Ernst Loewy an seine Eltern, 29. April 1937

Donnerstag, den 29.4.37.

Ich will Euch heute weiter schreiben, und zwar über meinen Besuch bei den alten Grünfelders. Die Leute, die vor kurzem ihre diamantene Hochzeit gefeiert haben, haben sich riesig mit mir gefreut; sie waren beinahe gerührt einen Neffen ihrer alten Freundin, Deiner Tante Tinni zu sehen. Es müssen sehr angesehene Leute sein. Sie erzählten von ihrem 60. Hochzeitstag, welche Gäste sie alle hatten - alle möglichen grossen Leute waren persönlich da, Blumenfeld, Dr. Handtke, die Tochter von Sokolow und weiss ich, was alles für Leute. Von der Jewish Agency haben sie als Geschenk ein prachtvolles Photoalbum bekommen mit Bildern aus dem ganzen Lande und einer Widmung von Blumenfeld. Dann hat die alte Frau mir Briefe gezeigt, die sie zu diesem Tage erhalten hat, darunter ein Brief Deines Bruders Ludwig vom 31. Dez. Frau Grünfelder hat Tante Tinni und Ludwig damals kennengelernt, als sie zusammen in Saaz waren um „Ausgrabungen” zu machen in Ahnenforschungsangelegenheiten. Frau Grünfelder hat mir davon erzählt und mir manche interessante Dinge mitgeteilt über Deinen Onkel Jadob Liobl (der geschieden war und drei Kinder hatte). Dieser hat als armer Schlucker seine letzten jahre in Saaz verbracht und hatte als einzigen Freund eben diese Frau Grünfelder, die ihn in seinen letzten Tagen gepflegt hat und den Grabstein hat aufstellen lassen, und die während ihres ganzen Lebens in Saaz das Grab in Ordnung gehalten hatte. Bei dieser Gelegenheit, hat Ludwig und Tante Tinni die Familie kennengelernt als sie auf der Suche nach etwaigen Gräbern waren - daher die Bekanntschaft. Jetzt sind die alten Leute vor ein paar Jahren durch ihren Sohn, der hier eine sehr angesehene Stellung hat, nach Erez gekommen. - Am Tage, als ich dort war erhielten sie gerade eine Karte von einer Verwandten Tante Tinnis mit dem Namen Blod aus Wien. Erinnerst Du Dich, lb. Pips, an einen Blod, der Dein Ur-Ur-Grossvater war, und der in unserer Ahnentafel verzeichnet ist? Vielleicht weiss Tante Tinny über dessen Nachkommen noch etwas mehr. - Ich hatte den alten Leuten erzählt, dass Du wahrscheinlich bald hier herkommen wirst und sie baten mich, Dich doch einmal vorzustellen. Auch so würden sie sich immer sehr freuen, wenn ich sie einmal besuche und, wenn ich einmal ihre Hilfe nötig hätte, sollte ich mich an sie wenden - ihr Sohn (der übrigens auch für 5 Minuten da war und den ich bei dieser Gelegenheit kennengelernt habe) würde mir immer gerne helfen. - Das über meinen Besuch bei Grünfelders. Nachher bin ich wieder zu Fritz gegangen, wo wir dann noch ein paar schöne und gemütliche Stunden bei Grammophon und Obst verlebt haben, sind dann essen gegangen und waren mittags bei seinen Eltern. Alles in allem ein vergnügter Tag. Danach noch eine Autofahrt im offenen Lastwagen über die Berge Judäas in der Nacht und um 11 lagen wir im Bett und schlief ich in mein 18tes Jahr hinein.