bis man ihnen zu trinken gab. Ich weiss nicht, ob Ihr die Geschichte kennt. Heute, 3000 Jahre später, versorgt dieselbe Quelle noch das ganze östliche Emek mit Wasser. Von Gewa fuhren wir am nächsten Tage mit der Eisenbahn nach Afuleh, von wo wir nach Merchawiah gegangen sind, eine Kwuzah, die im selben Jahre wie Deganiah entstanden ist, erbaut worden von dem Deutschen Franz Oppenheimer, und die einen Eindruck macht wie ein deutsches Rittergut, in einem ganz andern Stil als alle die neuen modernen Kwuzahhäuser. Am letzten Tage gingen wir von Merchawiah wieder nach Afuleh, besichtigten unterdessen noch das Zentralkrankenhaus am Fuße des Giwath Hamoreh und fuhren von Afuleh wieder mit der Egged nach Jerusalem und von dort mit unserm Auto nach Hause. Das war so in aller Kürze die Schilderung der Fahrt, die auf mich einen grossen Eindruck gemacht hat. Ich freue mich schon riesig, Dir, lb. Pips, hoffentlich bald alles das Schöne zeigen zu können. Hoffentlich wird es nur was, und vor allen Dingen mehr als 14 Tage. 14 Tage allein wollte ich schon mit Dir auf Fahrt gehen. Ausserdem willst Du ja schliesslich auch ein wenig hier bleiben und Dir auch Jeruschalajim ansehen. Und damit für heute genug. Morgen will ich Euch event. noch ein paar Worte schreiben und will dann den Brief diesesmal ein paar Tage eher absenden.

Mittwoch, den 21.4.37.

Noch ein paar Worte, bevor ich den Brief abschicke. Wir brauchen wahrscheinlich in dieser Woche mittags schon nicht mehr zu arbeiten, da augenblicklich wenig zu tun ist. - Vorhin hbae ich mit Fritzens Frau telefoniert und bin zum jetzigen Schabbath eingeladen worden. Wenn nichts dazwischen kommt, werde ich nun endgültig fahren. Ich werde dann auch die Eltern von Benno Grünfelder besuchen. Und damit Schluss für heute.

Recht viele Grüsse und Küsse von
Eurem Ernst.

Falls Du aus Leipzig einige Stiche haben solltest, kannst Du sie mir für meinen Chawer Dan Hoffner schicken.

Ich wäre Ihnen ebenfalls sehr dankbar, wenn sie Stiche von Merseburg mitsenden würden.
L. Deitzer