Ernst Loewy an seine Eltern, 26. Juni 1937
Kirjat Anavim, Samstag, den 26.6.37.
Lieber Vater!
Dieses nun ist der letzte Brief von mir, der Dich noch zu Hause antrifft, und will ich ihn deshalb an Dich persönlich adressieren. Ein paar Tage nach Ankunft dieses Briefes wirst Du wohl schon auf hoher See sein. Du kannst Dir vorstellen, wie riesig ich mich darauf freue. Gestern in 14 Tagen werde ich schon von hier fortfahren, noch einen Tag in Tel-Aviv bleiben, und Dich morgen in 14 Tagen in Haifa am Hafen erwarten. Wenn ich an das Wiedersehen denke, dann hüpft mir das Herz vor Freude. Und dann noch 10 Tage lang auf Fahrt sein - das wird schon ein Vergnügen werden.
Euren Brief vom 11.6. und Deine Karte aus Borghorst habe ich erhalten - recht vielen Dank. Zu beantworten gibt es kaum etwas. Der von „ihm”, von dem ich aus dem Rodachtal eine Karte erhielt, war Onkel Karl mit Familie.
Ich komme erst heute dazu zu schreiben, da mich wieder die Angelegenheiten hier die ganze Woche beschäftigt hatten. Ich bin extra deshalb diese Woche mit einem Freunde einmal bei Fritz gewesen, um ihm von den ganzen Dingen zu erzählen - er war krank, ist aber ein paar Tage darauf zu uns gekommen.
Schliesslich sind diese ganzen „inneren“ Angelegenheiten endgültig geklärt worden, indem unsere Gruppe Pinchas gedroht hatte, falls er gewisse Forderungen nicht erfülle, zur Sochnuth zu gehen und ihn absetzen zu lassen. Ihr könnt Euch vorstellen, dass überall grösste Aufregung war. Doch ist jetzt alles geklärt worden und die Teilung der Gruppe in zwei Chewroth von Pinchas offiziell anerkannt worden. Zwischen beiden Gruppen ist ein schriftlicher Kontrakt abgeschlossen worden, der besagt, dass beide Gruppen in privaten Dingen nichts mehr miteinander zu tun haben. Und, dass es für die Zukunft zwei Gruppen gibt,
die getrennt zur Hitjaschwuth gehen. Ausser organisatorischen Dingen, sowie Arbeit und Unterricht gibt es zwischen beiden Chewrath keinerlei Verbindung mehr. Pinchas ist Lehrer und offizielle Vertretung nach aussen für beide Gruppen, in Karusos Gruppe ausserdem Chawer, während auch er mit uns in privaten, sowie erzieherischen Dingen nichts mehr zu tun hat, nachdem wir ihm sämtlich auf einer öffentlichen Sichah unser Vertrauen gekündigt haben und es schon zu einer völligen Absetzung nicht weit mehr gefehlt hat. Durch die Anerkennung zweier Gruppen sind nun alle Streitigkeiten geschlichtet worden und unser Verhältnis zu Pinchas und der anderen Gruppe festgesetzt worden. Um auch äusserlich die Trennung zu vollziehen, sind wir alle umgezogen, so dass Karuso und Pinchas mit ihrer Gruppe in der oberen Etage wohnen, während wir drei Zimmer der unteren Etage haben - im vierten Zimmer wohnen die „Neutralen“, die mit allem und allen nichts mehr zu tun haben wollen (darunter auch Küken). Ich bin in meinem Zimmer geblieben, wohne aber mit drei andern Leuten zusammen: Benni Salinger, Werner Karger und Dan Hoffner - drei sehr feine Jungens, die Du recht bald kennenlernen wirst. Unsere Gruppe besteht aus 13 Leuten, die andere aus 12, dazu [..] Neutrale. - Das ist der Stand der hiesigen Dinge. Alles lebt wieder friedfertig neben-(statt mit-)einander, und ist alles, wie Du bald sehen wirst, in bester Butter.
Auch heute habe ich nicht mehr viel zu schreiben. Ich habe noch einen letzten Wunsch vor Deiner Abreise - mir einen hübschen Abreisskalender mitzubringen, wenn es noch geht. Nun Schluss, lieber Pips - für die weite Reise ins Land der Juden alles, alles erdenklich Gute und viel Vergnügen - glückliche Überfahrt, möglichst ohne Seekrankheit. Frohe Reise und ein
glückliches Wiedersehen wünscht
Dir Dein Ernst.