Ernst Loewy an seine Eltern, 8. Juni 1937

Kirjat Anavim, Dienstag, den 8.6.37.

Meine Lieben!

Recht vielen Dank für Euren lb. Brief vom 27.5., den ich vorgestern erhielt. - Ich bin gestern wieder in Jerusalem gewesen um mir eine neue kurze Hose zu kaufen für gut, die ich sehr nötig hatte. Ich habe jetzt zwischendurch für 8 Tage eine neue Arbeit bekommen, und zwar sog. Verbindungsschomer in der Nacht von 12 Uhr nachts bis 5 Uhr morgens, wofür ich dann den ganzen Tag frei habe. Ich muss in der Zeit Nachtdienst machen, d. h. die Pferde füttern, Milch aus den Ställen in die Küchen bringen, Wasser für den nächsten Tag zum Tee warmmachen, und die Hauptsache von 3 Uhr an die Leute, die in den Ställen u.s.w. arbeiten, wecken, da diese 2 Stunden eher aufstehen. Das ist für acht Tage einmal ganz interessant und man hat den ganzen Tag frei. Nachts geht man dann zwischendurch in die Küche und isst sich mal richtig voll. Vorige Nacht habe ich mir Rühreier gemacht mit Kartoffeln, Käse, Butter und Kaffee. Die ersten zwei Stunden habe ich fast gar nichts zu tun - dann allerdings muß ich laufen von einem Ort zum andern, um die Leute, die in der Zeit zwischen 3 und 5 Uhr aufstehen müssen, zu wecken. Und dann gehe ich noch ein paar Stunden zu Bett. - Ich habe vorhin am Zollamt angerufen, man versteht dort leider nur Arabisch. Ich habe daraufhin bei der Hitachduth Oleh Germania angerufen um mich wegen der Bücher zu erkundigen. Dort weiss man nicht genau Bescheid, doch glauben sie, dass man wohl Zoll bezahlen muss, da man nur Sachen mitbringen darf, die man selbst nötig hat, für einen Einwanderer kostet es jedenfalls nichts. Andererseits weiss aber ich wieder, dass Bücher nicht zu den Dingen gehören, für die man im allgemeinen Zoll bezahlen muss. Ich glaube, es ist am besten, wenn Ihr Euch dort einmal bei einem Palästinareisebureau erkundigt - dort weiss man auch sicher über solche Dinge Bescheid. Falls der Koffer mit den Büchern Zoll kostet, wird es dort sicherlich auch eine Möglichkeit geben, den Koffer auf den Namen eines andern (Einwanderer) zu schicken. Der Betreffende selbst hätte dann übrigens garnichts damit zu tun, da der Koffer ja aufgegeben wurde. Jedenfalls bitte ich Euch, Euch sofort nach solchen Möglichkeiten auf einem Bureau zu erkundigen - es wird sicherlich solche geben. Von

hier aus lässt sich sowieso nichts machen. Aber jedenfalls beeilt Euch sehr, in 4 Wochen wirst Du, lb. Pips, schon fahren. Das, was mich interessiert, wisst Ihr ja: Goethe, Ibsen, Thomas Mann, Rich. Wagner, Nietzsche, Schopenhauer, wenn möglich, auch Sigmund Freud (Psychoanalyse) u.s.w. Je mehr desto lieber. Hoffentlich lässt es sich überhaupt machen. Ein paar Bücher kann man natürlich auf jeden Fall mitbringen und zwar: Tonio Kröger, Faust I, Ibsen in Reclamausgabe, Wagner udn wenn irgendwie möglich, Nietzsche, Schopenhauer und Freud, Goethes Gedichte.

9.6.37. Mittwoch.

Und nun zu Eurem Briefe: Beim Augenarzt bin ich noch nicht gewesen - meine Brille ist aber auch immer noch gut und sehe ich gut damit, obwohl ich schon fast ein halbes Jahr die Brille dauernd trage. Auch ich würde gerne mal zum Augenarzt fahren - aber einfach fahren, nur um nachsehen zu lassen, ohne besonderen Grund, kann ich hier natürlich nicht - ich glaube aber auch kaum, dass es nötig ist. - Dass das Anfordern nicht der Hauptgrund ist zu meiner Stellung zum hiesigen Leben habe ich Euch ja im vorigen Briefe schon geschrieben, und überhaupt über die Schwierigkeiten, die sich dabei ergeben werden - ich brauche also nicht noch einmal darauf einzugehen. Einen Wunsch noch betreffs mitbringen und zwar: Schreibpapier, Kuverts, vor allen Dingen Hefte und eine gute Leberwurst, Lakritz, Salmiakpastillen samt sonstigen Spezialitäten! -

Ich las in der letzten Zeit eine gute Biographie über Goethe und lese jetzt den Faust, bezw. habe den Urfaust schon gelesen und lese jetzt die endgültige Ausgabe des ersten Teils. Dann las ich von Freud die „Einführung in die Psychoanalyse“, ein äusserst interessantes Werk, das mir die Anregung gegeben hat, mich mit diesen Dingen ein wenig ausführlicher zu beschäftigen, und lasse ich daraufhin mir aus der Bibliothek noch weitere Bücher bestellen. Ausserdem lese ich noch einen großartigen Roman von dem indischen Dichter Rabindranath Tagore - „Das Heim und die Welt“.

Donnerstag, den 10.6.37.

Ich will heute den Brief ausnahmsweise schon am Freitag abgehen lassen, damit Ihr wegen der Bücher früher Bescheid bekommt. - Ich will Euch nun heute noch über meine Fahrt nach Jerusalem schreiben. Ich wollte eigentlich Fritz besucht haben, der schon drei Wochen nicht hier war, habe diesen aber leider nicht angetroffen und bin dafür fast die ganze Zeit auf dem Skopus gewesen, wo ich ein paar schöne Stunden verlebt habe. Ihr könnt Euch den grossartigen Anblick garnicht vorstellen, den man oben von der Universität hat - auf der einen Seite unter mir liegt Jerusalem, vor mir die Altstadt mit der Omarmoschee - auf der andern Seite in der Ferne sieht man ganz deutlich das Tote Meer mit den transjordanischen Bergen. Die Aussicht vorn dort ist so grossartig, wie ich vorher noch nie etwas in dieser Art gesehen habe. Man sieht in der Ferne übrigens auch Kirjat Anavim (d. h. das Wachthaus auf dem Berg) - dann bin ich in die Bibliothek gegangen und habe dort noch ein wenig gelesen. Ich freue mich so riesig, Dir, lb. Pips, das alles so bald zeigen zu können.

Ich habe auch Lotte Salomons wieder besucht, der es recht gut geht, die aber noch nicht weiss, ob sie hier bleiben kann. - Und dann habe ich mir für 15 Piaster eine sehr schöne Hose gekauft. Das soll für dieses mal genügen. Recht herzl. Grüsse und Küsse
Euer Ernst.