Ernst Loewy an seine Eltern, 21. Januar 1938
I
Kirjath Anavim, Freitag, den 21.1.38.
Meine Lieben!
Für Eure beiden Briefe vom 7.1. und 11.1. recht vielen Dank. - Ich liege heute im Bette - ich fühle mich nicht recht wohl - ein bissel Magenschmerzen, nichts schlimmes jedenfalls - und hoffe morgen oder spätestens übermorgen wieder aufzustehen. -
Von Richard erhielt ich dieser Tage einen Brief, der jedoch nichts Wesentliches enthält. Er schreibt mir von Euch einen Brief erhalten zu haben und Euch ebenfalls recht ausführlich geschrieben zu haben. - Dass er als meine Vorfahren nur der Familie Levy gedacht hat und damit die Möglichkeit einer bäuerlichen Existenz für mich ausschliesst, wäre von dieser Warte einzig und allein aus betrachtet sicherlich unsinnig. Doch spielt der Beruf meiner Vorfahren für mich keine Rolle - und für mich ganz persönlich betrachtet ist die Landwirtschaft nun tatsächlich kein passender Beruf - nicht nur was die körperliche Eignung anbelangt, sondern die innere Einstellung. Ihr müsst doch verstehen können, dass ein junger Mensch in meinem Alter sich nicht, nur um allen Schwierigkeiten im Leben aus dem Wege zu gehen, sich für eine Sache verschreibt, an der er keine Freude hat, ohne vorher zum mindesten alle Wege und Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen, die durch eventuelle Beziehungen zu erreichen sind.
Ich sage ja vorläufig nur „versuchen“ - dass ich ohne etwas wirklich Festes und Reales zu haben, die Kwuzah nicht verlassen werde, ist doch klar. - Ihr müsst auch nicht denken, dass ich Euch nicht verstehe - ich weiss recht genau, dass das, was Ihr ratet, nur aus Eurer Liebe zu mir entspringt - ich weiss, dass Ihr mir ein möglichst sorgenfreies Leben wünscht. Aber wie gesagt, gibt es ausser dem Hunger noch andere Dinge im Leben, die es zu befriedigen gilt, und soweit man nur den geringsten Weg sieht, diese andern Dinge zu erreichen, soll man auch diesen nachstreben. Wenn man einmal die völlige Aussichtslosigkeit einer Realisierung dieser Dinge sieht, ist
II
es immer noch Zeit, sich in das Unvermeidliche zu fügen. - Soweit noch einmal prinzipiell.
Nun noch einiges: Was das Anfordern anbetrifft, so habe ich Euch schon so und so oft geschrieben, dass die Kwuzah für Euch nur dann in Frage kommt, wenn Ihr vor dem blossen Hunger steht. Soweit ist es nicht und wird es auch hoffentlich niemals kommen. Ich kann Euch nur sagen, dass es immer noch besser wäre, sich von der Gemeinde ernähren zu lassen, als hier zu leben. Was Euren etwaigen Stolz anbetrifft, so ist es wiederum ganz gleich, ob Ihr von der Rachmones der Gemeinde Krefeld oder der Kwuzah Kirjat Anavim lebt - das erstere ist jedenfalls vorzuziehen. Aber erstens einmal ist es nicht so weit und zweitens hoffe ich auch Euch einmal auf andere Weise anfordern zu können.
Was eine etwaige materielle Hilfe für eine Lehre bezw. Kost anbelangt, so bestehen auch hier Möglichkeiten zur Überweisung - die Haavarah, zu der Richard auch, wie zu fast allen hiesigen Institutionen, seine Beziehungen hat. Eine andere Frage wäre natürlich, ob und eventuell wieviel Ihr bezahlen könntet. Aber auch darüber ist es noch nicht an der Zeit zu sprechen. Wie Ihr Euch denken könnt, liegt mir ja auch sehr viel daran, ohne geldliche Mittel Eurerseits, die Ihr ja auch garnicht so eins - zwei beschaffen könnt, auszukommen.
Richard schrieb mir noch, demnächst wieder nach Jerusalem zu kommen und mich dann eventuell einmal herzubestellen, um mit mir zu Hans Beith, Sochnuth und H.O.G. zu gehen. Dass ich also etwas ohne Beith unternehme, braucht Ihr nicht zu glauben.
Dann musst Du, lb. Pips, irgend etwas missverstanden haben. Richard sieht ebenso wie ich in der Kwuzah eine durchaus wertvolle und nötige Angelegenheit - ist nur mit mir der Meinung, dass dies für mich ganz persönlich nicht die richtige Lebensform sei. Deine Annahme, dass er die Kwuzah ablehnt, ist durchaus unbegründet,
III
ausserdem braucht Ihr auch keine Angst zu haben, dass ich Ende März nichts zu leben habe. Ich kann ohne jegliche weitere Vereinbarung mit der Kwuzah zum mindesten hier bleiben bis ich eine Stellung habe.
Und nun möchte ich Euch zum Schlusse noch einmal darum bitten Euch nicht unnötige Sorgen zu machen. Schliesslich bin ich kein Kind mehr - sondern selbst so vernünftig um entscheiden zu können, was gut und richtig ist - und zweitens ist ja auch Richard hier, was Euch doch eigentlich beruhigen dürfte, und der mir sicherlich keine falschen Vorschläge machen wird. Und - wollen wir sogar hoffen, dass sich seine eigenen