Ernst Loewy an seine Eltern, 12. Mai 1937

Kirjat Anavim, Mittwoch, den 12.5.37.

Meine Lieben!

Recht vielen Dank für Euren lb. Brief vom 1.5., den ich gestern erhielt. Ausserdem erhielt ich nach langer Zeit einmal wieder eine Karte von Lore. Heute kam nun das erste Mal Frau Mendel her, die gestern in Moza bei Manfred war - sie hat mir Grüsse von Euch bestellt. Auch mir scheint es, dass es eine sehr nette Frau ist. - Dass Du vorhast, lb. Pips, mit der Touristenklasse zu fahren, finde ich sehr richtig, 90 M ist soviel Geld, dass man es unbedingt sparen muss - oder zum mindesten besser verwerten könnte. Auch kann ich mir nicht vorstellen, dass die Fahrt mit der Touristenklasse so viel schlimmer sein könnte - das Essen wird bestimmt nicht weniger gut sein als zu Hause. Trotzdem werde ich Frau Mendel noch einmal fragen. Mich freut es sehr, lb. Mumlein, dass Du vorhast in der Zeit nach München zu fahren und Dir dort ein paar schöne Tage machst. An München erinnere ich mich noch so gut. München war eine meiner grössten und schönsten Erlebnisse. Mir tut es nur jetzt leid, dass ich die Zeit damals nicht noch besser ausgenutzt habe und nicht die Pinakothek besucht habe - aber dass ist nun vorbei. So kann ich Dir nur den guten Rat geben, die Zeit gut auszunutzen und Dir viel anzusehen (und mir ein paar Ansichtskarten zu schicken) - Über Frida Löwi weiss ich eigentlich nicht viel zu schreiben, sie wohnt in einem [..] (Holzbaracke), hat dort ein hübsches Zimmer, ist unverheiratet, sieht (wie alle Frauen in den Kwuzoth) sehr abgearbeitet aus und arbeitet im Gemüsegarten. - Dann sind mir noch zwei Bücher eingefallen, die ich Dich bitte mir mitzubringen und zwar „Haeckels Welträtsel” und irgend ein Buch über monistische Weltanschauung, zwei Bücher an die ich mich noch erinnere, dass wir sie haben und zwar stehen sie im Bücherschrank links im obersten oder zweitobersten Fach hinten. (d. h., wenn Ihr den Bücherschrank unterdes nicht umgeräumt habt.)

Und jetzt einmal zu einer sehr wichtigen Sache. Wir sind nun über ein Jahr hier, und es ist für unsere Gruppe allmählich Zeit, sich über das Problem zu unterhalten, was wird nach einem Jahr sein. Im Vordergrund des Interesses steht augenblicklich selbstverständlich: was wird der Kern tun, der auf Hitjaschwuth geht, und was am Anfang noch viel wichtiger ist, aus welchen

