Ernst Loewy an seine Eltern, 4. Juni 1937

Freitag, den 4. Juni 1937.

Gott sei Dank erhielt ich heute Deinen Brief aus Geseke, lb. Vater vom 26.5., in dem Du meinen verspäteten Brief noch bestätigst und ich also deshalb beruhigt sein kann. Es tut mir sehr leid, dass Ihr Euch deshalb wieder Sorgen gemacht habt, aber ich halte es zuweilen für nötig auch über diese besonders wichtigen Dinge zu schreiben. Was meine Zukunft anbetrifft, steht augenblicklich leider erst ziemlich fest, was ich wahrscheinlich nicht machen werde - die positive Seite ist auch mir noch recht unklar. An Lehrer ist wohl nicht zu denken, obwohl der Beruf gut ist und es Möglichkeiten geben würde, ihn zu erlernen, auch würde es mir nicht einmal an Freude und Lust dazu fehlen - ich glaube aber an Talent. Ich weiss gar nicht, wie Frau Kaufmann darauf kommt - ich habe mich nie mit ihr darüber unterhalten. - Ich denke eher noch an meine früheren Interessen, Chemiker, Apotheker, Optiker. Ich habe sowohl mit Fritz als auch mit Pinchas schon darüber gesprochen; ja, Pinchas hat in meinem Namen Hans Beyth (den Leiter der ganzen Jugendalijah nach Miss Szold) schon einmal nach etwaigen Möglichkeiten befragt, doch ist er gleich damit abgewiesen worden, da die Sache an und für sich noch nicht spruchreif ist und ich noch 10 Monate vor mir habe. Wenn Du herkommst, wird er natürlich mit sich reden lassen. - Dann zum Punkte Elternanfordern. Ich weiss, dass dies am „schnellsten“ durch die Kwuzah geht, aber auf eine Weise, die für Euch völlig ausgeschlossen ist, es ist unmöglich (falls es nicht durch äusseren Zwang wäre), dass Ihr Eure schöne 4-Zimmerwohnung mit einer verwanzten Bude in einer Holzhütte vertauscht, ausserdem hättet Ihr ja ein völlig abgeschlossenes Leben ohne irgend einen Menschen. So wäre es hier in Kirjat Anavim. Wenn ich mit auf Hitjaschwuth ginge, dann wäre auch das „schnelle“ Anfordern unmöglich, weil wir ja selbst ohne etwas dastehen würden und zuerst die Eltern dran kämen, die es „dringend“ nötig haben, und dazu gehört Ihr nicht. Aber ich mache mir, ehrlich gesagt, auch wenig Hoffnungen, dass es in der Stadt besser geht - es wird Jahre dauern, bis ich genug verdiene, und wenn Ihr hier wärt, müsstet Ihr Euch schon mit 50 Jahren auf die faule Haut legen, denn einen neuen Beruf beginnen, könnt Ihr nicht. Um zwei Menschen zu ernähren, brauchte man an die 15 Pfund, ein Gehalt, was ein festangestellter Arzt am Krankenhaus verdient. Die Aussichten

in dieser Hinsicht sind also durchaus nicht rosig, besonders augenblicklich nicht, wo die Lage trostlos ist - aber auch für Kwuzoth. Von der Kwuzah unseres Bundes Rannanah von an die 40 Leute haben 6 Leute Arbeit, d. h. Aussenarbeit, wovon alleine die Kwuzah leben kann. Alle andern Leute arbeiten auf ihrem Meschek von 5 Dunam, mit welchem Boden sie nicht einmal für ihre eigenen Essbedürfnisse auskommen können und der nichts einbringt. Einmal hatte nur ein einziger Mensch Arbeit. Die Leute wissen heute nicht, wovon sie morgen essen sollen. - Besser ist es natürlich mit den älteren Kwuzoth, die schon auf Hitjaschwuth sind und ihren eigenen Boden bearbeiten. Aber heute eine neue Kwuzah zu gründen, die als „Plugath Awodah” in einer Moschawah auf Aussenarbeit arbeitet, auf die Art, wie jede Kwuzah einmal anfängt, ist einfach unmöglich. Das heisst mit andern Worten, dass es für die Gruppe als Ganzes nach einem Jahre genauso schwer sein wird durchzukommen, wie für jeden einzelnen. Ich habe in dieser Hinsicht nur den einen Trost, dass sich in einem Jahr viel verändern kann und dass die Jugendhilfe jedem einzelnen gegenüber verpflichtet ist, ihm etwas passendes zu besorgen. - Die andern Fragen, die Du so stellst, habe ich unterdessen schon beantwortet, besonders was meine Chawerim anbetrifft. - Nun habe ich eine grosse Bitte an Euch, nehmt Euch die Mitteilungen nicht zu sehr zu Herzen, haltet vor allen Dingen auch Ihr den Kopf hoch, so hoch wie ich, dann wäre ich zufrieden. Wenn auch ich schon viel über diese Probleme nachgedacht habe, die gute Laune haben sie mir noch nie verdorben. Ich wünsche mir, das Leben, wie es augenblicklich ist, möchte noch viele Jahre so sein. Und jetzt wollen wir wieder einmal 6 Wochen darüber schweigen um uns dann persönlich und mündlich darüber auszusprechen.

Neues ist von hier kaum zu berichten - das elektrische Licht brennt (allerdings erst seit einer Stunde, nicht seit Mittwoch abend) und heute abend wird eine grosse Feier stattfinden. - Wegen der Bücher werde ich morgen noch einmal am Zollamt anrufen, doch sagen mir alle, dass dies nicht nötig sei, und dass sie auf keinen Fall Zoll kosten. Ich bitte vor allen Dingen Euch, Euch rechtzeitig wegen allem (bes. was den Koffer angelangt) zu erkundigen und auch mir darüber bald zu berichten. Für heute Schluss.

Viele Grüsse und Küsse Euer Ernst.