Ernst Loewy an seine Eltern, 10. November 1937
Herzliche Grüße Dan
Kirjat Anavim, Mittwoch, den 10.11.37.
Meine Lieben!
Von den fürchterlichen Ereignissen, die gestern hier vorgefallen sind, werdet Ihr wohl schon durch die Rundschau erfahren haben. Ausserdem hatte Hans Beit an die Jugendhilfe telegraphiert, alle Eltern der Kirjat Anavimer Jugendalijah zu informieren und zu beruhigen, dass hier selbst nichts vorgefallen sei, und wir uns alle wohlauf befinden - wenn ich davon nicht erfahren hätte, hätte ich Euch selbstverständlich gleich eine Karte geschrieben. -
Nun also zu den Ereignissen selbst: Eine Gruppe vom „Bamaaleh“ (der Kwuzah, die hier wohnt und auf Aussenarbeit arbeitet) ging morgens früh zur Arbeit - ungefähr 5 Kilometer von hier, hinter Abu Gosch in Kirjat Anavim Beth, in einem Steinbruch. Als sie an ihren Arbeitsplatz kamen, sprangen ein paar Meter vor ihnen eine Bande Araber auf und haben innerhalb einer Minute die Gruppe, die aus 5 Menschen bestand, erschossen, ausgeraubt und sind weggelaufen.
Es ist weiter nichts dazu zu sagen. Was dieser Schlag für Erez bedeutet, kann man nicht in Worten ausdrücken. Die Kwuzah schwamm buchstäblich in Tränen. Die Toten sind zuerst nach Jerusalem in die „Hadassah“ geschafft worden, und erst am Nachmittag nach Kirjat Anavim gebracht worden, um noch am selben Tage beerdigt zu werden. Die Bewegung in der Stadt muss unbeschreiblich gewesen sein. Die Geschäfte wurden geschlossen, 50 000 Menschen standen in den Strassen von Jerusalem zwischen der „Hadassah“ und dem Ende der Stadt. Über 500 Menschen waren hier bei der Beerdigung, darunter Moscheh Schertok, Ben Zwi, Rabbi Herzog und noch eine Menge von führenden Leuten der Sochnuth, der Histadruth
Viele herzliche Grüße Werner.
und sonstigen jüdischen Anstalten. Die Grablegung war grauenhaft - einer der Erschossenen hatte Eltern in Ejn Charod, die hergekommen sind. Einer war verheiratet und hat schon ein Kind (Jizchak Migdal, vielleicht kennst Du ihn zufällig). Seine Frau hat sich darum gerissen, die Bahre zu tragen und hat ihrem Manne nachher eigenhändig das Grab zugeschaufelt. Szenen, wie ich sie ergreifender niemals gesehen habe. - Heute war Ussischkin hier, um sich von den Leuten erzählen zu lassen und ist nachher zu den Gräbern gefahren.
Hier in Kirjat Anavim war vollständige Ruhe - auch glaubt man, dass die Araber viel zu viel Angst haben, um hier irgend etwas zu unternehmen. Von den Mördern ist übrigens schon einer von der Polizei erschossen worden, und einen hat man gefangengenommen - ausserdem noch eine Menge Verdächtiger. - Das wäre in Kürze das, was hier vorgefallen ist und was Ihr wahrscheinlich in der Rundschau schon längst gelesen habt. - Worte, die Stimmung und die Trauer hier zu schildern, finde ich nicht.
Donnerstag, den 11.11.
Ein Unglück kommt selten allein, sagt ein altes Sprichwort. Unser Auto war in Tel-Aviv zur Ausbesserung in einer Garage. Die Garage ist plötzlich abgebrannt und das Auto mit ihr. Wir sind natürlich in einer Versicherung und wird Joschi (der Kassierer) wahrscheinlich noch was dabei herausschlagen.
Was die Ereignisse von vorgestern anbetrifft, so ist noch folgendes dazu zu sagen. Es ist über Jeruschalajim sofort Militärzustand verhängt worden. Jeder, der mit unerlaubten Waffen getroffen wird, wird innerhalb 24 Stunden erschossen. Soweit die Maßnahmen der Regierung.
Die Jewish Agency berät augenblicklich über eine etwaige Besiedlung von Kirjat Anavim Beth, wozu noch Gelder gesammelt werden müssen. Nachdem das Unglück geschehen ist, hat die Gruppe Bamaaleh beschlossen, auf jeden Fall dort zu siedeln, wo ihre 5 Chawerim gefallen sind. Falls das Projekt etwas wird, d. h. falls genügend Gelder zusammenkommen (man spricht über eine etwaige öffentliche Sammlung in Jerusalem), so würde man schon in 4 Wochen, d. h. am 30sten Tage nach der Beerdigung den Grundstein zum ersten Hause legen. Man hofft auf 5000 ₤P, die eventuell für den Anfang nötig wären für eine Strasse, Wasserleitung und zwei Häuser. - Falls diese Sache Wirklichkeit würde, besteht nicht nur die Möglichkeit, sondern gar die Wahrscheinlichkeit, die unsere Gruppe nach den zwei Jahren sich mit der „Bamaaleh” vereinigt und oben auf Hitjaschwuth geht. Vorläufig jedenfalls sind das alles noch Pläne und wissen wir nichts genaues.
Euren lb. Brief habe ich Anfang der Woche erhalten - recht vielen Dank - und werde ihn Euch erst in der nächsten Woche beantworten. Deine Bitte, lb. Mutter, mal wieder etwas Persönliches zu schreiben, wüsste ich auf keine andere Weise zu erfüllen, als Dir wie immer zu sagen, dass es mir gut geht, dass ich zufrieden, und was mich selbst anbetrifft, froher Dinge bin, wenn auch die Dinge, die so um einen geschehen, nicht dazu angetan sind, einem Freude zu bereiten. - Mit vielen Grüssen und Küssen
Euer Ernst.
Ich bitte Euch, mir die Rundschau, in der über die hiesigen Vorfälle berichtet wird, umgehend zu schicken!!!