Leuten wird der Kern bestehen. Das sind Fragen, mit denen man sich jetzt augenblicklich viel beschäftigt und über die viel diskutiert wird. Ich will Euch über die Gruppe im allgemeinen das nächste Mal schreiben und Euch heute darüber schreiben, wie ich selbst zu all diesen Dingen stehe. Ich habe jetzt ein Jahr in der Kwuzah in einer Chewrah gelebt und kenne die Dinge so gut, dass ich mir über alles ein Urteil erlauben kann und habe mir für mich selbst einen Standpunkt gebildet, von dem ich wohl schwerlich innerhalb des zweiten Jahres abweichen werde. Erst zu meiner Lage in der Gruppe. Auch ich bin in der letzten Zeit in einen gewissen Kreis von Menschen hereingeraten, mit denen ich sehr viel Verbindung fühle, die mir menschlich sehr nahe stehen und in denen ich zum Teil auch gute, nicht mehr so ganz oberflächliche Freunde habe, sondern tatsächlich Menschen, die ich gerne habe, und denen auch ich nicht gleichgültig bin. Trotzdem ich also jetzt tatsächlich zu einem Teil der Gruppe eine nähere Verbindung habe, ist meine Stellung zur Kwuzah immer noch dieselbe, und habe ich auch schon offen erklärt, dass ich nach einem Jahr wahrscheinlich nicht bei der Gruppe bleibe, wenn auch meine Stellung noch so gut ist. Ich habe dafür drei prinzipielle Gründe: 1. das Elternanfordern, über das ich Euch schon geschrieben habe; 2. lehne ich für mich die Kwuzah ab, da, wie ich Euch schon des öfteren geschrieben habe, ich mich für die Dauer bei einem solchen Gemeinschaftsleben nicht wohl fühlen würde. Nun kommt noch ein dritter Grund hinzu, der vielleicht der wichtigste ist, und über den ich Euch noch nie geschrieben habe. Ich habe in einem Jahr Gelegenheit genug gehabt einzusehen, dass ich letzten Endes kein Arbeiter bin, und zwar ist es hauptsächlich nicht deshalb, weil ich körperlich keinen allzu großen Anstrengungen gewachsen bin (nicht allzu schwere Arbeiten könnte ich immer machen), sondern weil mir die richtige Beziehung zur Arbeit fehlt, weil ich keine richtige Verbindung zur Arbeit habe, mich einfach nicht als Arbeiter fühle. Ich habe Euch darüber vorläufig noch nicht geschrieben, da ich mir gerade in diesem Punkt wirklich sicher sein wollte, und das glaube ich jetzt zu sein - die beiden andern Gründe erkannte ich schon sehr früh. Aus diesen drei Gründen heraus lehne ich also für mich die Kwuzah ab. Ich hoffe, dass wir uns bald persönlich darüber aussprechen können, wenn auch Du selbst einmal die Verhältnisse siehst. - Wir haben hier in der Gruppe noch einmal denselben Fall - Edith Stern. Bei ihr spielen dieselben Gründe mit,

nur hat sie das Glück, ihre Konsequenzen aus ihrer Lage recht bald ziehen zu können, indem sie die Möglichkeit hat, zu Verwandten nach Amerika zu gehen (vielleicht noch vor Beendigung der zwei Jahre). Der äussere Grund, der sie dazu getrieben hat, diesen Schritt zu tun, war auch ähnlich wie bei mir, dass sie die Pflicht hat, einmal ihre Eltern anzufordern. Ihre Stellung zur Kwuzah hat sie dann dazu gebracht, diesen Schritt, den ihre Eltern schon lange wünschten, auch wirklich auszuführen. Andererseits wird ihr dieser Schritt als Zionist auch wieder recht schwer, aber schliesslich hat man doch die ersten Pflichten sich selbst gegenüber. - Ich schreibe Euch das hauptsächlich aus dem Grunde, da Edith nach Hause geschrieben hat, dass Du, lb. Pips, bald hierherkommst und ihre Eltern sich, falls sie etwas besonderes auszurichten hätten, an Euch wenden möchten. Du kannst ihnen vielleicht irgendeine Gefälligkeit erweisen. Eventuell bekommt Ihr also demnächst einen Brief von Heinrich Stern aus Frankfurt. Edith selbst ist ein sehr liebes Mädel und mir ein guter Freund. Fritz hat, als wir da waren, eine Aufnahme von uns gemacht, die ich Euch mitsenden werde, aber auch bald zurück erbitte. -

14.5.37. Freitag.

Gestern, als ich das Datum 13.5. sah, bekam ich plötzlich so eine kühle Erinnerung, dass ich vor vier Jahren Bar mizwah geworden bin - vor einem Jahre habe ich an diesem Tage Raupen von den Blumenkohlblättern gemacht - ich schrieb Euch damals nach Hause, dass ich mir an meinem Barmizwahtage nicht geträumt hätte, in drei Jahren so etwas tun zu müssen. Dann sind es schon vier Jahre. - Ruth Mendel ist mit ihrer Mutter schon fortgefahren nach Haifa und wird wohl schon dortbleiben. Vorgestern war Hans Sternberg hier, unser gewesener Bundesleiter, der jetzt 1 Monat im Lande ist. Sonst habe ich Euch nichts neues mehr mitzuteilen. Übermorgen ist Schawuoth, und haben wir mal wieder zwei Tage hintereinander frei. Das ist alles. Für heute also viele herzl. Grüsse und Küsse
von Eurem Ernst.