Ernst Loewy an seine Eltern, 26. März 1938

Auf meinen nächsten Brief werdet Ihr länger warten müssen, da ich wegen meiner Kirjat Anavim-fahrt wohl kaum am Schabbath zum Schreiben kommen werde.

Tel-Aviv, den 26.3.38., Samstag

Meine Lieben,

wisst Ihr, dass es schon über zwei Jahre her ist, dass ich Euch und Krefeld verlassen habe? Morgen vor zwei Jahren habe ich in München meine Chewre getroffen und bin gefahren - übermorgen schon von Triest abgesegelt. Es hat sich manches geändert inzwischen. Vor allen Dingen hätte ich damals nicht geglaubt, dass ich zwei Jahre später in Tel-Aviv Lehrling in einer Buchhandlung wäre.

Von mir habe ich einiges Neue zu berichten. Ich werde höchstwahrscheinlich noch einmal umziehen - nicht etwa, weil es hier schlecht ist, wo ich wohne, doch hat mir Frau Strauss eine so schöne Wohngelegenheit besorgt, dass es mir wert ist nochmal umzuziehen - was schliesslich auch keine große Sache ist, da ich mir noch keine Möbel gekauft habe - ausser der Couch, die ich erst angezahlt habe und die noch im Geschäft steht. Wo ich jetzt hinziehe, Kirjat Sefer 12, ist eine Parallelstraße der Bilustraße, ein bisschen weit draussen, was mir aber gerade der ruhigen Lage wegen lieber ist, als hier auf der überlauten King George-Str. Übrigens kann ich auch von dort noch recht schnell in die Stadt kommen - in weniger als einer Viertelstunde. Ich wohne dort bei einer Witwe einer Kunstgewerbelehrerin, Frau Hake, zusammen mit ihrem etwa 15jährigen Sohn. Es sind ganz besonders nette Leute, so dass ich mich, als ich ein paarmal dort war bald entschlossen hatte nochmals umzuziehen. Die Frau ist Russin, was mir deshalb lieb ist, da ich wenigstens dort mal Gelegenheit habe Iwrith zu sprechen - im Geschäft höre und spreche ich fast kein Wort. Die Wohnung ist allerdings etwas teurer, und zwar kostet mich das halbe Zimmer (mit Bad, Wasser, elektr. Licht und Küchenmitbenutzung) ein Pfund - ist dafür aber möbliert, nur muss ich die Couch

mitbringen. Schrank und Bücherregal brauche ich also nicht. Was ich an Wohnung teurer habe, werde ich dann wenigstens teilweise an Essen (und Möbelersparnis) billiger haben, da ich morgens und abends mir das Essen selber machen werde, was, da ich ja doch nur Brote esse (Tee ist auch immer da) keine grosse Arbeit ist. Mittags esse ich im Restaurant. Ich hätte dort auch in voller Pension wohnen können, d. h. mit 3 Mahlzeiten und Wäsche, doch hätte mich das vier ein halb Pfund gekostet, was mir aber zu teuer war - und geht es jetzt für weniger als vier Pfund, ebenso gut. Dazu kommt ja auch noch Kupath Cholim und ein wenig Taschengeld. Ich werde wahrscheinlich ab 1. April dort wohnen. Genau weiss ich es noch nicht. - Heute in 8 Tagen werde ich wahrscheinlich in Kirjath Anavim sein - zur grossen Abschiedsfeier. Auch habe ich die meisten meiner Sachen ja noch dort, die ich abholen muss.

Gestern abend war ich bei Familie Max Levy zum Abendbrot: Kartoffelkuggel, Suppenfleisch und Meerrettich; Dinge, die ich seit Jahren nicht gesehen habe. Heute morgen war ich bei Neumanns, die mich für den übernächsten Freitag abend eingeladen haben. Her Neumann fährt im Mai nach Europa und ist Ende des Monats in Gelsenkirchen, wo er Dich, lb. Pips, gerne treffen möchte. Genaueres erfahren könntest Du kurze Zeit vorher bei Neuwald, [..]strasse 15 in Gelsenkirchen. Nachher gehe ich zu Richard, mit dem ich ein bissel spazieren gehen werde. Viel Bekannte habe ich ja hier nicht.

Nun zu Eurem Briefe: Herr Stein ist aus Wien. Gelernter Buchhändler ist er nicht, ich glaube es gibt in ganz Palästina nur einen einzigen. Das spielt aber schliesslich auch keine Rolle. Er ist, meines Wissens, ungefähr fünf Jahre Buchhändler. Vorher war er lange

Zeit in Berlin und Amerika. Nach Amerika fährt er, in privaten Angelegenheiten wieder am 6. April. Dein Brief an ihn, lb. Pips, wird ihn also eventuell schon nicht mehr erreichen. - In der Kupath Cholim bleibe ich selbstverständlich, wie ich Euch schon geschrieben habe. Damit verbunden ist auch meine Zugehörigkeit zur Histadruth. Man kann gar nicht in der Kupath Cholim sein, ohne Chawer der Histadruth zu sein, ebenso wenig wie man umgekehrt ohne in der Kupath Cholim zu sein Chawer der Histadruth sein kann. Die Kup. Ch. ist ja nur eine Unterabteilung der Histadruth. - Was mit dem Bund ist, ist mir völlig gleich, ich kümmere mich ebenso wenig darum, wie sie sich um mich kümmern. - Was Ihr noch über den Laden wissen wollt, ist folgendes: wir haben englische, hebr. und deutsche Bücher - nur moderne Literatur, Klassiker überhaupt nicht, ausser engl. Shakespeare. Ältere Sachen werden auch gar nicht verlangt. Dazu kommen einige Kunstbücher, Philosophie, Psychologie, Medizin, Sozialismus, Fachkunde, Architektur, kaufmännische Sachen, sehr viele Wörterbücher, Sprachbücher, ein paar Kinder- und Jugendbücher, Judaica, Atlanten und Lexika. Ich glaube beinah, das ist alles. Was ausserdem verlangt wird, müssen wir uns eben beim Grossisten besorgen oder bestellen. Ein paar antiquarische Belletristik haben wir auch. In der Leihbibliothek haben wir hauptsächlich deutsche, etwas engl. und wenig hebr. Literatur - nur die moderneren Sachen. Dazu ein paar halbwissenschaftliche Sachen und eine grössere Abteilung: Politik, Geschichte und Biographisches. Die Neuerscheinungen sind stets vollständig da, während ältere Sachen wie Werke von Thomas Mann, Gerhart Hauptmann etc. nur in den Hauptwerken vertreten sind.

Richard sehe ich fast täglich. Des abends lese ich meistens, mache mal einen Besuch und werde jetzt fleissig Englisch lernen.

Damit für heute Schluss. Es ist herrliches Wetter - ich werde jetzt ein bissel gehn. Herzl. Grüsse und Küsse
Euer Ernst.