Ernst Loewy an seine Eltern, 26. Mai 1937

Kirjat Anavim, Mittwoch, den 26. Mai 1936.

Meine Lieben!

Besten Dank lb. Pips für Deinen lb. Brief aus Kronach, den ich gestern erhielt. Doch muss ich sofort anfangen zu schimpfen. Dass Du Dir eine Knickerbockerhose gekauft hast, kann ich ja noch verstehen, sich aber für 3 Wochen eine kurze Hose zu kaufen ist doch der reinste Unsinn - und dazu wirst Du garnicht mal in die Verlegenheit kommen sie jemals zu tragen. Ich habe Euch schon einmal geschrieben, dass man sich auch in Palästina nicht sonderlich anders kleidet als in Deutschland - einen „gut bürgerlichen” älteren Herrn (entschuldige!) habe ich auch in Palästina noch nicht in kurzer Hose gesehen. Nicht einmal die alten Chawerim besitzen hier solche. Kurze Hosen tragen hier auf dem Lande im allgemeinen nur junge Leute, erst recht dann in der Stadt. Also lass Deine kurze Hose schön zu Hause, es ist schade für den Platz im Koffer. Ich kann Dir nur noch einmal sagen - nimm so wenig mit wie möglich - die gelbe Leinenjacke wäre auch nicht nötig gewesen. 1 Hose, eine Jacke und nicht mehr, Du wirst hier froh sein, wenn Du nicht viel zu schleppen hast. - Meinen Reiseplan habe ich schon fertig aufgestellt, er wird mit dem Ankunftstag 11 Tage dauern, also genug um ausser Jerusalem alles zu sehen. Ilse will mit ihrer Mutter die Fahrt erst in den letzten Tagen machen. Aber was Bequemlichkeit anbelangt kommt es aufs selbe raus, denn die Tage, die Du hier bist, wirst Du auch nicht mehr Ruhe haben als auf der Fahrt. Ausserdem habe ich alles so geordnet, dass wir wenig gehen brauchen, so dass es ausser dem wärmeren Klima nicht anstrengender ist, als wenn Du sonst auf Reisen bist. - Wegen der Bücher werde wahrscheinlich dieser Tage einmal aufs Konsulat (oder Zollbehörde) fahren müssen um mich zu erkundigen. Trotzdem bitte ich Dich, Dich auch dort einmal zu erkundigen, ob die Ausfuhr keine Schwierigkeiten ergibt. Und erkundige Dich vor allen Dingen, wie das mit dem event. leeren Koffer geht!! Dann habe ich noch einen Wunsch, den Du mir erfüllen kannst, und zwar mir 3 hübsche Wandbilder (gerahmt) mitzubringen - vielleicht aus der „Göttl. Jugend” von Dieffenbach (oder wie der Mann heisst) - Dass Du

Dir eine Schreibmaschine gekauft hast, ist ja sehr schön, sie wird Dir wohl recht viele Arbeit abnehmen. - Über meine Arbeit: Ich arbeite noch eine Woche im Haus, da Karuso, der als nächster für diese Arbeit vorgesehen ist, noch nicht von seinem alten Arbeitsplatz abkommen konnte. - Dann soll ich Euch noch folgendes schreiben, dass Ihr die Geldsendungen von jetzt an immer adressieren sollt:
Kirjat Anavim
Jerusalem
Mea Schearim.

Dann mal wieder ein wenig über das Wetter. In der letzten Woche war es hier ausgesprochen kalt, und hat sogar zwischendurch noch einmal geregnet, augenblicklich ist es aber wieder bedeutend besser, ich erinnere mich allerdings, dass es voriges Jahr um diese Zeit bedeutend wärmer war.

Freitag, den 28.5.36.

