Ernst Loewy an seine Eltern, 16. Juni 1937
Kirjat Anavim, Donnerstag, den 16.6.37.
Meine Lieben!
Ich komme erst heute dazu Euren lb. Brief vom 4.6. zu beantworten, der hier schon am Sonntag eintraf. Ich war in den letzten Tagen so beschäftigt, dass es mir unmöglich war zu schreiben - und zwar durch innere Angelegenheiten in der Gruppe. Wenn Ihr glaubt, dass ich zwischen den Parteien hier stehe und irgendwie zu vermitteln suche, so habt Ihr meinen Brief falsch verstanden. Ich versuchte, soweit es in meiner Macht war, gerade das Gegenteil - es nämlich zu einem völligen Bruch kommen zu lassen. Ich möchte meinen Freunden nicht zumuten mit Karuso und seiner Sippe ihr ganzes Leben lang zusammenzubleiben. Und dieser Tage ist es nun endlich zu einem Bruch gekommen, indem Pinchas einen Teil unserer Leute aufgegeben hat, indem er nun für sie Interessenlosigkeit heucheln will. Pinchas steht völlig auf Karusos Seite und haben wir, wenn wir ihn nun völlig verloren haben, ausser einem intelligenten Menschen, von dem man etwas lernen kann, nichts verloren. Ich habe ihm heute noch die Fähigkeit abgesprochen, Menschen erziehen zu können. Wir sind alles in allem ungefähr 10 Leute (mit denen, die wahrscheinlich nicht für immer dabei bleiben) und halten zusammen wie die Kletten, und bilden sicherlich einen menschlich wertvolleren Kern für eine Gruppe als die andern 20. Es ist jetzt so schade, dass Fritz nicht mehr hier ist - er würde sich bestimmt auf unsere Seite stellen. Bald mündlich ausführlich über diese Angelegenheiten. Fritz war schon 4 Wochen nicht mehr hier, da er eine Arbeit geschrieben hat und wird heute abend wahrscheinlich das erste Mal wiederkommen. Küken, nach dem Ihr mich fragt, steht sehr ausserhalb der ganzen Gruppe, trotz seiner Feindschaft mit Karuso - er ist im allgemeinen nicht sehr beliebt - ein grosser Angeber und noch grösserer Lügner, dem man kein Wort glauben darf.
Nun noch ein wenig zur Reise: Dass Du hier nicht arbeiten wirst, lb. Pips, ist doch klar, die paar Tage, die Du hier
bist, wirst Du Dich schön ausruhen. Wie lange glaubst Du überhaupt hier zu sein? Es werden dies allerhöchstens 4-5 Tage werden, da wir wahrscheinlich sehr viel in Jerusalem sein werden, wo Du ein wenig mit Fritz sprechen kannst. Aus einem Gespräch mit Pinchas würde in jeder Beziehung nur sehr wenig herauskommen. - Dann bitte ich Dich noch einmal für Dich selbst keinesfalls mehr mitzunehmen als den kleinen Handkoffer. Das was ich Dir aufgeschrieben habe, genügt vollständig. Mehr mitzubringen, würdest Du wahrscheinlich später sehr bereuen.
Von hier ist nicht neues mehr mitzuteilen, ausser, dass ich meine Schmirahwoche beendigt habe und wieder meine sonstigen Hofarbeiten mache. Das Wetter ist sehr angenehm - wenn es bis zu Deiner Reise so bliebe, würdest Du von palästinensischem Klima nichts merken. - Die ersten Äpfel, Pflaumen und Aprikosen sind schon reif, und bis Du kommst, wird auch die Weinernte schon begonnen haben.
Freitag, den 17.6.37.
Heute erhielt ich 10 M, für die ich Euch bestens danke.
Fritz war gestern leider wieder nicht hier, und hoffe ich, dass er sich nun in der nächsten einmal wieder sehen lässt. Vielleicht fahre auch ich sonst Anfang nächster Woche einmal zu ihm - Pinchas ist augenblicklich in Geva auf einer Moezah des Bundes. - Der Zahnarzt hat seinen Kurs „Individuum und Kollektiv”, der ganz grossartig war, nun beendet und gibt uns jetzt einen Biologiekurs, bezw. nur Menschenkunde. - Mehr weiss ich Euch diesesmal nicht zu berichten - nehmt einmal mit zwei Seiten vorlieb. Bald werdet Ihr ja hoffentlich durch Vaters Erzählungen den besten Ersatz dafür finden. Nur eine Frage habe ich noch - wann ist der Tag der Ankunft der „Chapollion” in Haifa, am 11.7. oder 13.7.? Bitte mir sofort darüber zu schreiben - auch nochmals den Tag der Abfahrt!
Für heute also herzl. Grüsse und Küsse von
Eurem Ernst.