Heute will ich Euch nun, wie versprochen, etwas über die Verhältnisse bei uns in der Gruppe berichten. Die Sache liegt jetzt bei uns folgendermassen, dass die ganz kleinen Grüppchen jetzt aufgehört haben zu bestehen und es jetzt im allgemeinen zwei grosse Parteien hier gibt. Einzelne Leute stehen zwischen diesen Gruppen, und andere stehen überhaupt ausserhalb alles Geschehens, da sie jetzt schon von sich sagen, dass sie nicht mit auf Hitjaschwuth gehen werden. Es gibt allerdings auch solche, die dasselbe sagen, aber trotzdem an dem Kampfe zwischen den beiden Gruppen teilnehmen, da sie sich, wenn auch nur für die kurze Zeit unseres Hierseins noch sehr mit den betreffenden Menschen verbunden fühlen. Zu letzteren gehören sowohl Edith als auch ich. Zuerst will ich einmal über die diejenigen schreiben, die die Gruppe verlassen wollen. Allein drei gehen voraussichtlich ins Ausland. Edith nach Amerika, Fritz Schloss als Melker nach Holland - Dan Hoffner wird sich eventuell in Paris künstlerisch ausbilden lassen. Ausserdem werden folgende nicht mitgehen: Micha Rubin, der Schlosser werden will, Heiner Guggenheimer event. Polizist, Manfred Mendel zu seinem Vater in die Metzgerei, Sonja Nothmann, die krank ist und körperlich überhaupt nicht arbeiten kann und Kinderschwester werden will und zuletzt Walter Rothmann, der wegen seines nicht berühmten Charakters von der Gruppe geschlossen abgelehnt wurde. Und nun zu den beiden Gruppen selbst. Der Hauptmacher in der ersten Gruppe ist Karuso, von Pinchas eifrigst unterstützt, und

der in seinem Kreise so die gesamten miesen Charaktere zusammenhält - er selbst der mieseste von allen. Die Gruppe zeichnet sich besonders durch grosse Maulweite und noch grössere Oberflächlichkeit der Menschen aus. Karuso selbst hat ausserdem eine eigentümliche Vorstellung von Freundschaften, besonders solchen mit Mädels. Heute schliesst er Freundschaften, die er morgen wieder bricht, und hat dadurch schon ein Mädel seelisch heruntergebracht. Diese Gruppe ist, durch Pinchas, eigentlich die stärkere von beiden. Das, was das Wesen der andern Gruppe, die in ihrem Kern nur aus 5 Leuten besteht, ausmacht, ist die Parole: „Wir gehn nur dann auf Hitjaschwuth, falls Karuso die Gruppe verlässt.” Diese Gruppe besteht aus sehr feinen Leuten, zu denen auch ich mit noch mehreren Unbeteiligten in freundschaftlicher Beziehung stehe. - Das ist so die Lage in der Gruppe; was einmal daraus werden wird? Jedenfalls versuchen wir noch den besseren Teil der Menschen auf unsere Seite zu ziehen, so dass am Ende Karuso mit seinem nächsten Kreis isoliert dasteht. - Ich bitte Euch nun keinesfalls über diese Dinge, die die intimsten Dinge des Chewrahlebens ausmachen, zu sprechen, weder mit Kaufmanns, noch Frau Wertheim. Erbse gehört natürlich auch zum Kreise Karuso. Ich würde übrigens heute keine Lanze mehr für sie brechen, falls wieder einmal gewisse Gerüchte auftauchen würden.

Samstag, den 29.5.37.

Neuigkeiten habe ich heute keine mehr zu berichten, ausser dass seit gestern der schlimmste Chamssin ist, so dass wir nachts vor Hitze kaum schlafen konnten. Ganz plötzlich scheint also jetzt der Sommer anzufangen. - Bei Pinchas habe ich mich mal erkundigt, wie das mit dem Zoll für Bücher ist. Er sagt, wenn man die Bücher mitbringt, würde es keinen Zoll kosten. Trotzdem werde ich aber einmal beim Zollamt in Jerusalem antelephonieren - aber auch ich glaube kaum, das es Zoll kostet.

Für heute damit Schluss.

Herzl. Grüsse und Küsse Euer
Ernst.